Merkels Abschied auf Raten
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht bei der Regierungsbefragung im Deutschen Bundestag.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
seit ein paar Wochen hängt ein Schleier der Nostalgie über dem Regierungsviertel, der zunehmend dichter wird: Merkels letzte reguläre Ministerpräsidentenkonferenz, Merkels letzter G7-Gipfel, Merkels letzte Regierungsbefragung, Merkels letzte Rede zu einem EU-Gipfel. Ich möchte Sie nicht langweilen, aber ich hätte noch ein paar Merkel-Finalismen auf Lager.
Wobei in der Regel dem Wort letzter, letzte oder letztes stets ein „offiziell“ folgt oder vorangestellt wird. Denn niemand weiß, wie lange Merkel tatsächlich noch regieren muss. Die Sondierungen und Koalitionsverhandlungen für die nächste Bundesregierung könnten auf jeden Fall länger dauern. Die Mehrheit der Unterhändlerinnen und Unterhändler, die voraussichtlich dabei sein werden, hat noch keine Erfahrung mit dem Verhandeln von Koalitionsverträgen auf Bundesebene.
Und wenn dann wieder einer meint, es wäre besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren, dann dreht Merkel eben noch eine Runde – in ihrem Stil, besser glanzlos zu regieren, als nicht die Macht zu sichern.
Merkel besucht Biden am 15. Juli im Weißen Haus
Zuletzt ist Kanzlerin Merkel kaum noch gereist. Für Mitte Juli hat sie nun wieder einen ersten bilateralen Besuch geplant.
© Quelle: dpa
Wahrscheinlich wird man Merkel noch vermissen. Inzwischen meinen das in Berlin und Brüssel doch ziemlich viele Leute, die in den vergangenen 16 Jahren mit ihr zu tun hatten. Auch ihre Kritikerinnen und Kritiker haben auf einmal so einen feierlichen Unterton, wenn es um das Ende dieser Kanzlerschaft geht.
Merkel selbst war ja noch nie die Frau der großen Gesten oder der inszenierten Auftritte. Zur presseöffentlichen Feier ihres 60. Geburtstag im Jahr 2014 lud sie einen Historiker als Festredner ein. Ein gehaltvoller Input, Applaus, ein paar Häppchen, das war’s. Kein Tusch, keine Torte, kein Tamtam. Als es kürzlich im Kanzleramt den ersten protokollarischen Annäherungsversuch an die Regierungschefin gab, um die Feierlichkeiten zu ihrem Abschied zu besprechen, wehrte sie dies erst einmal energisch ab.
Während also das Umfeld der Kanzlerin schon wehmütig auf das Ende blickt, macht Merkel einfach nüchtern weiter, als gebe es die Bundestagswahl im September gar nicht, die ihr Ausscheiden aus dem Bundestag und ihr Ende als Kanzlerin besiegelt.
Bei ihrer tatsächlich letzten Befragung durch die Bundestagsabgeordneten am Mittwoch im Parlament hatte sie sich mit Zahlen, Fakten und Argumenten bewaffnet, als müsse sie ihre Politik noch die nächsten zehn Jahre verteidigen. Sie feilschte sogar mit dem Bundestagspräsidium um ihre Redezeit.
Merkel ist deutsche Meisterin im Kritik-gepflegt-an-sich-abtropfen-Lassen, und dennoch ist es ihr nicht egal, was man ihr hinterherruft. „Lame Duck“ – die lahme Ente, die keiner mehr politisch für voll nimmt – soll jedenfalls nicht dabei sein. Dafür strengt sie sich weiter an. „Bis zum letzten Tag“, an dem sie Verantwortung habe, wolle sie regieren und zwar „möglichst vernünftig“, hat sie kürzlich vor der Hauptstadtpresse angekündigt.
Und sollten die Koalitionsverhandlungen tatsächlich lange dauern, dann hält sie zur Not auch noch einmal die Neujahrsansprache, nachdem eigentlich die zum Jahreswechsel 2021 ihre letzte war.
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Es hellt sich auf. Der grüne Höhenflug, der Ansatz der Unbesiegbarkeit, der ist zumindest vorbei.
Markus Söder,
CSU-Chef
Die Worte des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder zeigen, wie sehr die Union angesichts der zwischenzeitlich sensationell guten Umfragewerte der Grünen unter Druck stand.
Für Söder ist die Erleichterung groß. Denn wäre die Union in ihrem Tief hängen geblieben, hätte man auch ihm und seiner Auseinandersetzung mit CDU-Chef Armin Laschet um die Kanzlerkandidatur die Verantwortung für den Ansehensverlust der Union zugewiesen.
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Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern, spricht nach einem Treffen der Führung von CDU und CSU.
© Quelle: Getty Images
Dass sich die Grünen in den Umfragen nun wieder hinter der Union einreihen, ist für Söder allerdings nur ein schwacher Trost. Er hat den Machtkampf gegen Laschet verloren, er musste zur Vorstellung des gemeinsamen Programms nach Berlin reisen, inhaltlich konnte sich die CSU nicht durchsetzen, und nun muss er in Bayern seine Leute motivieren, für Laschet Wahlkampf zu machen. Denn um die Grünen bei der Bundestagswahl auf Abstand zu halten, muss die CSU ein gutes Ergebnis beitragen.
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Es sind noch rund 100 Tage zur Bundestagswahl. In den Umfragen verfestigt sich der Vorsprung für die Union. Sie liegt dem RTL/ntv-Trendbarometer zufolge nun bei 29 Prozent. Ein Punkt mehr als in der Vorwoche. Die Grünen kommen auf 21 Prozent, SPD 15, FDP 13, Linke 6 und AfD 9 Prozent.
„Das größte Vertrauen haben die Bundesbürger zu den zwei politischen Akteuren, die im beginnenden Wahlkampf keine oder nur eine auf den Freistaat Bayern begrenzte Rolle spielen: Angela Merkel und Markus Söder“, schreibt der Chef des Umfrageinstituts Forsa, Manfred Güllner.
Das Vertrauen zu den Kanzlerkandidaten von Union und SPD, Armin Laschet und Olaf Scholz, sei leicht gestiegen. Das zu der Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock breche drastisch ein. Dass Scholz trotz guter persönlicher Werte seine SPD nicht nach oben ziehen kann, liegt nach Güllners Analyse an der Parteiführung aus Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans und Kevin Kühnert.
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