Mindestlohn, Kohle, Steuern: Was eine Ampelregierung ändern möchte
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Die Erklärung zur Entscheidung zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen: Robert Habeck, Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Christian Lindner.
© Quelle: imago images/Mike Schmidt
Berlin. Überraschend schnell konnten sich SPD, Grüne und Liberale auf ein Sondierungspapier einigen, das die zentralen Linien einer neuen Bundesregierung bereits vorgibt. Die drei Parteien betonen auf den zwölf Seiten ihre unterschiedlichen Traditionen und bezeichnen sich als gleichberechtigte Partner auf Augenhöhe. Sie wollen Deutschland eine Modernisierungskur verordnen. Das sind die zentralen Ergebnisse im Sondierungspapier von SPD, Liberalen und Grünen.
Doch kein Tempolimit: SPD, Grüne und FDP einig
Sollten sich SPD, Grüne und FDP die Regierung in Deutschland übernehmen, so wird es wohl kein generelles Tempolimit auf den deutschen Autobahnen geben.
© Quelle: dpa
Klima und Umwelt
Das Ziel der Grünen, schon bis 2030 aus der Kohleverstromung auszugsteigen, ist in dem Papier nicht festgeschrieben, aber als Ziel „idealerweise“ ausgegeben. Noch 2022 soll es ein Klimaschutz-Sofortprogramm geben, wie es die Grünen im Wahlkampf gefordert haben. Wie das genau aussehen wird, bleibt den Koalitionsverhandlungen überlassen.
Zudem ist geplant, dass alle „geeigneten“ Dachflächen künftig für Solarenergie genutzt werden sollen. Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen, wie es SPD und Grüne im Wahlprogramm stehen hatten, wird es nicht geben. Punkt für die FDP. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln soll auf „das notwendige Maß“ beschränkt werden. Bei diesen Formulierungen gibt es noch viel Raum für strittige Diskussionen.
Zwei Prozent der Landesflächen sollen künftig für Windkraft zur Verfügung stehen. Kommunen, die bei sich Wind- und Sonnenergie produzieren, sollen davon auch wirtschaftlich profitieren. Die EEG-Umlage soll im Laufe der Wahlperiode gänzlich wegfallen.
Sozialstaat
Schon in den Sondierungen haben sich die drei Parteien geeinigt, dass der Mindestlohn auf 12 Euro steigen soll und zwar schon im kommenden Jahr. Danach soll es wieder flexible Anpassungen geben, die die heute schon dafür verantwortliche Mindestlohnkommission festlegt. Die Arbeitswelt soll für Arbeitgeber und Arbeitnehmer flexibler werden: längere Tageshöchstarbeitszeiten sollen ebenso erlaubt werden wie eine flexiblere Gestaltung von Arbeitszeiten. Zudem soll die Grenze für Midi-Jobs auf 1600 Euro erhöht werden. Mini-Jobs sollen bis zu 520 Euro im Monat möglich sein.
Einen Durchbruch gibt es auch schon beim Thema Rente: Das Mindestrentenniveau bleibt bei 48 Prozent - Punkt für SPD und Grüne. Zur Stabilisierung der Rentenfinanzen soll es „eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung“ geben, wie es im Papier heißt - Punkt für die Liberalen.
Um einen Kapitalstock zu eröffnen soll der Bund schon 2022 zehn Milliarden Euro überweisen. Vor dem Hintergrund, dass die Rentenversicherung aktuell schon mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr aus dem Haushalt bekommt, ist das eine überschaubare Summe. Die private Altersvorsorge soll auf ein neues Fundament gestellt und eine attraktivere Alternative zur Riester-Rente geschaffen werden.
Die SPD wird auch endlich Hartz IV abschütteln und die Grundsicherung in „Bürgergeld“ umbenennen. Das Ziel, das in einem Koalitionsvertrag noch ausbuchstabiert werden muss: „Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein.“
Kinder und Familien
Kinderrechte sollen im Grundgesetz verankert werden. Die bisherige Unterstützung für Kinder und Familien soll in einem „Kindergrundsicherungsmodell“ gebündelt werden - damit sollen die Hilfen schneller und unbürokratisch ankommen. Ganztagsschulen sollen weiter gefördert werden, Schulen in benachteiligten Regionen und Stadtteilen sollen Unterstützung bekommen. Das Bafög für Studierende soll künftig unabhängig von den Eltern fließen.
Wirtschaft
Geplant ist eine „qualifizierte Fachkräftestrategie“. Der Anteil für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt soll auf 3,5 Prozent steigen - das war übrigens auch das Ziel der Vorgängerregierungen. Unter der Überschrift „Freiheit und Sicherheit“ findet sich zudem der Hinweis, dass bei der Integration ein „Spurwechsel“ möglich sein soll. Dabei geht es darum, dass Asylbewerber mit Job und Sprachkenntnissen einen legalen Aufenthaltsstatus bekommen.
