Lilly Blaudszun: „Ich habe mit Gott und der Kirche gehadert, aber nie an Austritt gedacht“
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Christin unter Christen: Lilly Blaudszun vor der Frankenhalle an der Nürnberger Messe nach einer der vielen Veranstaltungen, an denen sie teilnimmt.
© Quelle: Marco Nehmer
Nürnberg. Sie ist das jüngste Präsidiumsmitglied in der Geschichte des Deutschen Evangelischen Kirchentags: Lilly Blaudszun, 22, SPD-Mitglied, politische Influencerin, Christin. Im RND-Interview spricht Blaudszun, reichweitenstarke ostdeutsche Stimme ihrer Generation, über ihren Glauben, über die Kritik von Kirchentagspräsident Thomas de Maizière an ihren Altersgenossen – und dann ist da noch die Sache mit ihrer Förderin Manuela Schwesig und Russland. Blaudszun, die mit Schwesig am Donnerstag bei einer Bibelarbeit auf dem Podium saß, springt ihrer Parteifreundin zur Seite.
Frau Blaudszun, Sie sind ein religiöser, vor allem aber auch ein politischer Mensch. Und der Kirchentag 2023 ist aufgeladen wie lange nicht mit den großen Fragen der Zeit. Wie politisch darf er eigentlich sein?
Lilly Blaudszun: Ich glaube, dass der Kirchentag politisch sein muss. Es passiert hier wahnsinnig viel in der Hinsicht, etwa wenn der Generalinspekteur der Bundeswehr auf den Friedensbeauftragten der EKD trifft, um über unsere Friedensethik zu streiten. Wo, wenn nicht hier, sollte so etwas diskutiert werden? Es gibt diese Plattformen sonst nicht. Die Kontroversen in unserer Gesellschaft sind da, wir greifen sie auf. Wir laden die Leute nicht danach ein, ob sie nett sind, sondern ob sie etwas zu sagen haben.
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Mit dem Krieg gegen die Ukraine haben Sie schon ein großes K erwähnt, unter dessen Eindruck der Kirchentag steht. Die anderen: Klimawandel, Kirchenkrise, künstliche Intelligenz. Was treibt Sie hier am meisten um?
Das alles sind drängende Fragen. Der Krieg ist dabei natürlich eines unserer Hauptthemen. Darüber hinaus finde ich es aber gut, dass wir uns auch der KI jetzt widmen. Ich finde dieses Thema total spannend, auch weil ich das Gefühl habe, dass die Politik da bisher komplett hinterherhinkt. Auch kirchlich haben wir da bisher nicht viel gemacht. Das ändert sich jetzt: Am Freitag gab es zum Beispiel einen KI-Gottesdienst, dessen Liturgie von ChatGPT gestaltet wurde. Das ist auf den ersten Blick eine Spielerei. Aber es kann uns einen Ausblick auf das geben, was uns alles noch bevorsteht.
Man muss sich schon fragen, wie das eigene Verhältnis zur Partei ist. Ich würde es heute als kritisch-solidarisch bezeichnen.
SPD-Mitglied Lilly Blaudszun
über den Reflexionsprozess in ihrer Auszeit
Sie selbst sind nach längerer Auszeit mittlerweile in die Öffentlichkeit zurückgekehrt, in Nürnberg nehmen Sie mehr als 30 Termine wahr. Warum haben Sie sich damals, nach der Bundestagswahl 2021, ins Private zurückgezogen?
Ich habe mit 15 angefangen, mich im politischen Raum zu bewegen, dann kam schnell die Öffentlichkeit dazu. Das war einfach sehr früh, und ich finde, ich musste mich nach fünf Jahren auch mal hinterfragen und darüber nachdenken, ob das, was ich mache, richtig ist. Ob ich mich in dieser Rolle wohlfühle. Und das kann man eben nicht machen, wenn man volle Kanne in der Öffentlichkeit steht. Das geht nur, indem man sich zurückzieht. Man muss sich schon fragen, wie das eigene Verhältnis zur Partei ist. Ich würde es heute als kritisch-solidarisch bezeichnen. Ich bin Mitglied mit Leib und Seele, aber es gibt schon viele Dinge, die ich anders machen würde. Man kann es mit der Partei nur richtig ernst meinen, wenn man nicht alles unkritisch abfeiert.
Und damit zu Manuela Schwesig. Sie haben für die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns im letzten Wahlkampf die Social-Media-Arbeit gemacht, man sieht Sie auch hier häufig gemeinsam. Wie ist Ihr Verhältnis zueinander?
Ich habe Manuela Schwesig kennengelernt, als ich 15 war. Sie hat einen entscheidenden Teil dazu beigetragen, dass ich politisch immer weiter gemacht habe. Wir waren und sind uns nicht immer in allen Punkten einig. Aber ich unterstütze sie und sie ist wichtig für mich.
Schwesigs öffentliches Bild hat gelitten. Ihr Werben für Nord Stream 2, die Affäre um die umstrittene Klimastiftung – wie stehen Sie dazu?
Ich finde Kritik daran okay und wichtig. Ich habe die Russland-Frage immer anders bewertet als sie. Das wusste sie auch, das haben wir auch miteinander diskutiert. Ich finde die Kritik aber teilweise überzogen und undifferenziert. Manuela Schwesig hat nicht für die damalige Abhängigkeit von Russland gesorgt. Da waren viele Akteure beteiligt, die sich jetzt aus der Verantwortung stehlen. Deswegen ist mir das zu kurz, zu platt und auch irgendwie zu dumm.
