Kretschmer in Moskau: „Schlechteres Verhältnis zu Russland kann uns nicht gleichgültig sein“
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Michael Kretschmer (CDU, l.), Ministerpräsident von Sachsen, mit dem deutschen Botschafter in Russland, Geza Andreas von Geyr.
© Quelle: Pawel Sosnowski/Sächsische Staa
Moskau. „Russland wird eines Tages einmal froh sein, wenn die Länder westlich von ihm und auch Amerika nicht seine Gegner sind, damit es sich sich gegen das viel stärkere China zur Wehr setzen kann.“ Diese Worte diktierte Bundeskanzler Konrad Adenauer 1961 einem Reporter der „New York Times“ in den Notizblock, und sie scheinen im Bewusstsein russischer Politik auch heute noch irgendwie verankert zu sein, auch wenn sich das wirtschaftspolitische Alltagsgeschäft gerade mehr in die östliche Richtung entwickelt.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hört auf seiner dreitägigen Moskau-Reise in Gesprächen immer wieder den Hinweis, der Westen treibe mit seiner Sanktionspolitik Russland immer mehr in die Arme Chinas.
Russland will sich vom Westen unabhängig machen
Zwar sei beispielsweise die deutsche Digitalwirtschaft mit SAP und anderen wichtigen Playern immer noch gut im Geschäft, berichten in Moskau tätige Chefs mächtiger deutscher Handelsverbände, aber es sei schon ein Trend zu erkennen, sich von westlicher Software unabhängig zu machen – wegen der gestörten politischen Beziehungen.
Thomas Kunze, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Moskau, sagt, es bestünde nach wie vor von russischer Seite „eine sehr große Bereitschaft, mit uns zusammenzuarbeiten“, aber Kunze weiß auch, wie schwierig das derzeit aus Sicht der Vertreter der russischen Zivilgesellschaft ist.
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Die junge unabhängige Anwältin Olga Kiseleva, die sich auf Menschenrechte spezialisiert hat, lässt Kretschmer in einer von Kunze organisierten Talkrunde wissen, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Angst hätten, mit westlichen Partnern zusammenzuarbeiten.
Spenden aus dem Westen sind gesetzeswidrig
Das vor einigen Jahren erlassene Gesetz über „ausländische Agenten“ hat die Kooperation mit westlichen Organisationen stark eingeschränkt, weil jeder, der etwas anfängt, faktisch Gefahr läuft, der Agententätigkeit bezichtigt zu werden, vor allem wenn er Spenden entgegennimmt.
Die Arbeit von Bürgerinitiativen sei nicht mehr mit der in den 1990er- oder 2000er-Jahren zu vergleichen, sagt Kiseleva und fordert: „Wir brauchen wieder eine legale Form der Zusammenarbeit!“ Russland habe noch einen langen Weg vor sich, bis es nicht mehr zur „ungesetzlichen Gewaltanwendung“ komme, sagt die junge Frau und konkretisiert das dann mit dem Wort Folter. In Sachen Menschenrechte könne man viel von Deutschland lernen.
Auch die Sozialwissenschaftlerin Tatjana Parkhalina berichtet, wie Behörden versuchten, die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen zu beeinflussen. Sie hat 18 Jahre lang das Moskauer Nato-Center geleitet, bis es wegen des „Agentengesetzes“ geschlossen wurde.
Deutschland ist der wichtigste Partner im Westen
„Ich bin praktisch als ‚Westler‘ verpönt“, sagt sie, aber Russland habe keine andere Chance, als eine Kooperation mit dem Westen und der EU einzugehen. Und dabei sei Deutschland der wichtigste Partner. In Russland habe schon 2012 eine „Degradierung der Demokratie“ begonnen.
