Autonome Drohnen sollen Putins Truppen stoppen
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Sie nähern sich unauffällig, erkennen ihr Ziel selbst – und geben keinen Hinweis auf den, der ihre Reise kontrolliert: Switchblade-Drohnen der Firma Aerovironment aus Simi Valley, Kalifornien.
© Quelle: AeroVironment
Amerikanische Rüstungsfirmen treten dieser Tage mit einem beseelten Tonfall auf, als seien sie die eigentlichen Vertreter des Wahren, Schönen, Guten auf Erden.
„Wir stehen für Freiheit“, verkündet stolz der kalifornische Drohnenhersteller Aerovironment auf seiner Homepage – und kommt dann gleich auf die Ukraine zu sprechen: „Wir stehen auf der Seite von souveränen Nationen und ihrem Recht, Heimat und Leben zu schützen.“
Die gute Stimmung bei der Firma in Simi Valley, Kalifornien, hat auch mit der Auftragslage zu tun. Ihre unbemannten Flugsysteme – UAS, für „unmanned aircraft systems“ – gehen gerade weg wie warme Semmeln. Nicht nur die Flugobjekte, auch die Aktien von Aerovironment zischen himmelwärts: 49 Dollar kosteten sie bei Kriegsbeginn am 24. Februar, inzwischen sind sie 90 Dollar wert.
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Putins Krieg, da hatten Börsenprofis den richtigen Riecher, dürfte die Geschäfte des kalifornischen Drohnenbauers beflügeln, und zwar nicht nur kurzfristig.
Aerovironment ist zwar mit seinen bislang nur knapp 400 Millionen Dollar Umsatz ein Zwerg neben Rüstungsgiganten wie Northrop Grumman (36 Milliarden) oder Lockheed Martin (67 Milliarden), doch deren Weltuntergangswaffen, von schweren Bombern bis zu Interkontinentalraketen, würde den Ukrainern ohnehin niemand aushändigen.
Die Produkte aus Simi Valley indessen passen zum speziellen Bedarf in der Ukraine. Schon wegen ihrer eng begrenzten Reichweite zählen Drohnen als bloße Verteidigungswaffe: In Moskau muss sich niemand vor ihnen fürchten.
Waffen mit „spielverändernden Fähigkeiten“
Für russische Soldaten in der Ukraine allerdings könnten die amerikanischen Drohnen eine massive Bedrohung darstellen. „Möglicherweise verschieben die neuen Systeme ein Stück weit die Machtverhältnisse“, sagt Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Die in London tätige Politologin, regelmäßig zu hören im Podcast Sicherheitshalber, forscht seit zehn Jahren zum Thema Drohnen. Franke empfahl deren Anschaffung stets auch den lange zweifelnden Deutschen.
Auch der Hersteller Aerovironment spricht von „spielverändernden Fähigkeiten“ seiner Waffen. Wie weit aber wirklich der Einfluss der neuen Systeme auf die Lage in der Ukraine reichen wird, hängt von vielen Faktoren ab – nicht zuletzt auch von der Frage, wie die Ukrainer mit der neuen Technik umgehen. Immerhin aber stehen bereits viele Zeichen auf Grün.
- 100 Drohnen des Typs Switchblade 300 hat die US-Regierung bereits bei Aerovironment für die Ukraine bestellt und bezahlt. Details zur Lieferung sind geheim, möglicherweise sind die Waffen schon im Land.
- Große Waffenlager, die ein Ziel für russische Luftangriffe bieten, müssen die ukrainischen Drohnenkrieger nicht anlegen. Sie können die Systeme breit verteilen. Die Switchblade 300 wiegt nur 2,5 Kilogramm, ist mit zusammengeklappten Flügeln kaum größer als ein Baguette und passt in einen Rucksack.
