Vor Berliner Strategietreffen

Linken-Chef Schirdewan: Ich glaube nicht, dass es zu einer Spaltung kommt

Martin Schirdewan und Janine Wissler wurden auf dem Erfurter Parteitag der Linken im Juni 2022 als Parteivorsitzende gewählt.

Martin Schirdewan und Janine Wissler wurden auf dem Erfurter Parteitag der Linken im Juni 2022 als Parteivorsitzende gewählt.

Berlin. Nach vier desaströsen Landtags­wahlen 2022, bei denen die Linke bei allen Abstimmungen unter 5 Prozent blieb, will sie in diesem Jahr um ein politisches Comeback kämpfen. Am Samstag treffen sich die Partei­vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan mit der Führungsriege der Linken aus Bund und Ländern in Berlin, um Ziele zu besprechen und ein Strategie­papier zu beschließen. Das Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) sprach dazu vorab mit Wissler und Schirdewan im Doppelinterview.

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Frau Wissler, wann haben Sie zuletzt mit Sahra Wagenknecht gesprochen und worum ging es dabei?

Wissler: Das muss irgendwann Ende letzten Jahres in der Fraktion gewesen sein.

Schirdewan: Es war auch bei mir Ende des letzten Jahres, worum es da ging, naja, es war ein vertrauliches Gespräch.

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Sahra Wagenknecht (53) gilt – vor allem im Osten – als Galionsfigur der Linken – doch wegen ihrer Positionen ist sie in ihrer Partei auch heftig umstritten.

Linken-Spitze zur Causa Sahra Wagenknecht: „Die Mehrheit der Partei will keine Abspaltung“

Immer wieder Sahra Wagenknecht: In der Debatte um einen möglichen Austritt ruft der Linke-Bundes­geschäfts­führer Tobias Bank das wohl prominenteste Parteimitglied jetzt zur Mäßigung auf.

Im Herbst letzten Jahres sah es fast so aus, als würde Sahra Wagenknecht es auf eine Spaltung der Partei anlegen und ihre eigenen Wege gehen. Sind Sie sicher, dass diese Gefahr gebannt ist?

Schirdewan: Das letzte Jahr war nicht einfach für uns, nicht zuletzt wegen in der Öffentlichkeit ausgetragener Debatten. Ich halte auch das ganze Gerede über die mögliche Trennung Einzelner von der Partei nicht für hilfreich. Es geht darum, die Linke zu stärken. Ich glaube nicht, dass es zu einer Spaltung kommt.

Wissler: Ich glaube das auch nicht. Ich denke, dass sich die Partei bewusst ist, dass eine gespaltene Linke eine schwache Linke ist. Das kann man zum Beispiel in Italien sehen, wo die Linke durch starke Zersplitterung sehr schwach und die Rechte dafür sehr stark ist.

In der von Ihnen mit unterzeichneten Leipziger Erklärung vom 10. Dezember heißt es, die Linke sei eine plurale Partei, aber Pluralität sei nicht Beliebigkeit. Wo fängt bei Ihnen die Beliebigkeit an?

Wissler: Was wir in der Partei in einem gemeinsamen demokratischen Meinungs­bildungs­prozess beschlossen haben, das muss die Partei auch nach außen vertreten. Das heißt natürlich nicht, dass Mitglieder keine abweichenden Positionen haben können, aber das ist dann eben persönliche Meinung, nicht Partei­position.

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In der Bundestags­fraktion gibt es Kritik am Ölembargo der Bundes­regierung gegenüber Russland, nach dem Motto Deutschland braucht auch weiterhin preiswertes Öl und Gas. Beginnt da die Beliebigkeit?

Schirdewan: Die Energie­versorgung der Bevölkerung muss gesichert sein. Ich habe selbst kritisiert, dass die Bundes­regierung die Versorgung der ostdeutschen Raffinerien in Leuna und Schwedt mit russischem Öl beendet hat, ohne Alternativen und ohne einen Zukunftsplan für die Beschäftigten und den Umstieg auf erneuerbare Energien zu haben. Es muss gestattet sein, darüber zu reden, inwieweit Sanktionen sinnvoll sind oder nicht. Die Sanktions­politik gegen den militär­industriellen Komplex von Putin und gegen russische Oligarchen ist absolut gerechtfertigt. Aber da hat die Bundes­regierung nicht den Mut, sich mit den Superreichen in Russland und hierzulande wirklich anzulegen.