In Sachen Digitalisierung soll endlich schnelles Internet auch auf dem Land umgesetzt werden. Priorität haben dabei die Regionen, „wo der Nachholbedarf am größten ist“. Unter der Überschrift digitaler Aufbruch findet sich auch das Versprechen: „Es geht darum, das Leben einfacher zu machen.“
Bauen und Wohnen
Pro Jahr sollen 400.000 neue Wohnungen entstehen, davon 100.000 öffentlich gefördert. Die Bauindustrie soll zudem unterstützt werden, mehr Kapazitäten zu schaffen. Neue Regelungen, die Mieten deckeln, sind nicht geplant. Die bisherigen sollen überprüft und verlängert werden. Das heißt, auf diesem Feld ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Immobilien dürfen nach den Plänen der künftigen Ampel-Koalitionären künftig nicht mehr bar bezahlt werden. Käufer müssen demnächst nachweisen, dass sie ihr Geld zum Erwerb von Immobilien versteuert haben.
Gesellschaft
Das Wahlalter soll auf 16 Jahre sinken. Mit dieser Gesetzesänderung soll auch eine Verkleinerung des Bundestags durchgesetzt werden. Die Chance, dass SPD, Grüne und Liberale einen Kompromiss finden, stehen gut. Das Staatsangehörigkeitsrecht soll reformiert werden. Liberalisierungen soll es auch beim Transsexuellengesetz und für die Reproduktionsmedizin geben.
Beim Thema innere Sicherheit verweisen SPD, FDP und Grüne auf „Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit“. Auf diesem Gebiet gibt es traditionell wenige Konflikte zwischen den drei Parteien. Zur Abwehr von Cyberrisiken planen die drei Parteien ein eigenes Gesetz.
Es soll auch ein Demokratiefördergesetz geben, durch das die öffentliche Hand und ihre Einrichtungen Vorbild werden im Kampf gegen „Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, Islamismus, Linksextremismus, Queer-Feindlichkeit und jede andere Form der Menschenfeindlichkeit“.
Finanzen
Für die Wählerschaft der Liberalen eine wichtige Botschaft: Es soll „keine neuen Substanzsteuern“ geben. Das heißt, die Vermögensteuer ist vom Tisch. Einkommen-, Unternehmens- und Mehrwertsteuer sollen zudem nicht erhöht werden. Es findet sich auch ein Bekenntnis zur „grundgesetzlichen Schuldenbremse“. Dafür aber soll der Haushalt durchkämmt werden, ob sich „überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben“ finden.
Die Kommunen können hoffen: Es soll noch einmal gecheckt werden, ob sie von ihren Altschulden befreit werden. Als wichtige Gebiete für Investitionen nennen SPD, Grüne und Liberale in dieser Reihenfolge: Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie Infrastruktur. Wer in Klimaschutz oder Digitalisierung investiert, soll die Möglichkeit bekommen „Superabschreibungen“ vorzunehmen - das heißt, es soll mehr und sofortige Steuererleichterungen für Unternehmen geben, die sich auf diesen Gebieten engagieren.
Europa und die Welt
In dem Papier findet sich ein Bekenntnis zur Stärkung der Europäischen Union und einer nationalen europäischen Armee. Es soll eine Offensive gegen Desinformation und Fake-News-Kampagnen geben, von der die liberalen Demokratien Europas profitieren. Zudem geben die drei Parteien ein Bekenntnis zum europäischen Green Deal sowie zum Wachstums- und Stabilitätspakt ab.
„Green Deal“ vorgestellt – Greta Thunberg mahnt zur Eile
In Madrid tagt der UN-Klimagipfel, die neue EU-Kommission treibt ein Riesenprogramm für ein klimafreundliches Europa voran. Doch Kiritikern dauert das zu lange.
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Die Nato wird als „unverzichtbarer Teil“ deutscher Sicherheit beschrieben. Und es heißt: „Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson.“ Der Einsatz in Afghanistan soll in einem Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden. In der Flüchtlingspolitik soll es schnellere Verfahren und mehr Humanität geben. Asylverfahren, Familienzusammenführungen und Rückführungen sollen beschleunigt werden.
Zur Außenpolitik heißt es, dass sie künftig aus „einem Guss“ agieren soll. Das heißt, dass das traditionelle Hü und Hott von Außen- und Verteidigungsministerium beendet werden soll. Die neue Außenpolitik soll eine „multilaterale Kooperation in der Welt“ schaffen - gemeinsam mit den Staaten, „die unsere demokratischen Werte“ teilen. Interessant ist, dass die drei künftigen Ampelkoalitionäre diese Außenpolitik in Abgrenzung zu anderen sehen. In dem Papier heißt es, es gehe auch „um den Systemwettbewerb mit autoritären Staaten und Diktaturen“.