Harsche Kritik an Seehofer: Aufnahme Minderjähriger “Tropfen auf heißen Stein”
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/OIEUJCAUTRF3BGN4MNY75MWO4M.jpeg)
Horst Seehofer (CSU), Bundesinnenminister, gibt gemeinsam mit dem per Video zugeschalteten Vizepräsidenten der EU-Kommission eine Pressekonferenz zur aktuellen Lage auf der griechischen Insel Lesbos.
© Quelle: Jörg Carstensen/dpa
Berlin. Die Fraktionen im Bundestag haben sich heftige Wortgefechte um die richtige Antwort auf den Brand im Migrantenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos geliefert. “In Moria sind die Werte der Europäischen Union in Flammen aufgegangen”, erklärte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch am Freitag in einer Debatte. Bartsch zitierte ausgiebig aus der Bibel und warf Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vor: “Ihr Agieren ist nicht christlich, Ihr Agieren ist unmenschlich.”
Die Linksfraktion forderte, dass Deutschland in einem ersten Schritt die mehr als 12.000 Menschen, die durch die Brände in Moria obdachlos wurden, aufnehmen solle, soweit diese nicht in andere aufnahmebereite Länder möchten.
Seehofer betonte, Deutschland habe seit 2015 insgesamt 1,73 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Inzwischen kämen an jedem Werktag wieder 300 bis 400 weitere Menschen ins Land. “Wir nähern uns wieder den Höchstzahlen der Vergangenheit.” Dass Deutschland nun 100 bis 150 Jugendliche von Moria aufnehme, sei ein “ganz konkretes Beispiel praktizierter Nächstenliebe”. Man werde alles daran setzen, dass diese noch im September kommen könnten.
Göring-Eckardt: “Das hat nichts mit Europas Werten zu tun”
Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hat die geplante Aufnahme einiger Hundert Jugendlicher aus Moria durch mehrere europäische Staaten als zu wenig kritisiert. “Das hat nichts mit Humanität und Ordnung zu tun, die herrschen muss, das ist ein Tropfen auf einen heißen Stein, der schon verdampft ist, bevor er überhaupt ankommt”, sagte Göring-Eckardt der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Noch immer seien 4000 Kinder zusammen mit ihren Eltern vor Ort. “Das hat nichts mit Europas Werten zu tun.”
Göring-Eckardt verlangte von Deutschland, mehr Menschen aufzunehmen als die geplanten 150 Minderjährigen. “Das ist gut für jedes einzelne dieser 150 Kinder, aber es hat nichts mit Bewältigung dieser Krise zu tun”. Deutschland solle vorangehen und “zeigen, was geht”. Die Politikerin sprach sich dafür aus, dass willige Staaten Geld für die Aufnahme der Menschen bekommen.
Seehofer - Deutschland nimmt bis zu 150 Flüchtlinge aus Moria auf
Deutschland wird nach Angaben von Horst Seehofer 100 bis 150 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus dem abgebrannten Flüchtlingslager Moria aufnehmen.
© Quelle: Reuters
Steinmeier nach Moria: Versuch europäischer Lösung nicht aufgeben
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich zu der aktuellen Lage auf Lesbos gemeldet und eine europäische Antwort auf die Migrationsfrage angemahnt. Dass sich nun einzelne Staaten zur Aufnahme einiger Menschen aus dem Lager bereit erklärt hätten, heiße nicht, “dass man den Versuch aufgeben sollte, ich würde sogar sagen, dass man den Versuch aufgeben darf, auch in dieser schwierigen Frage immer noch zu einer gemeinsamen europäischen Politik zu kommen”, sagte Steinmeier beim Besuch des kroatischen Präsidenten Zoran Milanovic am Freitag in Berlin.
“Wir sind besonders gehalten, sogar verpflichtet, nach einer gemeinsamen europäischen Antwort zu suchen”, sagte Steinmeier im Hinblick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft.
Berliner Senat kritisiert Seehofers Plan
Kritik kam zudem vom Berliner Senat. “Mit Blick auf das Leid der Menschen in Moria sind diese Zahlen beschämend gering”, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. “Ich habe immer gesagt: Deutschland kann mehr. Wer kann, muss helfen. Und wir können.” Es sei unabdingbar, dass Deutschland seine EU- Präsidentschaft nutze, um endlich zu einer europäischen Lösung in der Flüchtlingspolitik zu kommen. “Es liegt in unserer Verantwortung.”
Der Berliner Flüchtlingsrat hatte den Senat aufgefordert, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Geflüchtete aus Griechenland in die Hauptstadt zu holen. Die Kritik des Senats an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CDU), der einen Alleingang Berlins und anderer Bundesländer ablehnt, sei zu begrüßen, erklärten der Rat und andere Initiativen am Freitag. Da eine zeitnahe Lösung des Streits jedoch nicht zu erwarten sei, müsse der Senat andere Spielräume nutzen. Der Flüchtlingsrat schlug eine Lockerung der Bestimmungen zum Familiennachzug, die humanitäre Aufnahme in Einzelfällen und ein Stipendienprogramm für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vor.
Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) wies am Freitag darauf hin, dass in Berlins landeseigenen Unterkünften derzeit knapp 1600 sofort belegbare Plätze zur Verfügung stehen. Darüber hinaus werde das Containerdorf auf dem Tempelhofer Feld im Moment wieder ans Netz genommen, sagte eine Sprecherin der Senatorin. Dort gebe es Kapazitäten von bis zu 1000 Plätzen. “Es stünden also in Berlin ausreichend Plätze für die Menschen aus Moria bereit.”
Berlin hatte schon vor Monaten angeboten, 300 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge im Rahmen eines eigenen Landesprogramms aus überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln zu holen, und dies angesichts der neuen Lage noch einmal erneuert. Seehofer lehnt jedoch einen Alleingang Berlins ab.
RND-Reporterin auf Lesbos: "Die Menschen betteln um Wasser"
Nach den Bränden im griechischen Flüchtlingslager Moria harren die Menschen nun auf Straßen und Feldern aus. Die versprochene Hilfe lässt auf sich warten.
© Quelle: RND
Deutschland und Frankreich nehmen Großteil der Menschen aus Moria auf
Nach Angaben von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) haben sich neben Deutschland bisher neun weitere europäische Staaten bereit erklärt, sich an der Aufnahme von 400 unbegleiteten Minderjährigen zu beteiligen. Ein Großteil der Menschen - je 100 bis 150 - werde von Deutschland und Frankreich aufgenommen. Eine genaue Zahl könne aber erst genannt werden, wenn die Gespräche mit den anderen Staaten abgeschlossen seien.
Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos war in der Nacht zum Mittwoch bei mehreren zeitgleichen Bränden fast vollständig zerstört worden. Statt der vorgesehenen rund 3000 Migranten waren dort mehr als 12.000 Menschen untergebracht. Einige der Migranten sollen Feuer gelegt haben, nachdem für die Bewohner des Flüchtlingslagers wegen Corona-Infektionen Quarantäne verordnet worden war.
RND/dpa