Kurzarbeiter vs. Lockdown-Elite: Die neue deutsche Teilung
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Die Corona-Krise spaltet die Gesellschaft. Während eine Lockdown-Elite im Homeoffice teilweise mehr verdient als vorher, bangen Kurzarbeiter um ihre Jobs.
© Quelle: istockphoto.de/3T Supplies AG/ob/dpa
Die deutschen Immobilieneigentümer auf Mallorca plagt derzeit ein sehr spezielles Problem. Sie dürfen nicht in ihre Häuser. Jedenfalls nicht ohne den “grünen Schein”, die Bescheinigung für einen Erstwohnsitz auf der Insel.
Mit Massentourismus, jammern sie, hätten sie doch gar nichts tun. Doch die strenge Regionalpräsidentin der Balearen, die Sozialistin Francina Armengol, will einen Zweitwohnsitz nicht als Ausnahmetatbestand für ihre Infektionsschutzmaßnahme anerkennen. So senken jetzt beide Seiten kampfbereit die Hörner.
Inzwischen sind hinter den Kulissen einflussreiche Vermittler unterwegs. Einer von ihnen ist Marcel Remus, der fernsehbekannte deutsche Luxusmakler auf Mallorca, der sich nur um Immobilien im Wert von 1,5 Millionen Euro aufwärts kümmert. In Eingaben an die spanische Seite hat Remus auf seine wie immer elegante Art das Anliegen seiner Klienten bereits verdeutlicht. “Gesundheitsschutz geht vor, das ist klar”, sagt Remus dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. “Es ist aber auf Dauer ungerecht, wenn Eigentümer hohe Steuern zahlen für Häuser, die sie gar nicht nutzen können.”
Willkommen im Deutschland des Jahres 2020, einem durch die Viruskrise auf neue Art geteilten Land.
Jeder hat jetzt seine ganz eigenen Sorgen. Bei den einen macht sich Beklommenheit breit. Sie sind in Kurzarbeit, fürchten die Entlassung und haben ihren Sommerurlaub längst abgeschrieben.
Sozial Distancing: Jetzt auch zwischen ganzen Gruppen
Die anderen verdienen mitunter sogar noch ein bisschen mehr als früher – und nutzen ihre privilegierte Lebensart neuerdings auch als Argument in Debatten um Infektionsrisiken: Wen gefährde ich eigentlich, wenn ich mit der eigenen Familie ins eigene Ferienhaus ziehe und dann auf einer kleinen Jacht in die Sonne segele?
Social Distancing: Was als neue Verhaltensnorm zwischen Einzelnen begann, kommt jetzt auch zwischen ganzen Gruppen der Gesellschaft in Gang.
Ein kleiner Hotelier aus der Südheide brach in Tränen aus, als er seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken musste. So einen schlimmen Tag hatte er noch nie erlebt.
Zur gleichen Zeit entschied Christian Henschel, Chef des Berliner Softwareunternehmens Adjust, jedem seiner 450 Mitarbeiter erst mal 500 Euro extra zu überweisen, als Home-Office-Geld: Damit solle jeder das heimische “Setup” für die Videoschalte besser gestalten, “ob das jetzt ein neuer Bürostuhl ist, ein Monitor oder eine Playstation”.
Die gut gelaunte Lockdown-Elite
Geld fließt. Oder Geld fließt nicht. So ist das im digitalen Zeitalter. Während sich für Teile der Gesellschaft ein Abgrund auftut, blickt eine gut gelaunte Lockdown-Elite auf pünktlich gezahlte Gehälter.
Ausgerechnet dorthin, wo schon vorher viel Geld floss, fließt wegen der Pandemie nun noch viel mehr. Der globale Liefergigant Amazon, der schon vor der Viruskrise vielen Einzelhändlern die Luft zum Atmen nahm, greift nun noch mehr Kunden ab. Der Streamer Netflix registriert unterdessen auch jene lange Zeit widerspenstigen Typen als Neukunden, die lange darauf beharrt hatten, sie gingen lieber ins Kino. Und der Videokonferenzdienst Zoom meldete in dieser Woche stolze 300 Millionen Nutzer. Am 1. April waren es lediglich 200 Millionen. Das sind exponentielle Wachstumskurven, wie man sie sonst nur aus den Infektionscharts der Johns Hopkins Universität kennt.
Längst lassen distanzierte Reiche neue hochpreisige Produkte für ihresgleichen vom Stapel. Quer durch die USA und die EU schlägt gerade Peloton groß ein, ein Luxus-Spinning-Bike mit sehr großem Bildschirm, auf dem Fitnesskurse live angeboten werden, mit Daten- und Videoverbindung zu real existierenden Trainern. Dass das Ding 2290 Euro kostet und monatlich 39 Euro für die Mitgliedschaft abgebucht werden, quittieren die Kunden mit einem Achselzucken. Dafür spart man ja nun das Fitnessstudio: Social Distancing als Geschäftsidee.
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Die Pandemie produziert nicht nur ein paar putzige Momentaufnahmen. Sie könnte bei manchen Spielen vielleicht auch für immer die Regeln verändern.
Wie wird die Landschaft aussehen, wenn das Virus besiegt ist? Gehen die Leute dann wieder in kleine Geschäfte? In Kinos? Buchen sie Inlandsflüge, Tagungshotels und Konferenzzentren? Leise greift die Ahnung um sich, dass die allseits erhoffte V-Kurve – steil runter, steil wieder hoch – sich hier und dort nicht wird realisieren lassen.