Wissler: Es gibt vonseiten der Bundes­regierung kein Gasembargo, das haben wir auch nie gefordert. Aber klar ist auch: Wir wollen den Ausstieg aus den fossilen Energien, wir wollen die Energie­wende durchsetzen.

Sie haben in der Leipziger Erklärung auch festgestellt, relevante Gruppe in der Gesellschaft würden sich von Ihrer Partei nicht mehr angesprochen fühlen. Welche Gruppen sind das?

Wissler: Wir müssen Vertrauen zurück­gewinnen. Wir müssen auch gerade dorthin gehen, wo die Wahlbeteiligung niedrig ist, wo die Menschen nicht so viel verdienen, wo es schwierig ist. Wir wollen aktiv auf die Menschen zugehen. Damit haben wir Ende November bei der Ober­bürgermeister­wahl in Rostock sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir haben mit Eva-Maria Kröger einen tollen Erfolg eingefahren. Dafür haben wir an 11.000 Haustüren geklingelt. Wir müssen zeigen, dass wir da sind, dass wir uns kümmern, auch weiter Anlaufstelle für Hartz-IV-Beratungen sind und in den außer­parlamentarischen sozialen Bewegungen sowie bei den Streiks der Beschäftigten deutlich machen, dass wir deren Partner sind.

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In Strategie­papieren der Linken ist von „Klassen­auseinandersetzung“ die Rede und dass Sie „den Konflikt mit den Reichen und ihrer Lobby suchen“. Ist das noch zeitgemäß?

Schirdewan: Absolut. Allein schon, wenn man sich die Entwicklung der Ungleichheit in der Gesellschaft ansieht, die wieder ein Ausmaß angenommen hat wie zu Zeiten von Kaiser Wilhelm. Die fünf reichsten Familien in Deutschland verfügen über das gleiche Vermögen wie die gesamte untere Hälfte der Bevölkerung. Wenn man sieht, dass die Superreichen auch in der Krise immer mehr verdienen, während die Masse unter einem massiven Preisanstieg ächzt, dann ist das doch eine Klassenfrage. Große Konzerne haben inzwischen so viel Macht angesammelt, dass sie Bundes- und Landes­regierungen dazu drängen können, völlig unsinnige Politik umzusetzen, wie zum Beispiel gerade in Lützerath. Wir wollen eine Gesellschaft, in der mehr Gerechtigkeit und mehr Gleichheit herrscht.

Wissler: Jetzt in der Krise spitzt sich gerade die Auseinander­setzung zu, die Klassen­widersprüche treten immer offener zutage. Wenn am fünften Tag dieses neuen Jahres ein Dax-Vorstand schon das Gehalt in der Tasche hat, für das andere ein ganzes Jahr arbeiten müssen, dann zeigt sich doch die ganze Perversion der Verhältnisse und die soziale Ungerechtigkeit.

Frau Wissler, Sie waren kurzzeitig selbst bei den Demonstrierenden in Lützerath. Suchen Sie jetzt stärker den Protest auf der Straße?

Wissler: Das ist ja nichts Neues, dass wir Teil von Protest­bewegungen sind. Ich war zum ersten Mal im Jahr 2000 bei den Bürger­initiativen gegen den Flughaufen­ausbau in Frankfurt dabei und bei vielen anderen Demonstrationen gegen Kohlekraft und für Klimaschutz. Neu ist, dass sich die Grünen daraus zurück­ziehen und nicht für den Erhalt von Lützerath kämpfen. Sondern, dass ein grüner Bundes­minister, Robert Habeck, sagt, Lützerath muss geräumt werden, um die darunter liegende Kohle abzubaggern.

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Bundes­wirtschafts­minister Habeck verteidigt Räumung von Lützerath
11.01.2023, Berlin: Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, gibt eine Pressekonferenz zum beschlossenen Gesetzentwurfs des Bundeskabinett zur Digitalisierung der Energiewende. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Robert Habeck hat die Vereinbarung für den Kohleausstieg im Westen und damit die Aufgabe des Ortes Lützerath verteidigt.

Wollen Sie die Grünen in Sachen Umwelt­proteste ablösen?

