Europäische Gesetzespläne

Digitalpolitik im Wettlauf mit KI: Wie stark sollen die Programme reguliert werden?

Künstliche Intelligenz findet in immer mehr Lebensbereichen Anwendung. Die Politik will das regulieren.

Künstliche Intelligenz findet in immer mehr Lebensbereichen Anwendung. Die Politik will das regulieren.

Berlin. Keine drei Jahre ist es her, da veröffentlichte eine Enquete-Kommission des Bundestags ihren Abschlussbericht zu künstlicher Intelligenz. Man lebe in einer Zeit von Umbrüchen, „künstliche Intelligenz nimmt sich neben anderen Entwicklungen fast klein aus“, heißt es im Vorwort des rund 800 Seiten starken Dokuments. Geht es nach der aktuellen Einschätzung von internationalen KI-Expertinnen und -Experten, wird der Umbruch aber alles andere als klein ausfallen. Sie plädierten in dieser Woche in einem Statement: „Es sollte global priorisiert werden, das Risiko der Auslöschung durch KI zu verringern – auf einer Stufe mit anderen Risiken für die gesamte Gesellschaft, wie etwa Pandemien und Nuklearkrieg.“

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Während sich die intelligente Software ständig weiterentwickelt, versuchen die Digitalpolitikerinnen und -politiker im Bundestag und Europäischen Parlament, den Fortschritt zu kontrollieren. „Wir lassen uns nicht durch Weltuntergangsszenarien verschrecken, aber wir sind uns auch einig, dass der Gesetzgeber in irgendeiner Form eingreifen muss“, sagte Sergey Lagodinsky, Europaabgeordneter der Grünen, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Das geschieht aktuell vor allem auf Ebene der EU. Im Frühjahr 2021 hatte die Kommission einen Entwurf des sogenannten „Artifical Intelligence (AI) Act“ veröffentlicht. Er gilt als das erste Gesetz weltweit, das KI in allen Lebensbereichen regulieren soll.

Das Gesetz soll auch ein starkes Signal in die USA und nach China senden. „Um KI regulieren zu können, müssen wir erst einmal etwas haben, was zu regulieren ist“, sagt Grünen-Politiker Lagodinsky. Er unterstützt zwar Regulierung, will aber auch aktiv Innovation fördern. Lagodinskys Sorge, die er mit anderen Digitalpolitikern teilt: Wenn die EU zu streng reguliert, findet die Entwicklung der Software andernorts statt. Reinhard Brandl, der digitalpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, befürchtet: „Am Ende müssten wir in der EU dann für die Systeme zahlen, die in den USA und in China unter deren Standards entwickelt wurden. Wir würden unsere digitale Souveränität komplett verlieren.“

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Jede Partei will beim Megathema mitreden

Die Einigkeit der Digitalpolitiker reicht aber nicht weit, erklärt Lukas Klingholz, der beim Digitalverband Bitkom den Bereich KI leitet: „Jede Partei will bei diesem Megathema ihre Handschrift einbringen. Denn das, was jetzt entschieden wird, kann weitreichende Folgen in allen Lebensbereichen haben.“ Die SPD-Bundestagsfraktion betont beispielsweise in einem Positionspapier zwar Chancen der KI, führt aber weit umfassender aus, wo Vorsicht geboten ist: Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte müssten geschützt, Diskriminierung ausgeschlossen, Überwachung verhindert werden.

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Der Koalitionspartner FDP hat hingegen andere Vorstellungen: „Unser Ziel sollte sein, europäische KI-Unternehmen zu fördern. Regulierung muss deshalb möglichst bürokratiearm stattfinden“, sagt Maximilian Funke-Kaiser, der digitalpolitische Sprecher der Fraktion, dem RND. „Zu viele Anforderungen an die Unternehmen würden letztlich wieder einen Vorteil für große amerikanische Player wie Microsoft bedeuten, die bürokratische Hürden einfacher als kleine europäische Start-ups überspringen können.“ Der AI Act sieht nämlich nicht nur mehr Transparenz vor, in welchen Produkten KI steckt. Die Anwendungsfälle der Algorithmen würden dem Vorschlag zufolge in Risikostufen eingeteilt werden, die Einschränkungen für Unternehmen zur Folge hätten.

Die FDP pocht aber auch auf die Einhaltung der Bürgerrechte, beispielsweise lehnt sie KI-gesteuerte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum zur Verbrechensbekämpfung ab. Mit der Union gebe es in diesem Punkt Differenzen, erklärt Funke-Kaiser. Umgekehrt wirft Unionspolitiker Brandl der Ampelkoalition vor, in Sachen KI schlecht zu kommunizieren. „Es ist nicht klar, welches Ministerium sich federführend um das Thema KI kümmert“, sagt er dem RND. Das Wirtschafts- und Justizministerium führten zusammen die EU-Verhandlungen, im zuständigen Ministerrat verträte aber das Verkehrsministerium die deutsche Position. „Das ist sehr unglücklich und macht uns die Arbeit im Bundestag schwer.“ Auch für den europäischen AI Act habe das Folgen „Deutschland bringt sich zu spät und zu zögerlich ein“, betont Brandl.

Einheitliche Standards helfen Unternehmen und Bürgern

Eine starke und einheitliche EU-Position ist auch dem Grünen-Digitalpolitiker Lagodinsky wichtig: „Die USA denken in der Wirtschaftspolitik an ihre eigenen Interessen. Wir müssen das genauso machen, um die Asymmetrie auszugleichen, die es aktuell in eigentlich allen digitalpolitischen Bereichen gibt.“ Schließlich müsse sich die EU dann eng mit den USA abstimmen, da eine gemeinsame Linie mit China zu finden eher schwierig werde.

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Bitkom-Digitalexperte Klingholz fordert einen pragmatischen Blick auf künstliche Intelligenz: „Natürlich kann man mit diesem Werkzeug gefährliche Sachen machen, deshalb braucht es Leitplanken. Wenn diese einheitlich und ohne zu große Hürden umgesetzt werden, wäre das sowohl für Bürger als auch Unternehmen hilfreich.“ Gemeinsame transatlantische Standards würden den Unternehmen den Markzugang vereinfachen und Bürgern verlässliche Qualität garantieren. Klingholz beklagt aber auch, dass die Debatte um KI zu sehr auf deren Regulierung fokussiert. „Die EU-Kommission hatte ein ‚Konzept für Exzellenz und Vertrauen‘ entwickelt. Die jetzige Diskussion dreht sich zu stark um Letzteres“, sagt er.

Dabei ist die Regulierung schwierig angesichts der Fortschritte der KI: Im ersten Entwurf des AI Acts spielte die generative KI – also solche, die beispielsweise wie ChatGPT nach Aufforderung neue Dinge erstellt – noch keine Rolle. Ebenso sind Teile des Berichts der Enquete-Kommission im Bundestag überholt. FDP-Politiker Funke-Kaiser glaubt, dass die Politik sich noch viel mit KI wird beschäftigen müssen: „Dadurch, dass Programme wie ChatGPT mittlerweile von vielen Menschen praktisch genutzt werden und immer weitere Anwendungen hinzukommen werden, stellen sich noch einmal ganz neue Fragen, die alle Lebensbereiche betreffen.“

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