Schuhe wichtiger als Inhalte?

Wie der männliche Blick die Wahrnehmung von Politikerinnen beeinflusst

Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Verteidigung, am Flughafen in Gao (Mali). Die Bundeswehr ist in dem westafrikanischen Land an der UN-Mission Minusma und einer EU-Ausbildungs­mission beteiligt.

Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Verteidigung, am Flughafen in Gao (Mali). Die Bundeswehr ist in dem westafrikanischen Land an der UN-Mission Minusma und einer EU-Ausbildungs­mission beteiligt.

Berlin. Es werden da gerade wieder Mängellisten hervorgeholt, obenan steht der Name der Verteidigungs­ministerin und das Fazit wird gleich mitgeliefert: Diese Frau könne nun wirklich überhaupt gar nichts. Sekunde mal.

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Natürlich ist es fragwürdig, als Ministerin Familien­angehörige auf Dienstreisen im Hubschrauber mitzunehmen. Auch wenn die Kosten beglichen werden, bleibt der Eindruck der Vorteilsannahme.

Es ist potenziell ungesund, bei einem Truppenbesuch in Mali, bei dem zu festem Schuhwerk geraten wird, in Stöckelschuhen aufzutreten. Und dass in sozialen Netzwerken verbreitete Urlaubsfotos in Krisenzeiten Fragen auslösen, müsste Spitzenpolitikern klar sein. Eine Ministerkollegin von dem Job wegzuloben, den man selbst gerne gehabt hätte, ist unkollegial. Christine Lambrecht bietet also einige Angriffsflächen.

Der Job der Opposition

Lambrecht entzieht sich offenbar manch eingeübtem Mechanismus ihres Ministeriums, sie macht sich in der Öffentlichkeit rar. Das kann Sympathien kosten. Über ihre Politik sagt es nichts aus. Und dass die Union immer wieder ihren Rücktritt fordert, ist der Job der Opposition.

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„Das ist auch etwas, was vor allem Männer lostreten, um sich abzuarbeiten“, stellte die Vorsitzende des Verteidigungs­ausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, im Deutschlandfunk mit Blick auf Schuhe fest.

Man kann die FDP-Frau auf Verteidigungs­mission der Koalition wähnen.

Aber es ist schon so: Der männliche Blick ist in der Politik sehr präsent. Kein Wunder: Nur etwa ein Drittel der Bundestags­abgeordneten sind Frauen. Bei den Korrespondentinnen und Korrespondenten in der Bundespolitik ist es um die Ausgewogenheit der Geschlechter kaum besser bestellt.

Das ist ein Faktor. Das schulterklopfende Männergeklüngel ist vielleicht weniger geworden, aber es hat nicht ausgedient. Wie sie ihren Job mit der Familie vereinbaren können, werden nach wie vor meist die Frauen gefragt.

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Hosen im Bundestag

Zwar echauffiert sich mittlerweile keiner mehr, wenn eine Abgeordnete in Hosen in den Bundestag kommt. 1970 war das noch anders: Lenelotte von Bothmer nahm sich damals diese Freiheit heraus – männliche Kollegen sahen wahlweise die Würde des Bundestags oder die der Frauen beschädigt.

Die Hosen sind nicht mehr das Problem. Aber Angela Merkel war in der CDU erst „Kohls Mädchen“ und dann „Mutti“ – es war nicht nett gemeint. Ihre im Schweigen herabgezogenen Mundwinkel dienten der Bewertung der Person, bis die Raute der Kanzlerinnen­hände die Aufmerksamkeit auf sich zog.

Friedrich Merz übrigens schafft es, bei Wahlsiegen vor sich hinzuschauen, als müsste er gleich seinen Rücktritt verkündigen. Schon mal davon gehört? Eben.

Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein.

Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein.

Der frühere Verteidigungs­minister Peter Struck (SPD) wandte sich bei Wissenslücken völlig selbstverständlich und lautstark an seinen „Adju“, seinen Referenten in Uniform – es galt als sympathische Offenheit, nicht als fehlende Einarbeitung.

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Und dann wäre da Saskia Esken, die SPD-Vorsitzende. Es könne nichts werden mit dieser Frau, prophezeiten die Gegner. Und wieder: der Mund. Die Brille. Der Dialekt. Äußerlichkeiten. Es war nicht die einzige Kritik, aber sie war unüberhörbar. Dafür hat sich Esken jetzt schon ziemlich lang gehalten, die SPD stellt den Kanzler.

Von der Leyens Kampf

Ursula von der Leyen galt in ihrer Partei als schwierig, weil sie als Ministerin ihre Pläne mit einiger Vehemenz betrieb. Als erste Verteidigungs­ministerin des Landes traute sie sich mehr als ihre männlichen Vorgänger: einen entschlosseneren Umgang mit Rechtsextremen in der Truppe und mit einer Rüstungs­industrie, die der Bundeswehr auf der Nase herumtanzte.

Aber die Generäle erwiesen sich als hochsensibel und liebebedürftig – und damit waren nicht rechtsextreme Soldaten und fehlendes Problem­bewusstsein im Fokus, sondern die Ministerin: nicht gedient, zu zackig für die Bundeswehr, abgehakt. Den abfälligen Spitznamen „Flintenuschi“ haben sich immer noch nicht alle abgewöhnt.

Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles als SPD-Chefin räumten männliche Parteikollegen ein, Frauenfeindlichkeit habe eine Rolle gespielt.

Dass Außenministerin Annalena Baerbock den alten Knochen und großen Krisen der Außenpolitik nicht staunend-schüchtern, sondern mit einer selbstbewussten Agenda begegnet, scheint manchem eine Offenbarung.

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Und da sind wir noch gar nicht beim schmutzigen Geschäft der sozialen Netzwerke. Im Spiegel haben gerade mehrere Frauen erzählt, mit welchem Hass sie dort überschüttet werden, weil sie als Politikerin, Autorin, Corona-Expertin öffentlich wahrnehmbar sind. Nicht die Positionierung ist da der Fokus der Kritik, die Angriffe richten sich meist gegen die Person.

Klar, auch Frauen machen Fehler, auch Männer werden kritisiert, die Welt ist nicht schwarz-weiß und es gibt Vätermonate. Aber es gibt Folien, die sich über die Wahrnehmung legen. Es gibt Trends, die sich hinterfragen lassen. Und manch ein Bild wirkt mächtig, hat aber wenig Substanz.

Eine Verteidigungs­ministerin muss nicht als erste Amtshandlung Dutzende Dienstgrade der Bundeswehr auswendig lernen. Auch das ist ja so ein Vorwurf. Die Form wahren lässt sich auch anders. Und es gibt Wichtigeres, als Sterne und Streifen auf Schulter­klappen zu zählen.

Entscheidend ist die Politik: den Umgang mit den Kriegsfolgen etwa oder die weitere Modernisierung des Beschaffungs­wesens, wo Missmanagement und schlecht ausgehandelte Verträge Milliarden kosten. Unnötig Milliardenkosten verursachen, das wäre zum Beispiel ein Mangel, der sich durchs Dienstgrad­deklinieren nicht wettmachen ließe.

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