Will Lindner bei Langzeitarbeitslosen kürzen? Ganz so einfach ist es nicht
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1.7.22: Bundesfinanzminister Christian Lindner bei einer Kabinettssitzung in Berlin. Lindner will in den kommenden Jahren stark bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen sparen.
© Quelle: IMAGO/photothek
Die Meldung sorgt für eine Menge Wirbel: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will in den kommenden Jahren stark bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen sparen, berichtet der „Spiegel“ am Donnerstag unter Bezug auf den Haushaltsentwurf für 2023. Konkret sollen für das kommende Jahr „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ in der Grundsicherung für Arbeitsuchende von aktuell gut 4,8 Milliarden Euro auf 4,2 Milliarden Euro gekürzt werden – ein Minus von insgesamt 609 Millionen Euro.
Bundesfinanzminister Lindner: Etat 2023 ist krisenfest und reaktionsbereit
Der Bundesfinanzminister hat in Berlin den Haushalt für das kommende Jahr vorgestellt.
© Quelle: Reuters
Noch weitaus folgenreicher soll laut Bericht eine mittelfristige Abschmelzung der Fördermittel sein. Bis 2029 würden die zur Verfügung stehenden Mittel auf nur noch 5 Millionen Euro jährlich reduziert, berichtet das Magazin und folgert, dass der sogenannte soziale Arbeitsmarkt damit „de facto vor dem Aus“ stehe.
Kürzungen ausgerechnet bei Langzeitarbeitslosen? Oppositionspolitiker von Linken und Union reagierten empört.
Arbeitsministerium hält Mittel für ausreichend
Im Bundesarbeitsministerium allerdings mag man die Aufregung nicht teilen. „Die für den Bundeshaushalt 2023 im Entwurf vorgesehenen Mittel für Eingliederungsleistungen bewegen sich auf dem Niveau dessen, was im Jahr 2019 für Eingliederung ausgegeben worden ist“, heißt es aus dem Haus von Minister Hubertus Heil (SPD). Bislang seien nie alle zur Verfügung stehen Mittel abgeflossen, weshalb man nun angesichts der angespannten Haushaltslage den Mittelansatz gekürzt habe. Unterm Strich werde das Geld reichen.
Auch die These vom mittelfristigen Aus des Sozialen Arbeitsmarktes stimme so nicht, heißt es weiter. Zwar sei tatsächlich ein Abschmelzen der Mittel im Haushaltsentwurf vorgesehen, das liege aber daran, dass die Förderung künftig aus dem Bürgergeld finanziert werden soll, das die Ampelparteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben. „Mit dem Bürgergeld werden wir den sozialen Arbeitsmarkt entfristen und zu einem dauerhaften Instrument der Arbeitsmarktpolitik machen“, kündigte eine Sprecherin von Hubertus Heil an.
Gewerkschaften, Sozialverbände und die Opposition im Bundestag bewerten die Kürzung dennoch als völlig falsches Signal zur völlig falschen Zeit. „Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist während der Pandemie um 41 Prozent nach oben geschossen. Erstmals wurde seit 2015 wieder die Ein-Millionen-Marke überschritten. In dieser Situation ausgerechnet den sozialen Arbeitsmarkt kaputt zu sparen, hieße, hunderttausende Menschen im Regen stehen zu lassen. Dies wird der Paritätische niemals akzeptieren können“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Harsche Kritik von Sozialverbänden und Linken-Politiker Bartsch
Auch von VdK-Präsidentin Verena Bentele hagelte es Kritik: „Es ist ein falsches Signal, wenn auf dem Rücken der Ärmsten gespart werden soll“, sagte sie. „Der Bundesfinanzminister will bei denjenigen, die massiv unter der Krise leiden, den Rotstift ansetzen, während Mineralölkonzerne Milliardengeschenke erhalten.“ Langzeitarbeitslose Menschen bräuchten dringend Unterstützung, so Bentele weiter. Hier habe sich der soziale Arbeitsmarkt bewährt, da er Betroffenen eine Perspektive eröffne und Teilhabe ermögliche. „Deswegen muss es Ziel sein, ihn auszubauen statt zu kürzen“, so die VdK-Präsidentin. Das könne durch eine Reform des Steuersystems finanziert werden: „Es wäre mehr als gerecht, wenn alle, die viel haben, auch mehr schultern.“
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Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Stephan Stracke (CSU) sprach von einem „arbeitsmarktpolitischen Offenbarungseid“ der nicht nachvollziehbar sei. „Die Ampel muss erklären, warum sie in Zeiten steigender Langzeitarbeitslosigkeit Leistungen für die Eingliederung auf den Arbeitsmarkt kürzt“, sagte er dem RND.
„Finanzminister Lindner wird zunehmend zum Dirigenten eines sozialpolitischen Streichorchesters. Mit der Schuldenbremse im kommenden Jahr hat Lindner die Knute in der Hand“, sagte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Er forderte Bundeskanzler Olaf Scholz auf, die Kürzungspläne zurückzunehmen. „Olaf Scholz sprach im Wahlkampf von Respekt und Gerechtigkeit. Lässt sich die SPD das Prestigeprojekt von Arbeitsminister Heil kaputt machen, dann wäre ein Höchstmaß an Unterwürfigkeit gegenüber der FDP erreicht“, so Bartsch.
DGB: „Plan ist politisch kurzsichtig“
Kritik gibt es auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): „Dieser Plan ist politisch kurzsichtig“, sagt Anja Piel vom DGB-Bundesvorstand. „Die Investition in Weiterbildungen für Arbeitslose sind gut angelegtes Geld, vermeiden Langzeitarbeitslosigkeit und sind auch mit Blick auf den Fachkräftebedarf unverzichtbar“, so Piel weiter. Die Bundesregierung solle deshalb davon absehen, die Mittel zur Eingliederung zu kürzen.
Das Gleiche gelte für den sozialen Arbeitsmarkt: Hier würden Menschen, die ansonsten auf dem Arbeitsmarkt chancenlos sind, eine Perspektive erhalten und Teilhabe erleben. Das Instrument, so die Gewerkschafterin, funktioniere also. „Es gleichzeitig zu entfristen – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – und kaputtzusparen ist widersprüchlich“, sagt sie. Den Schwächsten der Gesellschaft „wertvolle und wirksame Unterstützung“ zu rauben, dabei aber gleichzeitig Steuererhöhungen für Reiche trotz der Krisensituation auszuschließen, sei „schlicht unverantwortlich“ und gefährde den sozialen Frieden. „Die Koalitionsfraktionen müssen diesen Haushaltsentwurf im Parlament korrigieren“, so Piel.