Grünen-Abgeordneter: Wir müssen diskriminierendes Transsexuellengesetz austauschen
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Sven Lehmann, Grünen-Abgeordneter im Bundestag.
© Quelle: Cornelis Gollhardt
Die Uefa hat es abgelehnt, dass das EM-Stadion in München beim Spiel Deutschland gegen Ungarn in Regenbogenfarben erleuchtet wird. Warum wäre Ihnen das wichtig gewesen?
Die ungarische Regierung verletzt seit Jahren massiv die Menschenrechte von Homo- und Transsexuellen. Das darf sich eine offene Gesellschaft nicht bieten lassen – vor allem innerhalb der EU nicht. Die öffentliche Debatte ist unglaublich wichtig, denn sie trägt dazu bei, dass wir uns als Gesellschaft mit den wichtigen Belangen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen auseinandersetzen und uns mit ihnen solidarisieren. Ich hoffe, dass sehr viele Menschen im Stadion beim Spiel gegen Ungarn Flagge zeigen. Meine volle Solidarität gilt Manuel Neuer und allen, die das bereits getan haben.
Uefa-Beschluss: Keine Regenbogenfarben für EM-Stadion in München
Das Münchner Stadion sollte beim deutschen EM-Spiel gegen Ungarn in Regenbogenfarben erstrahlen. Die Uefa lehnte den Antrag jedoch ab.
© Quelle: dpa
Die große Koalition hat im Mai Entwürfe von FDP und Grünen zu einem neuen Selbstbestimmungsgesetz abgelehnt – das Transsexuellengesetz (TSG), das das Bundesverfassungsgericht in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat, bleibt bestehen. Was bedeutet das für transgeschlechtliche Menschen?
Selbstbestimmt leben zu können ist ein zentrales Bedürfnis für alle Menschen. Transgeschlechtliche Menschen fordern zu Recht, in dem Geschlecht anerkannt zu werden, mit dem sie sich identifizieren. Das Transsexuellengesetz stellt für die Änderung der Vornamen und die Berichtigung des Geschlechtseintrages entsprechend der selbst bestimmten Geschlechtsidentität unbegründete Hürden – Gerichtsverfahren, Begutachtungszwang – auf, die das Selbstbestimmungsrecht in menschenunwürdiger Weise beeinträchtigen.
Wir müssen das TSG durch ein Gesetz ablösen, das es trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht binären Menschen erleichtert, ihr Leben selbstbestimmt zu leben, und das das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung umsetzt.
Warum bezeichnen Sie das Transsexuellengesetz als diskriminierend?
Die Entscheidung über eine Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstand wird von der Vorlage zweier Gerichtsgutachten abhängig gemacht. Das sind langwierige und teure Verfahren, deren Kosten von den Betroffenen selbst zu zahlen sind. Transgeschlechtliche Menschen müssen dabei teils übergriffige Fragen nach sexuellen Vorlieben, Masturbationsverhalten oder Unterwäsche über sich ergehen lassen. Sie müssen nachweisen, was von außen nicht nachweisbar ist. Denn die geschlechtliche Identität kann nur eine Selbstauskunft sein.
Was sagt die Rechtsprechung?
Das Bundesverfassungsgericht sieht das auch so, indem es betont, das Grundgesetz in Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 schütze mit der engeren persönlichen Lebenssphäre auch den intimen Sexualbereich des Menschen, der die sexuelle Selbstbestimmung und damit auch das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung umfasst. Die Erfahrung mit TSG-Verfahren zeigt außerdem: In 99 Prozent der Fälle entscheiden die Amtsgerichte laut einer wissenschaftlichen Erhebung im Sinne der Antragstellerinnen und Antragsteller.
Worunter haben die Betroffenen zu leiden?
Das jetzige, langwierige Verfahren der Vornamens- und Personenstandsänderung hat auch weitreichende Folgen für den Alltag transgeschlechtlicher Menschen. Personen, deren Ausweisdokumente nicht zu ihrer Identität, zu ihrem Namen und zu ihrem Aussehen passen, haben dadurch auf vielen Ebenen immer wieder Schwierigkeiten und erfahren Diskriminierung: in der Schule, am Arbeitsplatz, bei Kontrollen durch Ordnungsbehörden und so weiter. Das ganze Verfahren ist also nicht zu rechtfertigen.
Sehen Sie Probleme in staatlichen Institutionen im Umgang mit transgeschlechtlichen Menschen?
Das Wissen um Transgeschlechtlichkeit und die Sensibilität im Umgang damit ist in staatlichen Institutionen noch nicht weit verbreitet. Bei der Berichtigung von Urkunden oder Zeugnissen etwa gibt es immer wieder Probleme. Transgeschlechtliche Menschen berichten davon, dass ihnen die Ausstellung von Dokumenten und Bescheinigungen immer wieder verwehrt wird.
Zudem ist die gesundheitliche Versorgung nur selten auf die spezielle Belange dieser Gruppe ausgerichtet. Auch dort braucht es viel Aufklärung, damit alle die zu ihnen passenden Leistungen erhalten. Auch das ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben.