Michael Kretschmer: „Zu langes Zögern wird bestraft“

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert schnelles Handeln in der Corona-Krise.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) fordert schnelles Handeln in der Corona-Krise.

Berlin. Herr Kretschmer, die Corona-Krise eskaliert, aber die nächste Ministerpräsidentenkonferenz ist erst für den 9. Dezember angesetzt. Hat die Politik so lange Zeit?

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Zögern wird bestraft. Wir brauchen schnellstmöglich ein Bund-Länder-Treffen. Die Delta-Virusvariante ist wie ein Rennwagen und die Dynamik der Pandemie ist so rasant, dass wir nicht warten können. Wir brauchen jetzt ein flächendeckendes, einheitliches Vorgehen – in ganz Deutschland: mit Kontaktbeschränkungen und einer großen Beruhigung des öffentlichen Lebens. Diese vierte Welle wird alles in den Schatten stellen, was wir bisher erlebt haben. Wir haben mit der 400er Inzidenz der Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen bundesweit eine Größenordnung erreicht, die zu einer Vollauslastung aller Intensivstationen führen wird. Und die Zahlen steigen weiter.

Braucht es angesichts der neuen aggressiven Virus-Variante aus Südafrika Sofortmaßnahmen?

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Ich habe schon mehrfach betont, dass wir dringend vor dem 9. Dezember eine Bund-Länder-Runde benötigen, und für einen großen, umfangreichen Instrumentenkasten geworben. Die epidemische Lage von nationaler Tragweite ist eben nicht zu Ende – im Gegenteil! Wir brauchen nun umso dringlicher bundeseinheitliche Regelungen im Kampf gegen dieses aggressive Virus. Die derzeit möglichen Maßnahmen reichen dafür nicht aus. Hier besteht dringender Abstimmungs- und Handlungsbedarf und dieser kann keine 14 Tage mehr warten.

Steht doch der nächste Lockdown bevor?

Wir müssen das öffentliche und das wirtschaftliche Leben so weit es geht zurückfahren und betroffene Unternehmen finanziell unterstützen. Große Veranstaltungen kann es nicht geben – dazu zählen nicht nur Weihnachtsmärkte, sondern auch Fußballspiele mit Publikum in Stadien.

Wie viele Patienten müssen aus Sachsen verlegt werden und in welche Kliniken werden sie verlegt?

Sachsen hat bereits 16 Patienten zur Verlegung angemeldet. Sie werden in andere Bundesländer gebracht. Wir machen das auch als Schutzmaßnahme für die nächsten Tage, um hier noch Plätze freihalten zu können.

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Bis zum 25. November galt noch die epidemische Lage von nationaler Tragweite – Sie hätten schärfere Maßnahmen zumindest noch als Übergang beschließen können. Warum haben Sie das nicht gemacht?

Das haben wir getan. Schon früh wurden große Teile des öffentlichen Lebens wieder heruntergefahren und auf die 2G-Regel der Geimpften und Genesen gesetzt. Das, was die Ampel-Parteien im Bund jetzt beschlossen haben, war viel zu kurzfristig und unbedacht. Es ist eine gravierende Fehleinschätzung, dass für die 3G-Regel (Zugang nur für Geimpfte, Genesene und Getestete) am Arbeitsplatz und im Öffentlichen Nahverkehr das tägliche Testen für die Ungeimpften so einfach ist. Wir kommen mit den Kapazitäten der Schnelltests schon an die Grenzen und die Preise steigen rapide. Die Berliner Koalition hat sich auch da nicht den Rat von Experten geholt.

Spahn: „Es braucht deutlich mehr Kontaktbeschränkungen“
Jens Spahn, geschaeftsfuehrender Bundesminister fuer Gesundheit, aufgenommen im Rahmen einer Pressekonferenz zur aktuellen Coronalage in Deutschland, in Berlin, 26.11.2021. Berlin Deutschland *** Jens Spahn, managing Federal Minister for Health, recorded during a press conference on the current coronal situation in Germany, in Berlin, 26 11 2021 Berlin Germany Copyright: xFlorianxGaertner/photothek.dex

„Diese Welle wird auch in Deutschland weiter gen Westen und Norden ziehen“, warnt Spahn.

Kommen Sie um Schulschließungen herum?

Der Bildungsbereich muss, wenn irgend möglich, weiterlaufen. In Sachsen haben wir die Schulbesuchspflicht ausgesetzt, dennoch nimmt der überwiegende Teil der Kinder am Präsenzunterricht teil. Aber machen wir uns nichts vor, das Virus macht auch vor den Schulen nicht halt. Schon jetzt sind Einrichtungen ganz oder teilweise geschlossen.

Epidemiologen rechnen damit, dass in Sachsen Mitte Dezember Anzeichen einer Durchseuchung sichtbar werden. Setzen Sie darauf? Würde das helfen?

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Das ist eine Illusion, die nur in einer medizinischen Katastrophe enden kann.

Gilt doch der Spruch von Gesundheitsminister Spahn, wonach am Ende des Winters alle „geimpft, genesen oder gestorben“ sein werden?

Das verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig die Impfung ist!

