Illegale Migration: Zahl der Flüchtlinge an der Grenze zu Litauen steigt immer weiter
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In einem Flüchtlingslager in dem Dorf Verebiejai im Süden Litauens werden Migranten mit Schuhen und anderen Dingen des täglichen Bedarfs versorgt.
© Quelle: Mindaugas Kulbis/AP/dpa
Berlin. Seit Anfang Juli ist die Zahl illegaler Migranten an der fast 680 Kilometer langen Grenze zwischen Litauen und Belarus sprunghaft angestiegen, bislang wurden über 1700 Menschen aufgegriffen, die Asyl beantragen wollen. Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis ist inzwischen davon überzeugt, dass der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko die Flüchtlinge als „politische Waffe“ benutzt, um Druck auf Litauen auszuüben.
Litauens Präsident Gitanas Nauseda hat nach Angaben der Präsidialkanzlei in Vilnius in einem Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel über die Situation gesprochen. Nauseda habe betont, dass die Anzahl an illegalen Grenzübertritten im Vergleich zu 2020 um das 19-Fache gestiegen sei und der Schutz der EU-Ostgrenze verstärkt werden müsse.
Zudem habe er Merkel informiert, dass Litauen bereits die EU-Grenzschutzagentur Frontex und das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen Easo um Hilfe gebeten habe.
Litauen am stärksten betroffen
Zwar hat Lukaschenko der gesamten EU gedroht, Flüchtlinge aus den Krisenregionen Syrien, Irak und Afghanistan sowie aus Afrika in das „gemütliche Europa“ durchreisen zu lassen, aber Litauen ist bislang am stärksten betroffen – und das nicht nur, weil seine Außengrenze länger ist als die zu den beiden anderen EU-Mitgliedsländern Lettland und Polen.
Lukaschenko ist wahrscheinlich auf kein anderes der insgesamt 27 EU-Länder so schlecht zu sprechen wie auf Litauen. Von Anfang an unterstütze das Nachbarland die belarussische Opposition, schon 2005 verlagerte die Europäische Humanistische Universität wegen des innenpolitischen Drucks ihren Sitz von Minsk nach Vilnius
Als das Lukaschenko-Regime im Frühherbst 2020 die Massenproteste gegen die gefälschten Präsidentenwahlen brutal niederschlug, wurde Litauen zum Hauptzufluchtsort für politisch Verfolgte und die Hauptstadt Vilnius quasi zum Hauptquartier der Oppositionsführung.
„Inzwischen leben etwa 2400 Belarussen in Litauen, die aus humanitären Gründen ihr Land verlassen haben“, erläutert Litauens Botschafter Ramunas Misiulis im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Prominenteste Vertreterin ist Swetlana Tichanowskaja, die am 9. August 2020 gegen Lukaschenko zur Wahl angetreten war und von der Demokratiebewegung als wahre Siegerin betrachtet wird. Litauen hat ihr und ihrem Team in Vilnius inzwischen einen offiziellen Status eingeräumt und sie als belarussische demokratische Vertretung akkreditiert.
Wargaming eröffnet Büro in Vilnius
Neben politisch Verfolgten suchen zunehmend auch belarussische Unternehmen Zuflucht in Litauen. Nach Angaben von Misiulis haben bislang etwa 40 Firmen – vor allem aus dem IT-Bereich – damit begonnen, ihre Geschäfte in Litauen aufzubauen, beziehungsweise zu erweitern.
So hat beispielweise der Computerspieleentwickler Wargaming-Group im April ein Büro in Vilnius eröffnet und will dort einige Hundert Arbeitsplätze für Fachkräfte schaffen. Alle 40 Unternehmen zusammen wollen fast 2000 Arbeitsplätze schaffen, was von der Regierung in Vilnius mit speziellen Programmen unterstützt wird.
Litauen baut Barriere aus Stacheldraht an Grenze zu Belarus
Litauen hat an der Grenze zu Belarus mit dem Bau einer Barriere begonnen. Der erste Abschnitt sei 500 Meter lang, 1,80 Meter hoch und bestehe aus Stacheldraht.
© Quelle: Reuters
37 weitere belarussische Firmen denken nach den Worten von Misiulis über einen Standortwechsel nach. „Diese modernen Unternehmen aus dem IT-Bereich sind sehr flexibel, und die Menschen, die dort arbeiten, sind zumeist sehr freiheitsliebend“, sagte der Botschafter.
Litauen beschleunigt Asylprüfverfahren
Am Dienstag beschloss das Parlament in Litauen mehrere Gesetzesänderungen. Mit den neuen Regelungen können die Asylprüfverfahren beschleunigt und die Freizügigkeit von Migranten, die illegal die Grenze überschritten haben, und deren anderen Rechte eingeschränkt werden.
Die verabschiedeten Änderungen wurden teils von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Die Regierung in Vilnius hält sie jedoch für notwendig, um die gespannte Lage an der Grenze zu Belarus unter Kontrolle zu bekommen. Das Kabinett hatte zuvor bereits den Notstand verhängt, um leichter und schneller reagieren zu können.
Das Parlament verabschiedete zudem eine Entschließung, in der der Zustrom an illegal die Grenze überschreitenden Migranten aus Belarus als „hybride Aggression“ bezeichnet wird. Demnach zielten die organisierten Migrationsströme darauf ab, die Lage in Litauen zu destabilisieren. Die Regierung solle daher schnellstmöglich den Schutz der Staatsgrenze verstärken, hieß es in der Erklärung.
Regierungschefin Ingrida Simonyte sprach von einer „besonderen Herausforderung“. Angesichts des anstehenden russisch-belarussischen Großmanövers „Sapad“ müsse die illegale Migration besonders ernst genommen und als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtet werden, sagte sie. Russland will die Militärübung im September gemeinsam mit Belarus in der Nähe der litauischen Grenze abhalten.
mit dpa-Material