Ein gemeinsames Foto von Ihnen vom Eröffnungsgottesdienst, das Sie bei Twitter gepostet haben, hat dann auch die erwartbaren Reaktionen hervorgebracht.
Ich gehe gerne darauf ein, wenn es ein ernsthaftes Interesse an Diskussion gibt. Aber wenn die Leute nichts Besseres zu schreiben haben als „Putins Marionette“ oder „Der Kreml zu Gast beim Kirchentag“, dann habe ich da keinen Bock drauf, das ist niveaulos. Bei Diskussionen geht es darum, sich aufeinander einzulassen, sich zuzuhören. Aber nicht so.
Wir befinden uns in super beschissenen Zeiten, die wenig Anlass zur Hoffnung bieten. Dann am Glauben festzuhalten, das ist unglaublich schwierig.
Lilly Blaudszun
über die Glaubenskrise vieler Menschen
Lassen Sie uns über Ihren christlichen Glauben sprechen, zu dem Sie sich in der Vergangenheit öfter bekannt haben. Im Jahr 2023 gehören Sie damit einer Minderheit an. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Die Kirche ist in der Krise, das ist bekannt. Vieles ist nicht gut gelaufen, vieles müssen wir ändern. Andererseits ist der Rückgang der Mitgliederzahlen nicht nur eine Frage des mangelnden Vertrauens in die Kirche. Es gibt Menschen, die schlicht in der Glaubenskrise sind. Wir befinden uns in super beschissenen Zeiten, die wenig Anlass zur Hoffnung bieten. Dann am Glauben festzuhalten, das ist unglaublich schwierig. Es gibt Tage, an denen auch ich denke: Es kann doch nicht sein, dass es Gott gibt, wenn so etwas passiert auf der Welt.
Mal über Austritt nachgedacht?
Nein. Ich habe mit Gott gehadert, habe mit der Kirche gehadert. Aber ich habe nie darüber nachgedacht, auszutreten. Still standing (lacht).
Sie sind 22. Viele Menschen Ihrer Generation können mit verstaubter Liturgie nicht viel anfangen.
Dabei passiert doch gerade total viel Cooles und Spannendes. Auf dem Kirchentag veranstaltet Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode, zum Beispiel einen Technogottesdienst mit alkoholfreiem Gin Tonic zum Abendmahl. Man muss sich das mal vorstellen: Das ist die Leitung eines der drei höchsten Gremien der EKD, und sie bricht mit dem Ritus, stellt sich einfach hin und macht das. Es braucht solche Leute, die einfach mal das Althergebrachte hinterfragen. Das ist bei den politischen Parteien genauso.
Muss die Kirche mehr Mut zum Risiko haben?
Es ist schon wichtig, dass es beständige Institutionen gibt in dieser Zeit. Das sagt auch unser Kirchentagspräsident Thomas de Maizière. Ein Grundgerüst ist wichtig. Aber man kann auch neue Wege gehen innerhalb dieses Gerüsts, ohne es gleich zu erschüttern.
Dafür hat de Maizière einfach mal direkt vor dem Kirchentag die Generation Z erschüttert mit seinem „Zeit“-Interview. Ihre „Anspruchshaltung“ gehe ihm „gegen den Strich“. Sie selbst sind Teil dieser Generation. Haben Sie sich gemeint gefühlt?
Dass sich Menschen, wie er es beschreibt, um 22 Uhr Champagner nach Hause ins Homeoffice bestellen und dafür den Lieferando-Fahrer buckeln lassen, entspricht, glaube ich, nicht wirklich der Lebensrealität. Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt geht. Im ländlichen Raum, wo ich herkomme, ist das gefühlt die absurdeste Vorstellung (lacht). Das war zu plakativ, aber ich verstehe den Grundgedanken, den er ausdrücken wollte. Es geht darum, wie wir miteinander umgehen in der Gesellschaft, auch wenn das keine Frage nur der jungen Generation ist. Es geht um gegenseitige Wertschätzung, auch beim Thema Bezahlung. Da muss sich im Übrigen auch seine Partei (CDU, d. Red.) sehr selbstkritisch hinterfragen.
Haben Sie mit de Maizière darüber gesprochen?
Ich habe ihm sofort geschrieben, als ich das Interview gelesen habe. Was unser Verhältnis auszeichnet, ist, dass wir immer ehrlich miteinander reden. Wir haben darüber gesprochen, werden auch weiter darüber sprechen, weil es eine Frage der Wertschätzung ist. Ich habe ihn anders kennengelernt, nämlich nicht bevormundend und altklug, sondern offen und einbindend. Deshalb fand ich das Interview auch in Teilen enttäuschend. Aber es gibt nichts, was man nicht mit ihm besprechen kann.
Eine letzte Frage noch: Wie dürfen wir Sie denn jetzt nennen? Sind Sie mit dem Attribut „politische Influencerin“, das man Ihnen mal verpasst hat, noch einverstanden?
Ich weiß selbst nicht, wie man mich richtig beschreibt (lacht). Vielleicht ist es daher die beste Bezeichnung. Ich habe selbst noch keine andere für mich gefunden.