Sie sprechen von einer flächendeckenden Beruhigung. Was bedeutet das?

Die Bekämpfung einer Pandemie wird nicht erfolgreich sein, wenn man von Vorneherein etwas ausschließt. Wir müssen tun, was nötig ist. Das Ziel ist, das Infektionsgeschehen zu kontrollieren. Das gelingt durch Impfen, allerdings nur mit zeitlicher Verzögerung. Außerdem müssen Kontakte sicher sein. Sicherheit ist mit 2G und 3G möglich, aber das kommt jetzt an die Grenzen. Deswegen bleibt nichts anderes übrig als Kontaktreduzierung. Je schneller gehandelt wird, desto milder können die Mittel sein.

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Wie konnte die Lage so entgleiten?

Die Bereitschaft, gemeinsam schnell zu handeln, ist auch jetzt noch nicht ausreichend vorhanden. Viele klammern sich immer noch an die Hoffnung, dass es nicht so schlimm wird. Das ist menschlich verständlich. Wir können es ja alle nicht mehr hören, Corona nervt. Es fehlt auch der Mut, der Bevölkerung nochmals Dinge zuzumuten. Aber es ist unausweichlich.

Die EU-Arzneimittelagentur hat grünes Licht für die Impfung von Kindern gegeben. Was halten Sie davon?

Das ist ein tolles Signal. Das wird viele Eltern freuen, auch uns.

Sie lassen Ihre beiden Kinder impfen?

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Ja, klar.

Sollte die Ständige Impfkommission den Impfstoff jetzt schnell empfehlen?

Das wäre gut. Sie muss sich dabei eng mit Kinderärzten, Kassenärztlicher Vereinigung und Ärztekammer abstimmen.

Vor den Impfzentren bilden sich jetzt schon Schlangen. Sollen sich da jetzt auch Eltern mit ihren Kindern anstellen?

Die Impfschlangen sind furchtbar, das ist nicht unser Anspruch. Überall werden die Impfkapazitäten weiter hochgefahren. Ein besonderer Dank gilt vor allem den Hausärzten, die zusätzlich an den Abenden und am Wochenende impfen und somit die angespannte Situation entlasten.

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Sind Sie für eine generelle Impfpflicht?

Die Menschen sollten die Impfentscheidung aus eigener Erkenntnis treffen, und sie nicht aufgezwungen bekommen. Ich sehe, dass viele Menschen langsam umdenken. Das ist nicht einfach. Denn die monatelangen Desinformationskampagnen und Lügen von Rechtsextremen und AfD haben für Verwirrung gesorgt. Es sind schon Familien und Freundschaften zerbrochen, da ist es schwer, eine Positionierung zu verändern.

Im Bund haben SPD, Grünen und FDP gerade ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Können Sie der Ampel etwas Positives abgewinnen?

Ja, natürlich. Es ist ein neuer Anfang. Man merkt, dass da viel gearbeitet und gerungen wurde. Ich finde die Ideen für die Planungsbeschleunigung bei Infrastrukturprojekten von Stromtrassen, über Bahngleise bis zu Straßen sehr gut. Das sollte schnell realisiert werden. Ich plädiere für einen Infrastrukturpakt von Bund und Ländern. Die Länder sollten die Planungs- und Genehmigungsbehörden personell deutlich besser ausstatten. Und der Bund sollte ein sehr ambitioniertes Gesetz vorlegen, durch das Infrastrukturaufbau innerhalb weniger Jahren ermöglicht wird. Die Verhinderer müssen dann mal endlich zur Seite treten.

Die CDU wählt mal wieder einen neuen Vorsitzenden. Zwei Mal haben sie schon Friedrich Merz unterstützt – jetzt wieder?

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Ja. Friedrich Merz wäre die beste Lösung. Wir brauchen jemand, der als Oppositionsführer die Regierung stellt. Er hat viel Erfahrung, einen klaren ordnungspolitischen Kompass, ist mit großer Freude am Werk und hat sich deutlich breiter aufgestellt. Ich habe auch das Gefühl, dass Friedrich Merz von den Mitgliedern der CDU und vom Großteil der Bevölkerung gewollt wird.

Oppositionsführer – heißt das, der Parteichef sollte die Fraktionsführung übernehmen?

Über ihren Vorsitzenden entscheidet die Fraktion.

Kandidieren Sie auf jeden Fall als Vize-Parteichef?

Ich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen. Aber an welcher Stelle das sein wird, werde ich entscheiden, nachdem der Vorsitzende gewählt ist.

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Was ist thematisch die größte Schwäche der CDU? Was muss der neue Parteichef als erstes anpacken?

Bei der Rente haben wir noch eine Leerstelle. Da brauchen wir noch ein ambitioniertes Konzept. Das gilt auch für die Energieversorgung: Was die Ampel vorlegt, ist Wolkenkuckucksheim. Es gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland, weil Energie knapp wird. Das kann dazu führen, dass Unternehmen abwandern. Aber die Union hat selbst noch kein Konzept vorgelegt, das überzeugt hat. Auch das muss auf den Tisch gelegt werden. Das könnte Friedrich Merz auf jeden Fall leisten.

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