Linken-Chefin Hennig-Wellsow tritt zurück – Wissler unter Druck
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Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler stehen bei einem Landesparteitag der Linken in Thüringen im Herbst 2020 nebeneinander.
© Quelle: Frank May/dpa
Der Rücktritt der Linken-Chefin lag in der Luft. Die Berichte über mutmaßliche Fälle sexualisierter Gewalt im hessischen Landesverband erscheinen ungeheuerlich, die Bemühungen um Klarheit schleppend. Überraschend war am Mittwochmittag nur: Nicht die in die Vorgänge möglicherweise verwickelte Bundesvorsitzende und ehemalige hessische Landtagsfraktionschefin Janine Wissler zog die Reißleine, sondern ihre Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow.
Umgehend wurde in der Partei darüber spekuliert, dass auch Wissler gehen müsse. Mehr noch: In Fraktionskreisen hieß es sogar, der Schritt von Hennig-Wellsow könne auch Druck auf die Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali ausüben. Aber Wissler entschied anders. Am späten Mittwochabend verkündete ein Sprecher der Partei nach der Krisensitzung des Bundesvorstandes, dass Wissler die Partei fortan alleine weiterführen will.
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Die Linke habe derart abgewirtschaftet, dass es einen radikalen Neuanfang geben müsse. Allerdings: Es sei niemand in Sicht, der den „Karren aus dem Dreck“ ziehen könne mit der nötigen Autorität, Erfahrung und Härte.
Der Bundesvorstand kam am Mittwochabend zu einer Sondersitzung zusammen, die wegen der Vorwürfe sexueller Gewalt einberufen worden war. Zunächst wurde über Hennig-Wellsows Rücktritt und die Zukunft der Parteispitze beraten, wie das RND aus Teilnehmerkreisen erfuhr. In der Schaltkonferenz wurden demnach Forderungen nach Neuwahlen des Parteivorstandes laut. Wissler jedoch hielt sich bedeckt und erklärte, dass am Wochenende entschieden werden solle, ob es zu Neuwahlen oder Nachwahlen komme. Im Landesverband Rheinland-Pfalz hatte es am Dienstag ebenfalls Forderungen nach Neuwahlen gegeben.
Mögliche neue Linken-Spitze: Wird ein Thüringer Parteichef?
Als ein möglicher Nachfolger an der Parteispitze wurde in Parteikreisen der Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff, gehandelt. Hoff habe sich schon seit Wochen in Stellung gebracht und die Lage sondiert, heißt es.
Anfang April veröffentlichte der Linken-Politiker einen Diskussionsbeitrag zur Zukunft der Partei, in dem er eine „neue Kultur der pluralen Linken“ fordert. Der Veröffentlichung waren zahlreiche Gespräche Hoffs unter anderem mit Bundestagsabgeordneten und Meinungsmacherinnen und -machern aus der Partei vorangegangen.
Nach Rücktritt von Hennig-Welsow: Wissler will Linke alleine weiterführen
Die Linke muss sich neu formieren. Nach dem Rücktritt der Parteivorsitzenden Hennig-Wellsow möchte die bisherige Co-Vorsitzende Janine Wissler im Amt bleiben.
© Quelle: dpa
Hoff gehört zum reformorientierten Flügel der Linkspartei. Aber: Er sei mehr ein Denker, weniger ein Macher.
Einbußen im Bund, Entzauberung der Doppelspitze und Wirren im Saarland
Hennig-Wellsow war als frühere Partei- und Fraktionsvorsitzende in Thüringen bei vielen Linken im Februar 2021 als Hoffnungsträgerin an der Bundesspitze gestartet. Sie ist pragmatisch und realpolitisch – anderen in der Partei gefiel jedoch genau das nicht. Die 44-Jährige konnte parteiinterne Angriffe schwer abperlen lassen.
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Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) reagierte zurückhaltend auf ihren Rückzug. „Mein Dank gilt einer langjährigen Weggefährtin. Ich weiß, dass Susanne weiterhin als Linke und für Thüringen aktiv im Bundestag wirken wird“, sagte er dem RND. Der frühere Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, zeigte sich wenig überrascht. „Sie war in ihrer Funktion nicht glücklich und ist auch nicht glücklich gemacht worden“, sagte er dem RND.
Bei der Bundestagswahl musste die Linke schwere Einbußen hinnehmen. Die neue Doppelspitze mit Wissler war schnell entzaubert. Die Wirren im Landesverband Saarland bekamen beide Frauen auch nicht in den Griff.
Hennig-Wellsow: „Erneuerung braucht neue Gesichter“
Hennig-Wellsow schrieb am Mittwoch auf ihrer Webseite: „Ich weiß um die vermeidbaren Fehler, die ich selbst gemacht habe.“ Sie hatte in Interviews etwa erschreckende Unkenntnis in der Außen- und Sicherheitspolitik offenbart.
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Dass die frühere Eisschnellläuferin mit ihrem Rücktritt aber offensichtlich kein Einzelfall bleiben will, machte diese Äußerung in ihrer Erklärung deutlich. Es sei Erneuerung nötig – „und diese Erneuerung braucht neue Gesichter, um glaubwürdig zu sein“.
Linksjugend solid fordert Einrichtung von Betroffenenfonds
Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen habe eklatante Defizite der Partei offengelegt. Der „Spiegel“ hatte über mutmaßliche Fälle sexualisierter Gewalt in der hessischen Linkspartei berichtet. Es gebe Dokumente mit Hinweisen auf mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur, schrieb das Magazin. Einer der Beschuldigten soll Wisslers Ex-Partner sein. Wissler bestreitet, dass sie jemanden geschützt habe.
Die Linksjugend solid forderte die Einrichtung eines Fonds für alle Betroffenen, „die innerhalb der Partei sexuelle Übergriffe erlebt haben“. Bundessprecherin Sarah Dubiel sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Daraus sollte ein Solidaritätsbeitrag finanziert werden, der die Betroffenen etwa bei Gerichts- und Anwaltskosten unterstützt.“