Kriegsverbrechen in der Ukraine: Wie können die Täter belangt werden?
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Der leblose Körper eines Mannes mit auf dem Rücken gefesselten Händen in Butscha (Archivbild).
© Quelle: Vadim Ghirda/AP/dpa
Es sind Bilder, die um die Welt gingen – und das ganze schreckliche Ausmaß des bis dahin noch jungen Krieges in der Ukraine darlegten. Im April, keine zwei Monate nach Beginn des russischen Angriffs, eroberten die ukrainischen Streitkräfte mehrere belagerte Kiewer Vororte zurück. Auf die Freude der militärischen Erfolge folgte allerdings schnell weltweites Entsetzen. In und um Butscha wurden mehr als 400 getötete Zivilisten gefunden. Erschossen, verbrannt oder von Panzern zerquetscht. Manche verscharrt in Massengräbern, andere mit auf dem Rücken verbundenen Händen auf den Straßen der Stadt. Männer, Frauen – und auch Kinder.
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„Wir sind es diesen Opfern schuldig, dass wir hier nicht nur gedenken, sondern dass wir die Täter zur Verantwortung bringen und ziehen“, sagte Außenministerin Annalena Baerbock im Mai, als sie als erstes deutsches Regierungsmitglied nach Kriegsbeginn in die Ukraine reiste. „Das werden wir als internationale Gemeinschaft tun. Das ist das Versprechen, was wir hier in Butscha geben können und geben müssen“, betonte sie.
G7 wollen Strafverfolgung besser koordinieren
Jetzt, mehr als neun Monate nach Beginn des russischen Vernichtungskriegs, ist klar: Butscha war nur eines von vielen entsetzlichen Beispielen für die Gräueltaten, die Russland in der Ex-Sowjetrepublik begangen hat. Täglich gibt es neue Meldungen über Vergewaltigungen, Entführungen, Folter, Morde und Angriffe auf zivile Ziele durch die russischen Besatzer. Mehr als 45.000 Kriegsverbrechen registrierten die ukrainischen Behörden nach offiziellen Angaben bislang. Russland streitet diese ab und wirft wiederum der Ukraine Kriegsverbrechen vor.
Die Ermittlungen gestalten sich inmitten der anhaltenden Kämpfe schwierig. Die Justizminister der G7-Staaten wollen deshalb am Dienstag eine effizientere Koordination verabreden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat dazu seine Amtskollegen der sieben größten Industrienationen nach Berlin eingeladen. Bei der verbesserten Zusammenarbeit gehe vorrangig darum, Beweismaterial zu sichern und Doppelarbeit zu vermeiden. Opfer, die Zeugenaussagen machten, sollten zu ihren traumatisierenden Erlebnissen beispielsweise nicht mehrfach aussagen müssen.
„Das Völkerstrafrecht fußt auf einem kraftvollen Versprechen, nämlich dass Kriegsverbrechen nicht straflos bleiben dürfen, egal, wo sie begangen werden, egal, wer sie verübt. Dieses Versprechen zu halten ist unsere Pflicht“, sagte Buschmann in einem auf Twitter veröffentlichten Video. Er versprach, Deutschland werde bei der Verfolgung einen langen Atem beweisen, weil Kriegsverbrechen hierzulande nicht verjähren. Die Aufklärung beinhalte dabei auch mögliche Kriegsverbrechen von ukrainischer Seite.
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Wer ahndet Kriegsverbrechen?
An der Aufklärung der Verbrechen in der Ukraine beteiligen sich neben der dortigen Justiz auch NGOs sowie Ermittler aus anderen Staaten, etwa aus Deutschland. Der Internationale Gerichtshof (IStGH) in Den Haag ermittelt ebenfalls und könnte später entsprechende Völkerrechtsverstöße ahnden. Aber auch Gerichte in der Ukraine verhandeln Kriegsverbrecherfälle. So ist bereits im Mai – im ersten ukrainischen Kriegsverbrecherprozess – ein 21 Jahre alter russischer Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Vergleichbare Gerichtsverhandlungen sind auch im Ausland möglich, zum Beispiel vor deutschen Strafgerichten.
Mit der Verfolgung von im Ausland begangenen Kriegsverbrechen hat die deutsche Justiz bereits Erfahrung. So hatte das Oberlandesgericht Koblenz etwa im Januar den ehemaligen Vernehmungschef eines syrischen Geheimdienstgefängnisses zu lebenslanger Haft verurteilt. Er soll für die Folter von mindestens 4000 Menschen und den Tod von mindestens 27 Gefangenen mitverantwortlich gewesen sein. Hinsichtlich der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine hat die deutsche Polizei bereits einige Hundert Zeugenaussagen von ukrainischen Geflüchteten aufgenommen, heißt es vonseiten der Behörden.
Zur Verfolgung von in der Ukraine begangenen russischen Verbrechen fordert die ukrainische Regierung schon lange die Einrichtung eines internationalen Sondertribunals. Die Regierung in Kiew ist der Auffassung, ein solches Tribunal sollte sich mit der Völkerrechtsstraftat der Aggression befassen. Buschmann und seine Amtskollegen wollen bei dem Treffen in Berlin auch über diese Möglichkeit sprechen. Dafür sind der ukrainische Justizminister Denys Maljuska sowie der IStGH-Chefankläger Karim Ahmad Khan als Gäste angereist.
Könnte Putin vor Gericht landen?
Justizminister Buschmann kündigte eine entschlossene Strafverfolgung von Kriegsverbrechen an, sofern die EU-Staaten die Möglichkeit dazu erhalten. „Wir werden Täter verhaften, wenn sie nach Europa kommen. Wir werden ein Russland nach Putin aber auch auffordern, mutmaßliche Kriegsverbrecher nach Den Haag auszuliefern.“
Offen ist aktuell aber, bis in welche Führungsebene die Anklagen reichen könnten. Im Fokus steht dabei vor allem der russische Präsident Wladimir Putin. Dieser „genießt vor deutschen Gerichten als Staatsoberhaupt Immunität“, sagt Rechtsexperte Horst Meier dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), „nicht aber vor dem IStGH in Den Haag.“ Wie Meier bereits im Juni in einem Gastbeitrag für den NDR erklärte, könnten dort alle Soldaten der russischen Streitkräfte bis hin zu deren Oberbefehlshabern belangt werden – und auch Putin.
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„Der Strafgerichtshof in Den Haag soll ja gerade die gemeingefährlichen Formen von Staatskriminalität verurteilen, die von höchster Stelle angeordnet werden“, so Rechtsexperte Meier weiter. „Daher könnte der Gerichtshof, eine fundierte Beweislage vorausgesetzt, selbst gegen Präsident Putin einen internationalen Haftbefehl erlassen.“
„Die Taten verjähren nicht“
Auch der Jurist Fin-Jasper Langmack sieht trotz politischer und rechtlicher Schwierigkeiten durchaus eine Grundlage, den Kremlchef vor Gericht zu bringen. „Völkerstrafrecht hat einen langen Atem. Die Taten verjähren nicht“, sagte er am Sonntag in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“.
Er schränkte jedoch ein: „Ob man Putin jemals zu greifen bekommt, steht in den Sternen.“ Denn es sei „enorm schwierig“, konkret nachzuweisen, dass Putin Kriegsverbrechen begangen habe. „Dazu ist er geografisch und in der Befehlskette einfach zu weit weg“, verdeutlicht Langmack, gibt jedoch zu bedenken, es sei schwierig, aber nicht unmöglich.