CDU-Generalsekretär Czaja: „Keine Tabus bei Ausstattung von Drohnen und ihrer Bewaffnung“
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Mario Czaja, CDU-Generalsekretär, bei einer Mahnwache anlässlich des Kriegs gegen die Ukraine in Berlin.
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Berlin. Herr Czaja, Russland führt Krieg in Europa. Hat Angela Merkel einen Scherbenhaufen in der Außen- und Sicherheitspolitik hinterlassen?
Wir erleben gerade nicht nur eine Zeitenwende, sondern auch eine Rückkehr der Geschichte. Seit der Wiedervereinigung und dem Fall des Eisernen Vorhangs gingen alle davon aus, dass Deutschland von Freunden und Partnern umgeben ist. Diese vermeintliche Gewissheit können wir nun nicht mehr haben. Es wäre unlauter, das Angela Merkel anzulasten. Russland bekämpft nicht nur die Ukraine, sondern auch die Demokratie und Freiheit. Deshalb muss die Außen- und Sicherheitspolitik völlig neu ausgerichtet werden.
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War die Strategie der vergangenen Jahre also falsch?
Kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden und alle Wege der Diplomatie offenzuhalten kann nie der falsche Weg sein. Die Außenministerin hat im Parlament betont, sie hätte alle diplomatischen Mittel genutzt, diesen Krieg zu verhindern. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in Kiew über eine Präzisierung des Minsker Abkommens verhandelt, aber darauf wurde in Moskau überhaupt nicht eingegangen. Deutschland und die westliche Staatengemeinschaft wurden belogen. Trotzdem gilt: Alle Wege der Diplomatie müssen auch jetzt noch gesucht und ausgeschöpft werden, um diesen Krieg zu beenden.
Friedrich Merz hat sich in seiner Rede im Bundestag sehr an der Außen- und Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre abgearbeitet. Ist mit Merkels Kurs endgültig Schluss in der CDU?
Das würde ich nicht so interpretieren: Friedrich Merz hat die vermeintlichen Gewissheiten der Vergangenheit beleuchtet. Die Ursache für die neue Lage ist nicht die Außen- und Sicherheitspolitik von Angela Merkel, sondern der von Putin begonnene Angriffskrieg.
Was bedeutet das für die Neuaufstellung der Partei?
Das ist keine parteipolitische Frage. Für die CDU bedeutet es das Gleiche wie für SPD und Grüne. Die Bundesrepublik braucht neue Antworten auf die neue geo-, sicherheits- und außenpolitische Situation. Die CDU wird sich die Vorschläge der Bundesregierung anschauen, prüfen und reflektieren. An der Union wird es nicht scheitern, einen konstruktiven, gemeinsamen Weg beim 100-Milliarden-Paket zur Stärkung der Bundeswehr und dem kurzfristigen Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels zu gehen.
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Am Sonntag fand sich der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich erneut zum Krieg in der Ukraine geäußert.
© Quelle: RND
Die CDU will der Regierung keinen „Blankoscheck“ für das Sondervermögen Bundeswehr ausstellen. Was erwarten Sie von der Ampel?
Wir wollen in die konkrete Ausgestaltung des Sondervermögens eingebunden werden. Die CDU will nicht nur über die Ergebnisse, sondern auch über die Zwischenschritte reden. Die Union ist sich ihrer staatspolitischen Verantwortung bewusst und bereit, die nötige Grundgesetzänderung für das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen mitzutragen. Entsprechend werden sich in dem endgültigen Entwurf also nicht nur Positionen von SPD, FDP und Grünen widerspiegeln, sondern auch unsere.
Zum Beispiel?
In dem Vorschlag muss eine klare Zweckbestimmung für das 100-Milliarden-Paket enthalten sein. Die Mittel dürfen nicht für abweichende, sachfremde Investitionen genutzt werden. Eine Planungssicherheit für Verteidigungsausgaben muss bestehen. Es darf auch keine Tabus bei der Ausstattung von Drohnen und ihrer Bewaffnung geben. Vom früheren Koalitionspartner SPD und besonders von Finanzminister Olaf Scholz wurde das in der vergangenen Regierung abgelehnt und blockiert. Aber die Zeiten haben sich geändert, das hat der Bundeskanzler zuletzt ja auch deutlich gemacht.