Wissler: Ich halte es für dringend notwendig, dass es eine Partei gibt, die konsequent Druck macht für Klimaschutz, denn viele sind enttäuscht von der Klimapolitik der Ampel. Für uns ist das eng mit der sozialen Frage verbunden, denn es sind die Ärmsten der Armen, die von Dürre­katastrophen und Ernte­ausfällen zuerst betroffen sind. Der Unterschied zwischen uns und den Grünen ist, dass wir nicht davor zurück­schrecken, uns mit Konzernen anzulegen, ob es die Auto­industrie oder Energie­konzerne sind.

+++ Lesen Sie alle aktuellen Entwicklungen zu Lützerath in unserem Liveblog +++

Schirdewan: Protest auf der Straße und Politik im Parlament schließen sich nicht aus. Das hat eine lange Tradition in der sozialistischen Bewegung.

Nach vier desaströsen Landtags­wahlen 2022, bei denen Ihre Partei unter 5 Prozent blieb, wollen Sie bei den kommenden Abstimmungen in Berlin und Bremen wieder stärker werden. Was ist das Ziel?

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Wissler: Wir wollen natürlich mit starken Fraktionen in das Berliner Abgeordneten­haus und in die Bremer Bürgschaft einziehen. In Berlin wollen wir das Ergebnis von 2021 mit 14 Prozent halten und ausbauen. Dafür gibt es viel praktische Unterstützung aus der ganzen Partei. Man hat das Gefühl, dass gerade alle nach Berlin schauen und viele Mitglieder hinfahren, um zu helfen. In Berlin spielt das Thema Wohnen und Mieten eine sehr große Rolle. Und nur eine starke Linke und eine aktive Mieten­bewegung sind der Garant, dass der Mehrheitswille der Bevölkerung, der bei der Volksabstimmung 2021 zum Ausdruck kam, nämlich nach Enteignung der großen Wohnungs­konzerne, auch umgesetzt wird. Wir haben ein gutes Programm und gute Kandidaten, ich bin sehr zuversichtlich.

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Am Samstag wollen Sie der Führungsriege Ihrer Partei aus Bund und Ländern ein Strategie­papier für das neue Jahr vorstellen. Worum geht es da?

Schirdewan: Wir machen deutlich, dass es Alternativen zum Markt gibt. Wir denken, dass lebenswichtige Dinge wie Energie, Wasser, Gesundheit und Lebensmittel stärker unter die Kontrolle der öffentlichen Hand gehören. Wir brauchen eine Demokratisierung unserer Wirtschaft, mehr betriebliche Mitbestimmung und mehr kollektive Entscheidungen in der Industrie. Das kann man beispielsweise dadurch erreichen, dass mehr Unternehmen als Genossenschaften geführt werden. Wir fordern massive Investitionen in eine Energie- und Mobilitäts­wende, in nachhaltigen Umbau der Industrie und in den Schutz von Arbeits­plätzen. Wenn Reiche und Konzerne endlich angemessen besteuert werden, ist das finanzierbar.

Die Führung der Linken bekennt sich zum Selbst­verteidigungs­recht der Ukraine gegen den völkerrechts­widrigen Angriff Russlands, kritisiert aber zugleich deutsche Panzer­lieferungen. Wie passt das zusammen?

Schirdewan: Die Hälfte der Bevölkerung kritisiert diese Panzer­lieferungen, und ich bin froh, dass es mit uns eine Partei gibt, die dieser Position auch im Parlament eine demokratische Stimme gibt. Es ist völlig klar, dass sich der fürchterliche russische Angriffs­krieg gegen die Ukraine zu einem größeren internationalen Konflikt ausweiten kann. Und immer weitere Waffen­lieferungen vergrößern das Risiko, das andere Länder, auch Deutschland, in diesen Krieg mit hineingezogen werden. Wir verurteilen diesen Angriffs­krieg durch Russland entschieden und stehen solidarisch zur Ukraine, aber wir fordern ein Primat für diplomatische Lösungen, um aus dieser Eskalations­gefahr heraus­zukommen. Wir sollten auch nicht so tun, als sei jeder Befürworter von Waffen­lieferungen ein Menschen­freund. Rüstungs­konzerne wie Rheinmetall profitieren doch massiv von einem langen Krieg. Ich bin sehr froh, dass jetzt zumindest bei der SPD-Fraktion Einsicht einzukehren scheint und diplomatische Initiativen gefordert werden.

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