Aber dafür, dass es so gekommen ist, trage auch der Westen Verantwortung. Als das östliche Militärbündnis Warschauer Pakt zusammenbrach, sei Russland nirgendwo integriert worden, weder in die EU noch in die Nato. Sie kritisiert es als Fehler, dass Russland den Dialog mit der EU abgebrochen hat, vermisst aber auch im Westen den politischen Willen, eine neue Kooperation einzuleiten.
Russische Gesellschaft ist gewissermaßen gespalten
Diakon Dmitri Serow, der die russisch-orthodoxe Kirche vertritt und in schwarzer Priesterrobe am Gespräch mit Kretschmer teilnimmt, konstatiert „eine gewisse Spaltung in der russischen Gesellschaft“ – prowestlich und pronational. Die Kirche sei Ort für Vertreter beider Seiten und agiere deshalb sehr vorsichtig.
„Wenn wir für den einen Partei ergreifen, schließen wir den anderen aus“, sagt Pater Dimitri und setzt nach: „Wir wollen aber für alle da sein.“ Er findet den Austausch mit der Evangelischen Kirche Deutschland wichtig, die in Moskau gut vertreten sei.
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Soja Schargatova, Vorsitzende der ökologischen Bewegung „Allianz der Grünen“, mahnte Kretschmer: „Nehmen Sie bei ihren Gesprächen in Moskau die Ökologie in den Fokus. Wir wollen wissen, wie stark unsere Luft und unser Wasser verschmutzt sind und was für Lebensmittel wir zu uns nehmen.“ Da habe Russland Nachholbedarf.
Gemeinsamkeiten in der Digitalpolitik
Konstantin Khrapov, IT-Fachmann und Mitglied des deutsch-russischen Jugendforums „Neue Generation“ stellte heraus, dass Moskau bei der Privatisierung digitaler Dienstleistungen sehr gut vorankomme und glaubt, dass es zwischen Russland und der EU im Digitalen mehr Gemeinsamkeiten gibt als zwischen der EU und Amerika. Als Beispiel dafür nennt er die Besteuerung der amerikanischen Digitalriesen und die Datensicherheit.
Wir brauchen weiter Kontakte, Gespräche und den Diskurs.
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident Sachsens
Kretschmer, der schon im Vorfeld seiner Reise von den sächsischen Grünen kritisiert und dazu angehalten worden war, „konstruktiv auf Problemfelder hinzuweisen“, gesteht, er sei beeindruckt von den Statements, und bekräftigt: „Wir brauchen weiter Kontakte, Gespräche und den Diskurs.“
Kretschmer zeigt sich besorgt
Ein paar Stunden später wird er vor der Presse in Moskau sagen, er sei in Sorge, dass sich das Verhältnis verschlechtert. „Das kann uns nicht gleichgültig sein.“ Es gehe hier um das größte Flächenland der Erde mit weltpolitischer Bedeutung und um eine Atommacht.
Kretschmer wiederholt, er sei für den Abbau der Sanktionen gegen Russland, aber das könne man natürlich nicht losgelöst vom Ukraine-Konflikt oder vom Umgang mit Kreml-Kritiker Alexej Nawalny betrachten. Das habe er auch in seinem Telefonat am Donnerstag mit Präsident Wladimir Putin so klar gesagt.
1000 Festnahmen bei Nawalny-Demos in Russland
Laut Polizei nahmen rund 6000 Menschen an den illegalen Demonstrationen teil, Nawalnys Team sprach auf dessen Kanal von deutlich höheren Teilnehmerzahlen.
© Quelle: Reuters
Er verstehe, so Kretschmer, dass die Lage in Russland derzeit eine sehr schwierige sei. Das zeigten auch Umfragen des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada. Demnach ist derzeit die größte Sorge der Russen die vor einer kriegerischen Auseinandersetzung.
Dann komme die Sorge vor Repressionen und dann die vor persönlicher Perspektivlosigkeit. „Das ist schon ein sehr depressiver Befund“, sagt Kretschmer und fügt fast schon trotzig hinzu: „Aber meine Position bleibt trotzdem eine Russland zugewandte.“