Michael Kretschmer: der Russland-Versteher aus Dresden
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Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU, Mitte), beim Frühstück in Moskau.
© Quelle: Pawel Sosnowski/Sächsische Staa
Moskau. Ist Michael Kretschmer ein Verräter unserer Grundwerte? Nein, das ist er nicht. Aber der CDU-Politiker aus Sachsen wird zuweilen so heftig kritisiert, als sei er es. Da fährt er mitten in der Corona-Pandemie einfach so nach Moskau, eröffnet eine Ausstellung, verhandelt die Lieferung von 30 Millionen Sputnik-Impfdosen für Deutschland und telefoniert dann auch noch mit dem Autokraten Wladimir Putin. Das ist schon starker Tobak – für manchen.
Aufregung wie 2019
Die Aufregung über Kretschmers am Samstagabend zu Ende gegangenen 3,5-Tage-Trip nach Moskau war ähnlich groß wie im Dezember 2019, als Sachsens Ministerpräsident nach St. Petersburg zum Wirtschaftsgipfel reiste und sich dort mit Russlands Präsident traf. Ein Thema war die Aufhebung der EU-Sanktionen, erklärte Kretschmer damals im Anschluss, betonte die besondere Verbundenheit Ostdeutschlands mit Russland und traf damit auch einen großen Teil der Stimmung unter der sächsischen Bevölkerung.
Das Treffen löste Empörung aus, viele Bundespolitiker wie die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer oder der frühere CDU-Europapolitiker Elmar Brok kritisierten den Auftritt. Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, forderte Kretschmer sogar auf, seinen außenpolitischen Berater zu „feuern“.
Kritik vom Außenminister
Dieses Mal rief Außenminister Heiko Maas (SPD) Kretschmer zur Ordnung, womöglich auch etwas gekränkt darüber, dass ein Provinzfürst in die Domäne des Auswärtigen Amtes eindringt. Er hoffe, dass Kretschmer in seinen Gesprächen mit der russischen Führung den Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine und die Inhaftierung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny anspreche, und dass er „sich nicht instrumentalisieren lässt“, sagte Maas.
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Kretschmer kam gar nicht umhin, diese Dinge anzusprechen, denn schon vor Maas hatten andere Kritiker formuliert, was sie erwarteten: „Eine Reise nach Russland in diesen Tagen sollte maßgeblich dafür genutzt werden, konstruktiv auf Problemfelder hinzuweisen“, sagte etwa Sachsens Landessprecher der Grünen, Norman Volger, und nannte konkret „Menschenrechte und Frieden“. Und auch nach Moskau mitgereiste und dort ansässige Journalisten deutscher Medien forderten Kretschmer in den dreieinhalb Tagen immer wieder auf, „Farbe zu bekennen“.
Telefonat mit Putin bei Facebook
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Das tat er dann auch. Er traf sich nicht nur mit Wirtschaftsbossen, Bankern und Ministern, sondern auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft und von Nichtregierungsorganisationen. In einem Telefonat mit Putin versicherte er nicht nur, dass er immer noch für die Abschaffung der Sanktionen sei, die auch der sächsischen Wirtschaft massiv schadeten, sondern sagte auch, dass dafür der Ukraine-Konflikt gelöst werden müsste. Und auch Nawalnys Gesundheitszustand kam zu Sprache.
Doch das war nicht genug. Auf einer im Nobelhotel Four Seasons anberaumten Pressekonferenz wollten Journalisten wissen, ob Putin in dem Gespräch den Namen Nawalny in den Mund genommen habe, was er ja nie tue. Kretschmer dachte kurz nach, sagte dann, es sei alles ziemlich schnell gegangen, und schloss, er erinnere sich nicht genau.
Kritik von Journalisten
In wessen Auftrag er das mit dem Impfstoff verhandelt und verkündet habe, wollten Reporter wissen. Bekannt zu geben, dass Deutschland dreimal zehn Millionen Dosen aus Russland bekomme, das wäre doch eigentlich der Job von Gesundheitsminister Jens Spahn gewesen.
Nun ja, da trifft sich Sachsens Regierungschef in Moskau mit Russlands Gesundheitsminister Michail Muraschko, stellt sich danach vor die Presse und sagt einfach: „Im Juni geht das dann wohl los mit Sputnik V.“ Etwas unkonventionell ist das schon.
Weiterer Impfstoff: Deutschland will 30 Millionen Dosen Sputnik V erwerben
Deutschland will nach Angaben des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) 30 Millionen Dosen des russischen Impfstoffs Sputnik V erwerben.
© Quelle: dpa
Darf das denn der Kretschmer einfach so? Für sein Telefonat mit Putin, über das auch der Kreml eine Nachricht herausgibt, wird er bei Facebook mit Häme überzogen. Ob er nach Moskau gefahren sei, um ein Ortsgespräch zu führen, fragt jemand. Er sähe aus wie ein Schuljunge, der von seiner Mutti Aufträge entgegennimmt, schreibt ein anderer.
Das Foto, das sein Stab in die sozialen Netzwerke bugsierte, entstand im Gästehaus der russischen Regierung und zeigt ihn, wie er auf einem antiken Sofa sitzt, mit einem Telefonhörer in der Hand, der aussieht wie aus Breschnews Zeiten. Aber es gibt auch Lob: „Ich kann die Reise des MP nach Russland nur begrüßen. Es ist ein Händereichen, und einer muss da nun mal den ersten Schritt tun“, schreibt ein User.