In Ihrem Wahlkreis in Berlin-Marzahn gibt es eine große russische Gemeinschaft. Welche Auswirkungen des Krieges spüren Sie dort?
Ich sehe mit Sorge, dass es in meinem Wahlkreis Angriffe gegen russische Geschäfte und die russisch-deutsche Schule gibt. Es kommt zu Schmierereien an den Häuserwänden wie „Russenladen“ und „Kriegsverantwortliche“. Russisch sprechende Menschen erleben Pöbeleien in der U-Bahn. Wir sollten frühzeitig auf diesen schwelenden innerdeutschen Konflikt reagieren, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.
Wie?
Wir brauchen in Deutschland eine bessere Form der zwischenmenschlichen Völkerverständigung. Wir müssen den Deutschen aus Russland und den Menschen mit russischen Wurzeln deutlich signalisieren, dass sie nicht unsere Gegner sind. Unser Gegner ist nicht das das russische Volk. Dieser Krieg ist Putins Krieg, der auch auf Kosten der russischen Bevölkerung ausgetragen wird.
Die Bundesregierung, Kulturstaatsministerin des Bundes und Kultusminister der Länder müssen jetzt Vorschläge machen, an welchen Orten kultureller und zivilgesellschaftlicher Austausch unterstützt werden kann und wie zum Beispiel Nachbarschaftsorganisationen gestärkt werden können.
Kommen wir zur Energiesicherheit: Der Krieg zeigt erneut, Deutschland ist energieabhängig von Russland. Sollte sich die Regierung neben den Erneuerbaren auch auf Kernenergie konzentrieren?
Wirtschaftsminister Robert Habeck sagt, es dürfe keine Denkverbote geben. Wir sind bereit, mit der Bundesregierung über alles zu sprechen, was notwendig ist, um die Energiesicherheit in unserem Land zu gewährleisten. Allerdings geht es gerade ja nicht nur um Strom, sondern vor allem um die Gaskapazitäten für Heizungen.
Es war Ihre Partei, die das Wirtschaftsministerium in den vergangenen Jahren geführt und damit die Energie- und Gaspolitik verantwortet hatte. Warum sind Sie so wenig vorangekommen?
Ich teile Ihre Ausgangsthese nicht. Wir sind vorangekommen. Aber ja, auch die Wirtschaftsminister der letzten Koalitionen haben diesen Putin-Krieg nicht kommen sehen. Wahr ist aber auch: Wir waren immer dafür, Lagermöglichkeiten für Flüssiggas zu schaffen. Alle drei Ampelparteien waren dagegen. Jetzt findet ein erhebliches Umdenken statt.
Es ist aber nicht die Zeit, Vorwürfe der Vergangenheit wegen zu machen. Wir müssen jetzt nach vorne schauen. Die Diktatoren machen sich verächtlich über die Demokratie und sagen, dass parteipolitischer Streit Demokratien lähmt. Das ist natürlich falsch. Wir müssen über den besten Weg streiten, aber in schwierigen Situationen zusammenstehen und klug entscheiden.
Zur Demokratie gehört aber auch Selbstkritik.
Ja. Aber die Wahrheit ist, dass wir in der Vergangenheit klar waren, was etwa Flüssiggas und das Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben angeht. Die SPD wollte keine Lagerung von Flüssiggas, obwohl es notwendig war. In diesen Fragen erkenne ich bei aller Bereitschaft zur Selbstkritik eher, dass SPD und Grüne sich auf unseren Weg zubewegen.
Die Bundesregierung will den Ausbau der Windenergie beschleunigen. Wird sich Ihre Schwesterpartei CSU von der 10H-Regel verabschieden müssen?
Auch die CDU will die Stärkung der regenerativen Energien, um das 1,5-Gradziel einzuhalten. Alle werden auf Basis der neuen Entwicklung ihre Positionen hinterfragen müssen. Die Alternativvorschläge der Bundesregierung müssen auf den Tisch, und zwar zügig.
