Macrons Rentenreform ist gerecht, doch die Lage ist verfahren
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Bahnangestellte im Streik demonstrieren in Paris.
© Quelle: imago images/Hans Lucas
Paris. Eine Rentenreform in Frankreich anzugehen, in deren Folge die Menschen länger arbeiten müssen, zeugt von politischem Draufgängertum. Schon in der Vergangenheit haben sich die Franzosen heftig und teils erfolgreich gegen solche Bestrebungen gewehrt: 1995 musste eine Regierung nach einem wochenlangen Kräftemessen mit Reformgegnern auf der Straße sogar zurücktreten.
Es erscheint nicht abwegig, die Bereitschaft vieler Franzosen, für ihre Rechte (und auch für ihre Privilegien) auf die Straße zu gehen und die große Akzeptanz dafür in der Bevölkerung vor dem Hintergrund der langen Tradition zu sehen, die von der Französischen Revolution über die Studentenrevolten im Mai 1968 bis hin zu eben jenem Jahr 1995 reicht.
Umso mehr ist es ein Beleg für Emmanuel Macrons Mut und Ambition, dass er einen überfälligen Umbau des aktuellen Rentensystems mit seinen diversen Sonderregeln für 42 Berufsgruppen von den Zugfahrern über die Mitarbeiter des Stromversorgers EDF bis zu den Tänzern der Pariser Staatsoper angeht. Nach der geplanten Vereinheitlichung wird es einige Verlierer geben, die weiterhin massiv Widerstand leisten, während die Gewinner – darunter befinden sich unter anderem die Geringverdiener und Frauen, die aufgrund der Geburten ihrer Kinder zeitweise die Arbeit ausgesetzt haben – verunsichert sind.
Macron kann sich keinen Rückzug erlauben
Insgesamt erscheint ein einheitliches System, bei dem jeder eingezahlte Euro auch dieselben Rentenansprüche nach sich zieht, schlichtweg gerechter. Doch durch sein kompromissloses Vorgehen hat der Präsident eine maximale Front an Gegnern aufgebaut, die sich gegen jede Veränderung sperren. Denn obwohl die Regierung versichert, sie stehe Gesprächen mit den Sozialpartnern offen gegenüber, vermittelte sie bislang eben gerade nicht den Eindruck, dass es noch viel zu verhandeln gebe.
Macron, der die Modernisierung des Landes versprochen hat, kann sich kein Zurückziehen seiner verhassten Reform erlauben. Er kündigte sie bereits im Wahlkampf an – nicht aber die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die mit ihr einhergehen soll und mit Blick auf das wachsende Defizit auch Sinn macht. Doch nun fühlt sich selbst die reformorientierte CFDT-Gewerkschaft übergangen und hat sich mit den anderen, noch radikaler Widerstand leistenden Gewerkschaften verbündet. Die Blockade des Landes wird fortgesetzt: Touristen bleiben fern, die Geschäfte müssen auf einen Teil ihres Weihnachtsgeschäftes verzichten. Der Wirtschaftsminister hat die Wachstumsaussichten für das laufende Jahr gesenkt und viele Menschen bangen um das Fest im Kreis ihrer Familien, sollten weiterhin Züge, Busse und Flüge ausfallen.
Kerzen zum Weihnachtsfest
Sogar der Strom droht gekappt zu werden, wie es zuletzt wiederholt in verschiedenen französischen Städten geschehen ist: Wer gerne weihnachtliche Lichter mag, sollte sich einen Vorrat an Kerzen anlegen. Dass die Situation so verfahren ist, liegt einerseits an der Sturheit von Gewerkschaftsführern, die eine längere Lebensarbeitszeit oder ein Aufgeben von Privilegien für einige wenige als grundsätzlich indiskutabel ansehen.
Aber es fällt andererseits auch auf die Regierung zurück, der es nicht gelungen ist, den Sinn und die Ausgewogenheit ihrer Reform ausreichend zu erklären. Man wirft ihr vor, ohnehin nur Sparziele zu verfolgen, ohne wirklich ein gerechteres System herbeiführen zu wollen. Dies ist schließlich auch der Eindruck, den die Mehrheit der Franzosen nach zweieinhalb Jahren von der Politik ihres Präsidenten hat. Vor diesem Hintergrund traf es sich äußerst ungünstig, dass am Montag ausgerechnet der Rentenbeauftragte Jean-Paul Delevoye aufgrund des Vorwurfs zurücktreten musste, diverse meldepflichtige Nebentätigkeiten, die teilweise üppig entlohnt wurden, verschwiegen zu haben.
Macron war mit dem Versprechen einer neuen Transparenz angetreten – und konnte es nicht halten. Nun zeigt sich, wie schwer es ist, ohne das Vertrauen der Menschen seine Reformagenda umzusetzen.