Zurückgelassene in Afghanistan warten auf Rettung
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Die Evakuierungsmission des US-Militärs aus Afghanistan ist eigentlich abgeschlossen. Doch noch immer sitzen viele Amerikaner und weitere Schutzbedürftige fest.
© Quelle: Sgt. Jillian G. Hix/U.S. Army vi
Washington. Nach der Machtübernahme durch die militant-islamistischen Taliban sitzen noch immer viele Menschen in Afghanistan fest - ihre Stimmung wird zusehends verzweifelter. In Masar-i-Scharif verweigern die Taliban seit Tagen Hunderten Afghanen die Erlaubnis, sich an Bord von gecharterten Evakuierungsflügen zu begeben, unter ihnen sind auch Dutzende amerikanische Staatsbürger sowie Greencard-Inhaber und deren Familien. Die Appelle an die US-Regierung von Joe Biden werden lauter.
Ein Zurückgelassener fürchtet seine Enthauptung
Besonders setzen sich Veteranen des US-Militärs dafür ein, die Menschen außer Landes zu bringen. Unter denen, die auf Rettung warten, ist auch ein Mann, der nach eigenen Angaben damit rechnet, dass ihn die Taliban enthaupten wollen. „Unglücklicherweise sind wir nun zurückgelassen“, sagt der Mann, der 15 Jahre lang für die US-Streitkräfte als Übersetzer arbeitete und dessen Identität die Nachrichtenagentur AP aus Sicherheitsgründen geheim hält. „Niemand hat unsere Stimme gehört.“
Von der Biden-Regierung erwarten die Menschen, dass sie tätig wird, um sie an Bord der aufgehaltenen Evakuierungsflüge zu bekommen, die am Flughafen von Masar-i-Scharif bereits parat stehen, aber nicht abfliegen dürfen.
Übersetzer des US-Militärs sitzt in Hotel fest
Der ehemalige Übersetzer berichtet, ihm gehe das Geld aus, um seiner Familie in einem Hotel der Hauptstadt der Provinz Balch ein Dach über dem Kopf zu bieten. Veteranen der US-Streitkräfte, die sich für seine Rettung einsetzen, berichten, die Anstrengung sei belastender gewesen als ihr monatelanger Militäreinsatz in dem Land. Sie versuchten erfolglos, ihren alten Übersetzer an Bord der Evakuierungsflüge zu bringen, die mit dem US-Truppenabzug Ende August endeten. Er hoffe, es klappe, die Familie aus dem Chaos herauszubringen, sagt der pensionierte Oberst Thomas McGrath, der zu den Unterstützern des Mannes gehört.
Die Stimmung unter den Hunderten, die ihrer Evakuierung harren, wird verzweifelter. „Wir glauben, dass wir in einer Art Gefängnis sind“, sagt eine afghanische Frau, die mit vielen anderen in einem großen Hotel in Masar-i-Scharif auf Rettung wartet. Die Amerikaner und Greencard-Inhaber in der Gruppe beschreibt sie als zumeist ältere Eltern afghanisch-amerikanischer US-Bürger.
Die Taliban-Anführer, die am Dienstag ihre Übergangsregierung für Afghanistan vorstellten, haben erklärt, sie wollten Menschen mit gültigen Papieren außer Landes lassen. Nach eigenen Angaben läuft die Überprüfung der Papiere der möglichen Passagiere für die Evakuierungsflüge aus Masar-i-Scharif. US-Außenminister Antony Blinken erklärte am Dienstag, man arbeite mit den Taliban an einer Lösung für die Pattsituation bei den Evakuierungsflügen.
Dabei wies er eine Äußerung eines republikanischen Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses zurück. Michael McCaul aus Texas hatte mit Blick auf die festsitzenden Amerikaner erklärt, in der Stadt entwickle sich eine „Geisel-Situation“. Den USA sei versichert worden, dass alle Amerikaner und Afghanen mit gültigen Reisedokumenten eine Erlaubnis erhielten, das Land zu verlassen, betonte Blinken bei einem Besuch in Doha. Während der militärischen Evakuierungsflüge im vergangenen Monat war die Hauptstadt Katars ein wichtiges Drehkreuz gewesen.
Am Dienstagabend erhöhten zwölf demokratische US-Abgeordnete mit einem Schreiben den Handlungsdruck, in dem sie forderten, die Hunderten Wartenden - und nicht nur die Amerikaner unter ihnen - außer Landes zu bringen. In Doha erklärte Blinken, die Taliban hätten gesagt, das Problem in Masar-i-Scharif sei, dass sich Passagiere mit gültigen Reisedokumenten mit jenen ohne solche Dokumente vermischten.
Ausreise trotz gültiger Papiere verweigert
Die afghanische Frau aus dem Hotel, die mit der Nachrichtenagentur AP in Kontakt stand, erklärte, in ihrer Gruppe verfügten alle über gültige Dokumente, würden aber dennoch an der Anreise zum Flughafen gehindert. Wie der Übersetzer warte sie bereits seit acht Tagen.
In dem mit Frauen belegten Teil des Hotels kam große Aufregung auf, als sich in der vergangenen Woche das Gerücht verbreitete, die Taliban durchsuchten die auf Evakuierung wartenden Männer und hätten einige mitgenommen. „Ich habe Angst, falls sie uns aufteilen und uns nicht gehen lassen“, sagte die Frau. „Wenn wir hier nicht hinaus können, wird etwas Falsches passieren. Und davor habe ich Angst.“
Der Übersetzer, der in dem Hotel mit seiner Frau und seinen acht Kindern wartet, sagt, wegen seiner Arbeit für das US-Militär rechne er in dem Fall mit seiner Enthauptung durch die Taliban. „Sie werden ihn wahrscheinlich töten“, stimmt McGrath überein, der sich auch um die Kinder des Mannes sorgt. Der Übersetzer habe mit seinem Einsatz viel riskiert, den er als Dienst am eigenen Land verstanden habe.
Eine Vielzahl von Amerikanern hat sich seit Wochen für mehr Evakuierungen bedrohter Menschen aus dem Land eingesetzt. Die Anstrengungen konzentrieren sich nun auf die Flugzeuge in Masar-i-Scharif. Einige dieser Amerikaner sagten am Dienstag, sie befürchteten nun, dass sich die US-Regierung nur für die eigenen Staatsbürger einsetzen und alle anderen zurücklassen werde: Greencard-Inhaber, Menschen, die mit Amerikanern zusammenarbeiteten - und andere, deren Arbeit sie nach der Machtübernahme durch die Taliban verwundbar macht, darunter Journalisten und Frauenrechtler.
Alex Plitsas, ein Vertreter der Gruppe Digital Dunkirk, die sich für Evakuierungen aus Afghanistan nach dem Ende der militärischen Evakuierungsflüge einsetzt, sagte mit Blick auf die bereits erfolgten Evakuierungsflüge: „Unsere Männer und Frauen in Uniform und die Diplomaten am Boden in Kabul haben einen fantastischen Job gemacht.“ Nun sei es an der Zeit, auch die letzten Zurückgebliebenen nach Hause zu bringen.
RND/AP