Illegale Migration über Belarus: Litauen plant Ausbau seiner Grenze für 42 Millionen Euro
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In Litauen werden derzeit neue Flüchtlingscamps aufgebaut, wie hier am Stadtrand von Pabrade, etwa 40 Kilometer nordöstlich von der Hauptstadt Vilnius entfernt.
© Quelle: imago images/Scanpix
Berlin. Litauen hat angesichts einer stark steigenden Zahl illegal einreisender Asylsuchender mit dem Bau eines 30 Kilometer langen Drahtzauns an der Grenze zu Belarus begonnen. Nach Angaben des litauischen Grenzschutzes sollen Soldaten bei dem Kurort Druskininkai in der Nähe des Dreiländerecks zu Belarus und Polen die Barriere errichten. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat der EU wiederholt damit gedroht, als Reaktion auf die gegen Minsk verhängten Sanktionen Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Afrika ins „gemütliche Europa“ durchreisen zu lassen, und setzt dieses nun in die Tat um.
Litauischer Botschafter in Berlin: „Hybride Aggression“ von belarussischer Seite
Besonders stark betroffen ist Litauen, das eine fast 680 Kilometer lange Grenze zu Belarus hat. Nach offiziellen Angaben wurden bereits mehr als 1500 Menschen aufgegriffen, 750 allein in den ersten Julitagen. Im ganzen Jahr 2020 waren es nur 81.
Litauens Botschafter in Deutschland, Ramunas Misiulis, sagte gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutchland (RND), man betrachte das als eine „hybride Aggression“ von belarussischer Seite und erwarte Unterstützung durch die Europäische Union. Litauen plant nach seinen Worten einen 42 Millionen Euro teuren Komplettausbau seiner Grenzanlagen zu Belarus. Dabei geht es sowohl um Befestigungen als auch um technische Standards, wie etwa Überwachungssysteme. „Die Asylsuchenden wollen eigentlich nicht nach Litauen, sondern weiter nach Deutschland oder Schweden“, sagte Misiulis. Deshalb sei das Ganze ein „gemeinsames Problem“ in der EU.
Beschleunigte Asylverfahren und mehr Grenzbeamte in Litauen
Der Botschafter lobte, dass die in Warschau sitzende europäische Grenzschutzagentur Frontex Litauen bereits unterstützt. So sei vorgesehen, 30 Frontex-Grenzer und mehrere Kraftwagen zusätzlich nach Litauen zu entsenden, auch das Nachbarland Estland unterstütze mit zehn zusätzlichen Beamten. Im litauischen Parlament würde zudem eine Gesetzesänderung vorbereitet, die eine schnellere Bearbeitung von Asylverfahren ermöglicht.
Das Kabinett in Vilnius hatte zuvor bereits den Notstand verhängt, um leichter und schneller reagieren zu können. Litauens Staatspräsident Gintanas Naueseda berief zudem für Montag den nationalen Sicherheitsrat des baltischen EU- und Nato-Landes ein. Auch der polnische Grenzschutz greift derzeit mehr Migranten an der Grenze zu Belarus auf. In diesem Jahr seien es bislang 235 Flüchtlinge gewesen, davon allein seit Anfang Juli 90 Personen, sagte eine Sprecherin der Behörde der Deutschen Presse-Agentur. Im gesamten Jahr 2020 waren es 114 gewesen.
Litauens Botschafter vermutet belarussischen Staat und Geheimdienst hinter den Migrationsbewegungen
Litauens Botschafter sagte dem RND, es gebe den Verdacht, dass das Lukaschenko-Regime die Asylsuchenden gezielt mithilfe staatlicher Reiseagenturen in ihren Heimatländern anwirbt und ihnen Hoffnung macht, dass sie in die EU weiterreisen können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe auch der belarussische KGB seine Hände im Spiel, sonst sei der reibungslose illegale Grenzübertritt nach Litauen nicht denkbar.
In Litauen geht man davon aus, dass Lukaschenko sich dafür rächt, dass die litauische Regierung einer großen Zahl von belarussischen Oppositionellen Asyl gewährt und nun auch noch Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja und deren Team als belarussische Volksvertretung akkreditiert hat. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen schrieb dazu auf Twitter, Lukaschenko versuche, Flüchtlinge als Waffe einzusetzen und so die Solidarität der Menschen mit den Belarussen zu schwächen.
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Innen- und Außenpolitiker des Bundestages sind sich laut RND-Umfrage darin einig, dass Lukaschenko eine „schäbige“, „schändliche“ und „perfide“ Politik mit Flüchtlingen betreibt und dass Litauen in dieser Situation unterstützt werden muss, beziehen aber im Umgang mit der Situation teils unterschiedliche Positionen:
- Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagte, die Meldungen über gezielt nach Litauen geschleuste Flüchtlinge unterstreichen einmal mehr den blanken Zynismus des Lukaschenko-Regimes. Die EU werde sich dadurch jedoch nicht von ihrem Kurs abbringen lassen und an den beschlossenen Sanktionen festhalten, solange sich die Verhältnisse in Belarus nicht zum Besseren gewendet haben. Schmid: „Litauen dürfen wir in dieser Situation nicht alleinlassen, sondern müssen es bei der Bewältigung dieser Herausforderung solidarisch unterstützen.“
- Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Mathias Middelberg, nannte es „schäbig“, Migranten und Flüchtlinge für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Die EU dürfe sich von solchen Methoden nicht unter Druck setzen lassen und müsse die Außengrenzen vor illegalen Grenzübertritten schützen. „Es ist daher völlig richtig, dass Litauen hierzu die Unterstützung von Frontex und des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen erhält“, sagte Middelberg.
Die Linke findet Lukaschenkos Aktionen „gewiss schändlich“ – die Grünen nennen es „perfide Strategie“
- Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken, sagte, die Drohungen von Lukaschenko, der unter Verwendung entmenschlichender Bilder ankündigt, Geflüchtete in die EU weiterreisen zu lassen, seien „gewiss schändlich“. Doch handele es sich dabei keineswegs um eine Spezialität des weißrussischen Machthabers. Schutzsuchende würden von verschiedenen Regierungen regelmäßig als Geiseln missbraucht, um eigene politische Forderungen durchzusetzen – man denke nur an die Grenzöffnung im Frühjahr letzten Jahres durch die Türkei. „Durch ihren schmutzigen Deal mit dem türkischen Autokraten Erdogan haben die EU und insbesondere die Bundesregierung ihre Erpressbarkeit bezüglich der Abschottung der EU-Außengrenze unter Beweis gestellt“, sagte Jelpke. Anstatt jetzt die Grenzen weiter aufzurüsten, sollte sich die EU auf das Recht auf Asyl besinnen. Die EU sei nur erpressbar, solange sie an ihrer menschenverachtenden Abschottungspolitik festhalte.
- Luise Amtsberg, Sprecherin der Grünen für Flüchtlingspolitik, bezeichnete es als „perfide Strategie Lukaschenkos“, aus machtpolitischem Kalkül Menschen als Spielball zu verwenden. Die europäischen Mitgliedsstaaten dürften Litauen in der Situation nicht alleinlassen – insbesondere weil das Land schon viele geflohene Belarussinnen und Belarussen aufgenommen habe. Eine europäische Antwort dürfe allerdings nicht nur aus stärkerem Grenzschutz bestehen, sondern müsse auch das Recht auf Asyl garantieren. Amtsberg: „Asylsuchende müssen angemessen untergebracht werden und ein faires Asylverfahren bekommen. Hier stehen alle europäischen Mitgliedsstaaten gleichermaßen in der Verantwortung.“