Lauterbach: „Besorgt mich, dass sich solche Gruppen jederzeit bilden können“
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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht durch die Verhaftung und den am Mittwoch startenden Prozess gegen die Gruppe „Vereinte Patrioten“ den Rechtsstaat in Deutschland gestärkt. Lauterbach, dessen Entführung die terroristische Zelle geplant haben soll, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Verfahren und Vorgeschichte haben mein Vertrauen in unseren Rechtsstaat gestärkt. Dafür bin ich den Beamten, die an der Verhaftung beteiligt waren, und meinen Personenschützern, die auf mich aufpassen, sehr dankbar. Sie riskieren ihr Leben für uns.“
Die mutmaßlichen Täter hätten „ihre eigenen Möglichkeiten dramatisch überschätzt“, sagte Lauterbach dem RND. „Es ist abwegig zu glauben, eine Regierung könnte stürzen, nur weil einer ihrer Minister erschossen würde. In meiner Arbeit lasse ich mich durch diese Vorfälle nicht irritieren. Es besorgt mich aber, dass sich solche Gruppen jederzeit bilden können und auch Zugang zu Waffen haben.“
Stromausfall, Entführung und Staatsstreich
Die vier Männer im Alter zwischen 44 und 56 Jahren und eine 75-jährige Frau wollten laut Anklage der Bundesanwaltschaft Deutschland ins Chaos stürzen. Dafür sollen sie einen Stromausfall und die Entführung von Lauterbach geplant haben. Am Mittwoch beginnt der Prozess am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz.
Die mutmaßlichen Mitglieder tauschten sich nach früheren Angaben der Ermittler in einer Chatgruppe des Internetdienstes Telegram aus. Seit den Festnahmen ist einiges über ihre Pläne bekannt geworden – auch weil sich zwei der Männer bei den Vernehmungen „geständig eingelassen“ hätten. Der „Aktionsplan“ der Gruppe reicht vom Stromausfall bis zum Staatsstreich.
Laut Anklage sollte zunächst ein längerer bundesweiter Stromausfall, ein „Blackout“, herbeigeführt werden. Unter dem Namen „Klabautermann“ habe die Gruppe zudem die Entführung von Lauterbach aus einer Livetalkshow geplant. Dieser solle, „gegebenenfalls nach Tötung seiner Personenschützer“, gewaltsam entführt werden.
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Gruppe wird als terroristische Vereinigung eingestuft
In den dann ausgelösten „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ habe die Gruppe in Berlin eine konstituierende Versammlung etablieren wollen, die die bisherige Regierung absetzen sollte. Angedacht war unter anderem, den Bundespräsidenten oder Kanzler live im Fernsehen durch einen Schauspieler imitieren zu lassen – um die Absetzung bekannt zu geben. In der neuen Führung hätten sich vier der Angeklagten dann zentrale Funktionen zugedacht.
Juristisch klingt das in der Anklage der Bundesanwaltschaft so: Die vier Männer und die Frau seien verdächtig, eine terroristische Vereinigung gegründet oder darin Mitglied gewesen zu sein. Sie wirft ihnen zudem die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund vor. Drei der Männer und die Frau sollen in der Gruppe Rädelsführer gewesen sein. Zwei der Männer sollen eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet haben.
Verdeckter Ermittler spielte zentrale Rolle bei Überführung
Die Gruppe habe zum Ziel gehabt, „mittels Gewalt sowie zumindest unter Inkaufnahme von Todesopfern in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen und damit den Sturz der Bundesregierung und der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen“, schreibt die Bundesanwaltschaft in der Anklage. Die Vereinigung habe sich in zwei verschiedenen Bereichen organisiert, heißt es in einer Mitteilung des OLG: dem operativen „militärischen Zweig“ und dem „administrativen Zweig“. Zwei Männer sollen spätestens seit Oktober 2021 in verschiedenen Telegram-Chatgruppen, danach bei persönlichen Treffen, nach Unterstützung gesucht haben.
Bei der Festnahme der Männer spielte ein verdeckter Ermittler eine zentrale Rolle, wie aus einem im November veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) hervorging. Er sei monatelang „im unmittelbaren Umfeld der Beschuldigten“ eingesetzt gewesen.
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Hitlergruß in Auschwitz: Suspendierte Schüler dürfen wieder in Unterricht
Sie zeigten den Hitlergruß und stellten ein Foto davon ins Netz: Eine Gruppe suspendierter Neuntklässler aus Leisnig in Sachsen darf nach einem Vorfall in Auschwitz wieder in ihre Oberschule. Das Thema ist für die 15-Jährigen aber damit noch nicht vom Tisch.
Nähe zu „Reichsbürgern“
So abstrus die Pläne auf den ersten Blick wirken mögen, sie geben Einblicke in die mutmaßliche Gedankenwelt der Angeklagten. Laut Bundesanwaltschaft folgen sie einer Ideologie, nach der das Deutsche Reich auf Grundlage der Verfassung von 1871 weiter existiere. Das deckt sich mit den Ansichten sogenannter „Reichsbürger“, die der Bundesrepublik Deutschland die Legitimität absprechen. Der ehemaligen Lehrerin war aufgrund ihres „Reichsbürger“-Gedankenguts das Ruhegehalt aberkannt worden, wogegen sie sich vergeblich juristisch zur Wehr setzte.
In dieser Szene ist Bundesgesundheitsminister Lauterbach schon länger ein beliebtes Feindbild. Der Medizinprofessor und Epidemiologe hatte sich schon vor seiner Ernennung zum Minister im Dezember 2021 als Corona-Experte einen Namen gemacht. Er wurde damit zur Hassfigur in extremistischen Kreisen, die staatliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in Deutschland ablehnen.
RND/jps/dpa