Wiederaufbau der Ukraine: Generationenaufgabe und Milliardenkosten
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Beim deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin hält Bundeskanzler Olaf Scholz eine Grußrede
© Quelle: IMAGO/Chris Emil Janßen
Berlin. Es sind diese Zahlen, mit denen die ukrainische Wirtschaftsministerin den ökonomischen Niedergang ihres Landes als Folge von Russlands Angriffskrieg ins allgemeine Bewusstsein ruft: Bis Ende des Jahres wird das Land eine Arbeitslosenquote von 30 Prozent haben, die Inflation wird auf 30 Prozent steigen und die Wirtschaftskraft um 30 Prozent abgestürzt sein.
Yulia Svyrydenko ist am Montag aus Kiew mit einigen digitalen Hindernissen zum deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum Rebuild Ukraine in Berlin zugeschaltet. Mal ist das Bild weg, mal der Ton, dann hat die Übersetzerin zwei Kanäle auf dem Ohr. Aber Svyrydenkos Botschaft kommt unmissverständlich an: „Wir werden die Ukraine wieder aufbauen. Wir fangen heute schon damit an.“
„Die Ukraine als EU‑Mitglied im Kopf“
Eine der treibenden Kräfte ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Er hat die G7‑Staaten unter deutscher Präsidentschaft und weitere internationale Partner sowie zivile Organisationen zu einer Wiederaufbaukonferenz am Dienstag nach Berlin geladen, um über die Rahmenbedingungen zu sprechen. Scholz hat sich früh für einen „Marshallplan“ für die Ukraine ausgesprochen. Gemeinsam mit EU‑Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) will er nun dafür werben.
Mit dem Marshallplan hatten die USA zwischen 1948 und 1952 mit Milliarden US‑Dollar den Wiederaufbau in Deutschland und anderen europäischen Staaten finanziert. Vorstellungen deutscher Unternehmen zufolge, sollten sich nach damaligem Muster internationale Geber und Geberinnen und die Regierung in Kiew darauf konzentrieren, schnell Anreize für die Privatwirtschaft zu schaffen.
Am Wiederaufbau beteiligte Länder sollten ferner hochrangige Koordinatoren und Koordinatorinnen für die Ukraine ernennen. Jedes Geberland solle die Aufsicht über eigene Projektmittel behalten, um Transparenz und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten. Denn die Ukraine hat ein gehöriges Korruptionsproblem.
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© Quelle: dpa
Scholz mahnt Kiew zu Kampf gegen Korruption
So appelliert auch Scholz beim deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum an Kiew: „Zugleich wünschen sich alle mehr Verlässlichkeit des Rechtsstaates, mehr Transparenz und einen entschiedenen Kampf gegen die Korruption.“
In seiner Rede zeigt er Richtung und Motivation für die nötigen – vor allem auch privatwirtschaftlichen – Investitionen auf: „Wer heute in den Wiederaufbau der Ukraine investiert, der investiert in ein künftiges EU‑Mitgliedsland, das Teil sein wird unserer Rechtsgemeinschaft und unseres Binnenmarkts.“ Scholz spricht von der „Ukraine als EU‑Mitglied im Kopf“ mit einer Verkehrsinfrastruktur, Logistik und Energieversorgung, durch die das Land problemlos an die EU angebunden werden könne. Das sei allerdings eine „Generationenaufgabe“.
Scholz sagt dann aber auch noch dies: „Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht erst stattfinden muss.“ Er meint die erfolgreiche Verteidigung der Ukraine, so dass Russland sich zurückziehen muss.
Habeck: Ukraine braucht „akute Winterhilfe“
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) macht eine Prioritätenliste auf: Absoluten Vorrang habe, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer diesen Winter überstünden. Kremlchef Wladimir Putin versuche mit der Zerstörung von Strom-, Wärme- und Wasserversorgung, die Menschen aus dem Land zu treiben. Sie bräuchten „akute Winterhilfe“.
Die folgenden Schritte müssten aber am besten alle gleichzeitig passieren: direkte Kooperationen zwischen Unternehmen, Wiederaufbau mithilfe des „Marshallplans“, Bekämpfung der Korruption. Habeck bewirbt die Ukraine als „Premiumhandelspartner im Bereich von Rohstoffen“. Die Ukraine wird unter anderem als Lieferant für Energie, Chemie, Getreide gesehen – wenn der Krieg vorbei ist.
Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des EU‑Parlaments und frühere Bundesjustizministerin, sagt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), der Vorstoß von Scholz und von der Leyen sende das unmissverständliche Zeichen, dass Deutschland und die EU entschlossen hinter der Ukraine stünden. Die von Russland zerstörte kritische Infrastruktur müsse schnell wiederhergestellt werden. „Wir müssen sicherstellen, dass kein Mensch in der Ukraine diesen Winter verhungert oder erfriert.“
Olaf Scholz zeige, dass er bereit sei, die europäischen Anstrengungen beim ukrainischen Wiederaufbau gemeinsam mit der EU‑Kommission anzuführen. Barley: „Wir Deutschen wissen am besten, wie wichtig die Hilfe aus dem Ausland bei dem Wiederaufbau des eigenen Landes ist.“ Wie viel Geld die Ukraine benötige, werde sich bei der Wiederaufbaukonferenz und im weiteren Kriegsgeschehen zeigen.
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal hat da bereits eine Vorstellung. Er ist extra nach Berlin gekommen, um das Wirtschaftsforum zu eröffnen. Er lobt in seiner Rede die deutschen Waffenlieferungen, vor allem das hochmoderne Luftabwehrsystem Iris‑T, das Deutschland geliefert hat. Was der Wiederaufbau seines Landes kosten wird? Die Weltbank rechne mit 350 Milliarden Dollar, sagt er. „Nach unserer Schätzung werden es 750 Milliarden Dollar werden.“