Ein SPD-Mann zwischen “völlig verschiedenen Welten”
Zu einem “Inspiration Talk” bat diese Woche die weltweit aktive Unternehmensberatung Deloitte. Thema: “Die Welt nach Covid-19.” Da saßen coole junge Manager, teils aus New York zugeschaltet, mit nach hinten gedrehter Basecap, eine junge Podcasterin aus Deutschland und eine Start-up-Gründerin aus Kanada – und alle redeten über die ungeahnten neuen Perspektiven, die die Pandemie biete: Die Digitalisierung schreite voran, zugleich gebe es aber eine angenehme Entschleunigung, eine Besinnung aufs Wesentliche. Vielleicht, wer weiß, wäre bald sogar schon ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle drin.
Zugeschaltet war auch Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD. Der 42-Jährige saß im schwarzen Kapuzenpulli in seiner Berliner Altbauwohnung und hörte sich die fröhlichen Philosophien geduldig an. Als früherer Fachmann seiner Fraktion für Digitales hat er einen Draht zur Start-up-Szene. Irgendwann aber wurde ihm die laufend wiederkehrende Beschwörung der “Krise als Chance” zu viel: Man müsse doch bitte ganz klar sehen, dass es viele Menschen gebe, “die sich anders als wir hier sehr, sehr ernste Sorgen machen um ihre Zukunft. Die gerade kein Homeoffice machen können, die trotzdem irgendwie ihre Kinder betreuen müssen, aber keinen Garten zum Spielen haben. Und deren Gehalt gerade um mehr als die Hälfte wegbricht.”
Kurze Zeit später sitzt Klingbeil im Auto, auf dem Weg zum nächsten Termin. Er spricht von auseinander driftenden Milieus, die zusammenzuhalten der Politik immer schwerer falle: “Das sind inzwischen völlig verschiedene Welten.”
Nächste Woche will er in seinem Wahlkreis, in Walsrode und Soltau, Nachbarschaftsinitiativen besuchen, die Alten und Behinderten Essen bringen. Klingbeil kennt vor Ort Leute, die sich kaum noch auf die Straße trauen vor Angst. Manche fürchten um ihre Gesundheit, andere um ihre ökonomische Existenz. Einige Debatten in Berlin, sagt er, gingen an diesem Teil der Wirklichkeit vorbei: “Diejenigen, denen es am schlechtesten geht, sehen wir oft gar nicht.”
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"Diejenigen, denen es am schlechtesten geht, sehen wir oft gar nicht": SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.
© Quelle: dpa
Deutschland hat mittlerweile starke Signale des Zusammenhalts gesetzt
Zwar wagen derzeit auch seriöse Soziologen in Deutschland, Heinz Bude vorneweg, optimistische Betrachtungen. Möglich sei jetzt eine “Transformation der sozialen Marktwirktschaft”, bei der am Ende, grob gesagt, etwas sozial Gerechteres herauskomme als bisher.
Aladin El-Mafaalani dagegen, Bestsellerautor (“Das Integrationsparadox”) und Bildungsforscher, plädiert für eine gesunde Skepsis: “Wer vor dieser Krise schon Probleme hatte, hat jetzt noch mehr.”
Immerhin: Deutschland hat mittlerweile starke Signale des Zusammenhalts gesetzt, zuletzt mit der Erhöhung des Kurzarbeitergelds. “Es geht da nicht nur um Finanzen, sondern auch um die Menschen”, sagt Klingbeil. “Das Signal lautet: Hey, wir müssen jetzt alle irgendwie zusammenhalten.”
In diesem solidarischen Grundgefühl unterscheidet sich Deutschland tatsächlich von vielen Staaten der Erde. Etwa von den USA, wo binnen eines einzigen Monats 27 Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. Aber auch von Frankreich, wo der Staat die Unruhen in den Banlieues nördlich von Paris kaum noch in den Griff bekommt. Polizisten, die dort Ausgangssperren durchsetzen wollen, geraten nächtens immer häufiger in einen lebensbedrohlichen Hagel aus Steinen und Feuerwerkskörpern.
Die Spaltung der “Service Class”
Wie lange geht in Deutschland noch alles gut? Nur selten äußert sich mal jemand offen so negativ wie der CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, dem diese Woche in einem Radiointerview die Bemerkung rausrutschte: “Mir macht es langsam ein bisschen Angst, wie viel Geld wir ausgeben.”
Was, wenn sich alle Hilfspakete nur als Sandsäcke entpuppen, die man, wirkungslos, dem Tsunami einer neuen Weltwirtschaftskrise entgegen geschleudert hat? Die Zeichen dafür, dass sich in der Ferne etwas vielleicht Großes und Düsteres zusammenbraut, häufen sich. Bundesweit will jedes fünfte Unternehmen in nächster Zeit Stellen abbauen.
Wen aber wird es treffen? Von einem “polarisierten Postindustrialismus” spricht der Berliner Soziologe Andreas Reckwitz. Nach seiner Rechnung arbeiten 75 Prozent der Erwerbstätigen in den Dienstleistungen. Innerhalb dieses Sektors aber steht die Arbeit der Hochqualifizierten den sehr einfachen Dienstleistungen vieler Niedrigqualifizierter gegenüber: Akademikerklasse hier, “Service Class” dort.
Dem Virus gefällt es, auch die “Service Class” noch einmal gnadenlos aufzuspalten. Die Kassiererin im Supermarkt hat gut zu tun, die Krankenschwester auch, das Zimmermädchen im Hotel aber fliegt raus, ebenso wie der Kellner.
Dass zumindest jene Angehörigen der “Service Class”, die unverzichtbar bleiben und weiter den Karren ziehen, in Zukunft mehr Anerkennung – und mehr Geld – bekommen, gehört zu den schüchternen Hoffnungen dieser Tage.
RND