Kanzler-Rücktritt nach Korruptionsaffäre: Trotzdem behält Kurz die meiste Macht
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Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich, spricht bei einem Statement am Freitag zur Regierungskrise im Bundeskanzleramt.
© Quelle: Georg Hochmuth/APA/dpa
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Samstagabend seinen Rücktritt angekündigt. Das sagte er bei einer Stellungnahme. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) solle sein Amt als Kanzler zunächst übernehmen, so Kurz. Er gab den bekannt, nachdem Staatsanwälte den konservativen Politiker als Verdächtigen in einem Korruptionsfall um angeblich gekaufte Medienberichterstattung genannt hatten. Ohne den Rückzug hätte ein Bruch der Koalition zwischen ÖVP und Grünen gedroht, die Kurz für handlungsunfähig erklärt hatten.
„Was es braucht ist meiner Meinung nach Stabilität und Verantwortung, damit wir diese Phase der Pandemie noch bestmöglich bewältigen“, sagte Kurz. „Mein Land ist mir wichtiger als meine Person.“ Der Kanzler bekräftigte: „Was es jetzt braucht, sind stabile Verhältnisse.“
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Kurz tritt zur Seite – und behält viel Macht
Kurz kündigte jedoch keinen völligen Rückzug aus der Politik an. Er bleibe ÖVP-Chef und wechsle als Fraktionschef ins Parlament, sagte er. Damit behält er viel Macht.
Der 52-jährige Schallenberg ist seit Jahren in Spitzenfunktionen für die Außenpolitik Österreichs mitverantwortlich. Seit Juni 2019 ist er Außenminister des Landes. Er gilt als enger Vertrauter von Kurz. Die Opposition ist mit dieser Rochade nicht zufrieden. Damit bleibe der 35-Jährige eine äußerst einflussreiche politische Figur und das „System Kurz“ erhalten, kritisierte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.
Österreich: Kanzler Kurz kündigt Rücktritt an
Gegen Österreichs Kanzler Sebastian Kurz laufen Ermittlungen wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue.
© Quelle: Reuters
Alle Oppositionsparteien werten den Wechsel von Kurz ins Parlament als juristischen und machtpolitischen Schachzug. „Sebastian Kurz tritt die Flucht in die parlamentarische Immunität an“, sagte der Chef der rechten FPÖ, Herbert Kickl. Die Chefin der liberalen Neos Beate Meinl-Reisinger meinte, dass Kurz weiter alle Fäden in der Hand behalten werde. Als ÖVP-Chef hat Kurz weitreichende Befugnisse: Er kann das Regierungsteam, die Kandidatenlisten bei Parlamentswahlen sowie die politische Linie der ÖVP allein bestimmen.
Schallenberg ist für harten Kurs bei Migration
Der mehrsprachige, international erfahrene Diplomat Schallenberg vertritt in Fragen der Migration einen genauso harten Kurs wie Kurz. Im vergangenen Jahr hatte er sich strikt gegen eine Aufnahme von Migranten durch das von einem Feuer zerstörten Flüchtlingslager in Moria ausgesprochen. „Wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir hier nicht Signale ausschicken, die dann eine Kettenreaktion auslösen, der wir vielleicht nicht mehr Herr werden“, sagte er damals in der ORF-Nachrichtensendung „ZiB2″.
Im Mai 2021 hat Schallenberg Angriffe aus Gaza auf Israel verurteilt und als Zeichen der Solidarität israelische Flaggen auf dem Außenministerium in Wien hissen lassen. Er begründete das mit einer konsequenten Haltung Österreichs gegenüber dem Terror. Auch auf dem Bundeskanzleramt wurden israelische Flaggen gehisst. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte darauf mit drastischer Kritik reagiert.
Kurz unter Druck
Kurz stand zuletzt massiv unter Druck. Für kommenden Dienstag wollte die Opposition bei einer Sondersitzung des Parlaments einen Misstrauensantrag gegen Kurz einbringen.
Grund dafür ist, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Kanzler und einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue ermittelt. Laut der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft stehen enge Mitstreiter von Kurz im Verdacht, sich wohlmeinende Berichterstattung in einem Medienunternehmen erkauft zu haben, um Kurz ab 2016 den Weg an die Parteispitze und in das Bundeskanzleramt zu ebnen. Dafür soll Geld aus dem Finanzministerium zweckentfremdet worden sein. Die Ermittler sehen in Kurz einen Beteiligten an den Verbrechen der Untreue und Bestechlichkeit. Seit 2016 soll sich das Team um Kurz durch geschönte Umfragen und gekaufte Medienberichte abgesichert haben.
Regierungskrise in Österreich: Bundespräsident appelliert an Politiker
Die Lage rund um die Ermittlungen der Justiz gegen Bundeskanzler Kurz spitzt sich zu. Österreichs Präsident hielt eine Rede an die Nation.
© Quelle: Reuters
Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, die am Mittwoch nach einer Razzia im Bundeskanzleramt bekannt geworden waren.
Die Verdachtsmomente stützen sich auf Chatnachrichten aus dem Machtzirkel um Kurz. Am Freitag veröffentlichten Medien weitere Nachrichten, in denen Kurz anscheinend auch aktiv gegen den früheren ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner intrigierte.
Grüne forderten „untadelige Person“
Die Grünen stellten am Freitag klar, dass eine Fortsetzung ihrer Koalition mit der konservativen ÖVP angesichts der schweren Korruptionsvorwürfe gegen Kanzler Sebastian Kurz nur ohne ihn möglich sei. „Es ist ganz klar, dass so jemand nicht mehr amtsfähig ist“, sagte die grüne Fraktionschefin Sigrid Maurer in Wien. Die ÖVP sei nun aufgefordert, eine „untadelige Person“ zu nominieren, die die Regierung weiterführen könne. Zuvor hatten die Grünen die Handlungsfähigkeit von Kurz nur infrage gestellt.
Am Freitag führten die Grünen Gespräche mit allen Parlamentsparteien, um künftige Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Für eine mögliche Mehrparteienregierung ohne ÖVP bräuchten die Grünen allerdings nicht nur die Stimmen der sozialdemokratischen SPÖ und der liberalen Neos, sondern auch jene der FPÖ.
Die rechte FPÖ ist bereit zu Gesprächen mit den anderen Parlamentsparteien, um einen Ausweg aus der Regierungskrise zu finden. Dabei müsse die FPÖ jedoch als gleichberechtigter Partner behandelt werden, forderte Parteichef Herbert Kickl am Freitag in Wien. „Ich will Gespräche auf Augenhöhe haben und nicht eine Vorgangsweise, bei der sich mehrere Parteien etwas ausmauscheln und dann kommt man zu den Freiheitlichen und sagt, wir sollen das Ganze unterstützen.“
Die konservativ-grüne Regierung unter Kurz war Anfang 2020 vereidigt worden. Zuvor hatte Kurz von 2017 bis 2019 mit der rechten FPÖ regiert.
RND/no/af/scs mit dpa