Dass mit Kretschmers Reise tatsächlich ein neues Kapitel deutsch-russischer Beziehungen aufgeschlagen wurde, davon kann keine Rede sein. Es ging eher darum, den Gesprächsfaden nicht ganz abreißen zu lassen, wie der CDU-Politiker es selbst immer wieder nennt.
Und dann lässt er im Four Seasons vom Stapel, wie er die Sache sieht: „Ich bin für den Abbau der Sanktionen. Das unterscheidet mich von Maas. Ich bin für die Erdgaspipeline Nord Stream 2, ich halte das Projekt für wichtig und richtig. Ich bin in Sorge, dass sich unser Verhältnis zu Russland weiter verschlechtert, und das kann uns nicht gleichgültig sein. Es geht um ein Land von weltpolitischer Bedeutung, um eine Atommacht.“
Ist Kretschmer ein Putin-Versteher? Bedingt. 1975 im sächsischen Görlitz an der Grenze zu Polen geboren und aufgewachsen, trat er im 1989er-Herbst der Friedlichen Revolution als Teenager in die Christlich-Demokratische Jugend ein und machte bald in der Jungen Union Karriere. Putin war zu dieser Zeit noch im Auftrag des gefürchteten Geheimdienstes KGB in Dresden stationiert, und beider Lebenswege hatten nicht eben viele Parallelen, außer dass sie im gleichen System aufgewachsen waren.
Emotionale Komponente
Aber diese Komponente ist nicht zu unterschätzen, und wenn Kretschmer an der richtigen Stelle getroffen wird, dann gerät er in Fahrt, dann verlässt er die rationale Ebene, landet auf der emotionalen Seite und sagt Sätze wie diese: „Es hat mich damals sehr berührt, als ich das erste Mal auf dem Roten Platz gestanden habe, den ich nur aus meinem Russischschulbuch kannte. Obwohl die Rote Armee in der DDR Besatzungsmacht war, hat es so etwas wie Vertrautheit gegeben. Unsere Aufgabe als Ostdeutsche, als Sachsen, muss es sein, eine Brückenfunktion nach Osteuropa zu übernehmen.“
Ist Kretschmer ein Russland-Versteher? Auf jeden Fall. Der bullige Michail Schwydkoi steht im Moskauer Hotel Metropol am gedeckten Tisch mit einem Glas in der Hand. Der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten berichtet, wie er sich einst mit dem damaligen deutschen Kulturstaatsminister Michael Naumann getroffen habe. Während des Gesprächs stellte sich heraus, dass beider Väter 1943 in Stalingrad gekämpft hätten.
„Wir haben viel Wodka getrunken und uns geschworen, dass wir alles dafür tun werden, damit unsere Kinder und Enkel nicht erleben müssen, was unsere Väter erlebt haben“, erzählt Schwydkoi, erhebt sein Glas und sagt: „Auf die deutsch-russische Freundschaft!“ Ein sichtlich gerührter Michael Kretschmer steht auf und stößt mit Schwydkoi an. Das sind die Momente, da packt es ihn. Da ist er Ossi. Wie alle Ossis, denen die deutsch-sowjetische Freundschaft als Herzensangelegenheit von oben verordnet wurde, und von der doch irgendwie etwas hängen geblieben ist.
Nicht zuletzt auch ein gewisses Schuldgefühl. Nachdem Kretschmer am Tag eins seiner Moskau-Reise an der Kremlmauer einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten niedergelegt hatte, sagte er: „Wir müssen uns unserer Verantwortung stellen. Im Juni ist es 80 Jahre her, dass Nazi-Deutschland die Sowjetunion überfallen hat.“
Neue Einladung an Putin
„Träume von Freiheit“, ist der vielsagende Titel der Ausstellung, die Kretschmer in der weltberühmten Moskauer Tretjakow-Galerie eröffnet hat. Es geht um romantische Malerei aus Deutschland und Russland, die hier zu einer Exposition von Weltklasse zusammengefügt wurde. Bis zum Sommer läuft sie in Moskau, ab Oktober ist sie im Dresdner Museum Albertinum zu sehen. Zur Eröffnung hat Kretschmer Putin eingeladen. Er weiß, dass er damit wieder für Ärger sorgen wird, er weiß aber auch, dass er damit einen emotionalen Punkt bei einem der mächtigsten Männer der Welt berührt.
Mit Dresden verbindet sich viel für den Kremlchef: Seine Zeit als junger KGB-Offizier, als junger Familienvater, und nach dem Herbst 1989 der Rückzug in die Sowjetunion in eine zunächst völlig ungewisse Zukunft. Da konnte er nicht ahnen, dass er zehn Jahre später als Präsident Russlands auf dem Semperopernball in Dresden im Frack glänzen und einen Dankesorden entgegennehmen würde. Die bundesweite mediale Empörung darüber musste der damalige sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) abpuffern.
Wenn Putin im Oktober nach Dresden kommt, landet Kretschmer seinen nächsten medialen Coup. „So geht sächsisch“ heißt der Werbeslogan des Freistaates. Nicht alles, was unter dieser Dachmarke subsumiert wird, ist politisch immer ganz korrekt.