„Deutschland liefert nach wie vor nicht alles, was notwendig und möglich wäre“
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Andrij Melnyk ist noch bis Ende September Botschafter der Ukraine in Deutschland.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Der scheidende ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, hat im Abschiedsinterview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) noch einmal die Bundesregierung für ihre zögerliche Haltung in Sachen Waffenlieferungen an sein Land kritisiert. „Es läuft jetzt zwar besser“, sagte Melnyk mit Blick auf die ersten Tage des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, als Deutschland zunächst 5000 Schutzhelme in Aussicht stellte.
Die Ukraine habe jetzt zum Beispiel zehn Panzerhaubitzen 2000 und drei Mehrfachraketenwerfer Mars II bekommen. „Dafür sowie für Geparde und andere Waffensysteme sind wir dankbar“, betonte Melnyk, fügte jedoch hinzu: „Nach unserem Eindruck liefert Deutschland nach wie vor nicht alles, was notwendig und möglich wäre, ohne die Bundeswehr zu schwächen.“
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„Rücksicht auf Russland“
Wenn es zum Beispiel um Kampfpanzer des Typs Leopard ginge, die die Ukraine direkt von der deutschen Industrie beziehen könnte, dann käme von der Bundesregierung immer die gleiche Ausrede: „Wir wollen nicht die Ersten sein“, sagte Melnyk. „Man will offenbar mit Rücksicht auf Russland nicht direkt Kampfpanzer an uns liefern, obwohl der Leopard 1 schon über 40 Jahre alt ist, sondern sucht Umwege über Ringtauschmodelle, die dann komplett scheitern oder zumindest für Verstimmung bei Beteiligten sorgen.“
Der Diplomat, der Ende September von Berlin nach Kiew wechselt, kritisierte weiter: „Wir erleben ein Art Blockade, die ich nicht verstehen kann. Am Anfang gab es das Argument, die Ukrainer können die deutsche Technik nicht bedienen. Aber innerhalb von drei Wochen haben unsere tüchtigen Jungs gelernt, die Panzerhaubitze 2000 zu beherrschen. Die deutschen Ausbilder waren erstaunt, dass die Ukrainer so gut sind und auch Englisch sprechen.“
Er denke, so Melnyk, hinter all dem stehe „eine rein politische Entscheidung“. „Wahrscheinlich steckt dahinter der Wunsch, es sich mit Moskau nicht ganz zu verscherzen. Man will wohl Freiräume für die Nachkriegszeit behalten, um vielleicht auch wieder als Vermittler auftreten zu können. Darüber kann man nur spekulieren.“
„Abschied fällt sehr schwer“
Der Abschied von Berlin fällt dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk nach siebeneinhalb Jahren im diplomatischen Dienst in Deutschland nicht leicht. „Ja, dieser Abschied fällt mir und meiner Familie tatsächlich sehr schwer, weil wir uns in Deutschland sehr wohl gefühlt, weil wir dieses Land geliebt, aber vor allem, weil wir viele neue Freunde für die Ukraine gewonnen haben“, sagte Melnyk, der den Berliner Politikbetrieb nicht immer ganz diplomatisch aufgerüttelt hat, beispielweise mit der Forderung nach schweren Waffen für die Ukraine oder damit, dass Bundeskanzler Olaf Scholz Kiew besuche solle, um ein Zeichen zu setzen.
Nach jetzigem Stand wird Melnyk noch bis Ende September in Berlin im Amt bleiben und dann ab Oktober nach Kiew wechseln. „Es gibt den Vorschlag meines Außenministers Dmytro Kuleba, den Präsident Wolodymyr Selenskyj voll und ganz unterstützt, dass ich als sein Stellvertreter ins ukrainische Außenministerium wechseln soll“, sagte Melnyk. „Für dieses Vertrauen bin ich ihnen sehr dankbar. Aber die Entscheidung trifft laut Verfassung unsere Regierung. Hier möchte ich daher nicht vorgreifen.“
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