Das Kippen der 10H-Regel ist schon auf dem Tisch.
Wir werden darüber innerhalb der Union beraten und ein Gesamtpaket zur Energiesicherheit vorlegen.
Zum CDU-Grundsatzprogramm: Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann soll es ausarbeiten. Welchen Stellenwert soll die Sozialpolitik einnehmen?
Carsten Linnemann führt als stellvertretender Vorsitzender zusammen mit Serap Güler und Mario Voigt die Grundsatzkommission. Schon im Führungsteam spiegeln sich also die Themen der Sozial-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wider. Sozialpolitik wird eine sehr große Rolle im Grundsatzprogramm einnehmen. Die Zukunftsfähigkeit unserer sozialen Sicherungssysteme – Gesundheit, Rente, Pflege – ist eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen. Da muss ich selbstkritisch sagen, dass wir in unserer früheren Regierungszeit nicht weit genug gekommen sind.
Sie sind langjähriger Sozialpolitiker. Wie soll das Sozialprofil der CDU aussehen?
Es gibt drei Punkte: Eine gute Sozialpolitik bedeutet für die CDU, dass man das Geld, was man verteilen möchte, vorher einnehmen muss. Sozialpolitik bedeutet also solide Wirtschaftspolitik. Zweitens geht es um Chancengerechtigkeit und Bildungspolitik: Gute Bildung ist die Grundvoraussetzung zur Erfüllung des Aufstiegsversprechens unserer Gesellschaft. Der Erfolg unseres Bildungssystems ist immer noch zu sehr von der Herkunft und dem Bildungsstatus der Eltern abhängig.
Und drittens?
Es muss eine Leistungsgerechtigkeit geben. Diejenigen, die arbeiten und für die Gesellschaft viel leisten, müssen mehr in der Tasche haben und mehr profitieren als diejenigen, die das nicht tun. Deswegen lehnen wir ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. Eine Volkspartei muss ein abgewogenes Konzept haben, in dem Wirtschafts- und Sozialpolitik gesund verzahnt werden.
Ist das für Sie CDU pur?
Volkspartei zu sein ist CDU pur. Wirtschafts- und Sozialpolitik zusammenzudenken ebenso.
Braucht es eine neue Definition von CDU pur?
CDU pur hatte ja nie eine starre Definition. Aber eine programmatische Neujustierung ist in einigen Bereichen nötig, um Antworten auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu geben. Der demografische Wandel ist enorm: Die Babyboomer gehen bald in den Ruhestand. Das erfordert eine Anpassung des Sozialsystems. Das muss künftig auch hinter CDU pur stehen.
Mit großer Mehrheit gewählt: Merz neuer Chef der Bundestagsfraktion der Union
Merz war bereits von 2000 bis 2002 Chef der Unionsbundestagsfraktion. Nun hat er den Posten von Ralph Brinkhaus übernommen.
© Quelle: Reuters
Mit dem Grundsatzprogramm hatte Annegret Kramp-Karrenbauer begonnen – der ständige Machtwechsel kam dazwischen. Können Sie gewährleisten, dass es jetzt klappt?
Wir greifen die Erfahrungen der Zuhör-Tour von Annegret Kramp-Karrenbauer bewusst auf und binden die dort gewonnenen Erkenntnisse mit ein. Die Fachkommission Wertefundament hat ihre Arbeit bereits aufgenommen und wird im September ihr Ergebnis vorstellen. Zwischenergebnisse werden auch veröffentlicht – bis zur Vollendung des Programms im Jahr 2024.
Das Problem der CDU ist stets auch die Unzufriedenheit der Basis. Wie wollen Sie die befrieden?
Die Basis arbeitet am Grundsatzprogramm mit – schon Tausende Mitglieder haben sich für die Mitarbeit beworben. Sie wollen sich mit ihrem Wissen, ihren Kompetenzen und ihrer Erfahrung einbringen. Wie ich es auf dem Parteitag gesagt habe: Da schlummert noch ein großer Schatz in unserer Mitgliedschaft.