Missbrauchsskandal: Papst lehnt Rücktritt von Erzbischof Heße ab
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Der katholischer Erzbischof von Hamburg Stefan Heße bleibt im Amt.
© Quelle: Axel Heimken/dpa
Hamburg/Rom. Mit ernster Miene war der Hamburger Erzbischof Stefan Heße am 18. März vor die Kameras getreten und hatte seinen Rücktritt angeboten. Wenige Stunden zuvor war er von dem Gutachter Björn Gercke belastet worden. Gercke hatte im Auftrag von Kardinal Rainer Maria Woelki untersucht, ob Verantwortliche des Erzbistums Köln in der Vergangenheit den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester vertuscht hatten.
Einer der Verantwortlichen, die von Gercke überprüft worden waren, war Heße, früher Personalchef und dann Generalvikar (Verwaltungschef) in Köln. Das Ergebnis: Gercke beschuldigte Heße der elffachen Pflichtverletzung.
Heße erklärte daraufhin: „Ich muss und will die Konsequenzen aus meinem damaligen Handeln und letztlich damit auch aus den mir zur Last gelegten Pflichtverletzungen ziehen.“ Doch dazu wird es nun nicht kommen: Denn Papst Franziskus nimmt den Rücktritt nicht an. Heße bleibt im Amt.
Papst: Fehler seien keine Absicht
Dabei ist es nicht etwa so, dass der Papst Gerckes Untersuchungsergebnisse anzweifelt. Nein, auch er sieht „Mängel in der Organisation und Arbeitsweise des Erzbischöflichen Generalvikariates sowie persönliche Verfahrensfehler Heßes“. Die Untersuchung habe aber nicht ergeben, dass diese Fehler „mit der Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen“. Der Papst sagt also: Heße hat Fehler gemacht - aber es war doch alles keine Absicht.
Die Auswirkungen dieser Entscheidung auf die katholische Kirche in Deutschland dürften enorm sein. Nicht nur die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ fragt sich nun, „wofür Menschen in kirchlichen Leitungsdiensten dann überhaupt noch zur Verantwortung gezogen werden“. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller kritisiert: „Für die Opfer sexualisierter Gewalt ist dies ein Schlag ins Gesicht, weil sie wieder den Eindruck gewinnen müssen, dass niemand für seine Verfehlungen zur Rechenschaft gezogen wird.“
Der Theologe Daniel Bogner spricht von einer „Zumutung“: „Das verhängnisvolle Signal ist, dass der Anlass für den Rücktritt als nicht so gravierend betrachtet wird.“ So werde verhindert, dass sich ein Amtsträger seiner Verantwortung stelle und dies durch einen öffentlich sichtbaren Schritt wie einen Rücktritt dokumentiere. „Das ist für eine Religionsgemeinschaft, in deren Botschaft der individuellen Person und ihrer Gewissensüberzeugung eine hohe Bedeutung zukommt, eine ganz schlechte Nachricht.“
Vorgehen erinnert an Entscheidung zu Kardinal Marx
Das Vorgehen des Papstes erinnert an seine Entscheidung im Juni, das Rücktrittsgesuch des Münchner Kardinals Reinhard Marx ebenfalls auszuschlagen. Die beiden Fälle liegen aber anders. Im Gegensatz zu Heße waren Marx persönlich keine Vorwürfe gemacht worden, er hatte vielmehr quasi stellvertretend für das System Verantwortung übernehmen wollen. Da Marx von vielen deutschen Katholiken als Aufklärer und Erneuerer gesehen wird, hatte man die damalige Entscheidung des Papstes noch als Unterstützung für einen Reformkurs betrachten können.
Das ist diesmal beim besten Willen nicht möglich. „Ich bin schockiert darüber, dass im Vatikan offenbar weiter verleugnet wird, dass sichtbare und spürbare Veränderungen in der Kirche nötig sind, um das verloren gegangene Vertrauen wieder zu erlangen“, kritisierte am Mittwoch die Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Claudia Lücking-Michel.
Die beiden Kölner Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff, die ebenfalls in dem Gutachten belastet worden waren und daraufhin ihren Rücktritt angeboten hatten, dürfen nun ebenfalls hoffen.
Woelki wird in Gutachten freigesprochen
Und Kardinal Woelki? Er wurde in dem Gutachten freigesprochen und hat auch niemals seinen Rücktritt angeboten. Dennoch steht auch er auf der Kippe, seit der Papst im Juni zwei Bevollmächtigte ins größte deutsche Bistum entsandte.
Der Vatikan habe registriert, dass Woelki augenscheinlich von einem großen Teil des Klerus und der einfachen Gläubigen abgelehnt werde, meint Kirchenrechtler Schüller. „Das heißt, dass er ein König ohne Reich ist. Das könnte durchaus negative Konsequenzen für ihn haben.“ Der Fall Woelki sei deshalb weiterhin offen.
Für Heße selbst wird die Rückkehr alles andere als leicht. Die Vorwürfe gegen ihn stehen weiter im Raum. So wird er demnächst noch einmal nach Köln zurückkehren müssen. Das Landgericht hat ihn als Zeugen geladen - in einem Strafprozess gegen einen Priester, der seine drei kleinen Nichten schwer missbraucht haben soll.
RND/dpa