- In weiteren Schritten will das Pentagon auch die Switchblade 600 liefern. Sie hat einen größeren Einsatzradius (40 statt zehn Kilometern) und eine größere, sogar panzerbrechende Sprengkraft – wiegt allerdings auch mehr als 20 Kilogramm. Beide Systeme können aber von kleinen, mobilen Teams genutzt werden – passen also zur schon bisher erprobten Vorgehensweise der ukrainischen Verteidiger.
- Anders als eine Panzerfaust gibt die Drohne nicht den Standort desjenigen preis, der sie abschickt. Ukrainische Kämpfer können sie zum Beispiel in ihren – bald wieder belaubten – Wäldern auf einer kleinen Lichtung starten und bleiben ihrerseits vollkommen unerkannt. Sie brauchen keinen Sichtkontakt zum Ziel, die optische Kontrolle bietet Switchblade per Echtzeitvideo.
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Mit zusammengeklappten Flügeln passt diese Hightechwaffe in einen Rucksack: Switchblade 300 von Aerovironment.
© Quelle: AeroVironment
- Die Ukrainer haben im Umgang mit Drohnen bereits Übung. Ihre Armeeabteilung Aeroroswidka hat einen mittlerweile sogar legendären Ruf. Mit Bayraktar-Drohnen aus der Türkei und unter Nutzung des von Elon Musk zur Verfügung gestellten Starlink-Satellitensystems gelang es den ukrainischen Spezialisten, eine Vielzahl russischer Fahrzeuge aus der Luft lahmzulegen. Attacken dieser Art trugen laut „Times“ dazu bei, dass der über viele Tage formierte 40 Kilometer lange russische Konvoi sich nie in Richtung Kiew bewegte. Vor allem nächtlichen Drohnenangriffen standen die Russen hilflos gegenüber; ihre Versuche, die Drohnen abzuschießen oder auch nur deren Steuerung zu stören, schlugen immer wieder fehl.
Die Drohne wartet – und schlägt autonom zu
Das Switchblade-System geht noch einen Schritt weiter. Die Bediener können ein sich bewegendes Ziel wie etwa einen Panzer in die nach Prinzipien der künstlichen Intelligenz aufgebaute Steuerung einprogrammieren und der Drohne aufgeben, in der Luft auf dessen Eintreffen zu warten. Taucht das Ziel im Aktionsradius auf, wird es autonom vernichtet. Der Bediener behält jedoch die Option, die Aktion jederzeit abzubrechen.
Mittlerweile setzt die Ukraine auf eine Ausweitung ihrer Drohnenstrategie. Angeblich sucht die Armee derzeit Helfer in Kreisen von Leuten, die Erfahrung im Umgang mit Modellflugzeugen haben. Schwieriger als ein Modellflugzeug zu starten soll auch der Umgang mit den Switchblades nicht sein: Der Hersteller setzt nach eigenen Angaben auf eine „Minimierung kognitiver Anforderungen“ an die Bediener.
Nach Einschätzung von Drohnenexpertin Franke werden Militärs in aller Welt den Einfluss der neuen Systeme auf das Geschehen in der Ukraine mit Argusaugen verfolgen, insbesondere mit Blick auf deren neue autonome Eigenschaften: „Schon im letzten Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahr 2020 haben Drohnen plötzlich eine entscheidende Rolle bekommen und sehr viel verändert.“
In der Nato wird bereits seit vielen Jahren darüber diskutiert, welchen Sinn eine teure Panzerarmee noch hat, wenn man jeden einzelnen Panzer mit einer billigen Drohne zerstören kann.
Deutschland bestellt Drohnen in Israel
Deutschland hat in dieser Woche erstmals fünf bewaffnete Drohnen in Israel bestellt. Der Verteidigungsausschuss des Bundestages stimmte am Mittwoch zu. Damit beendet die Ampelkoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz unter dem Eindruck des Krieges eine jahrzehntelange fruchtlose Grundsatzdebatte.
Immer wieder hatte die SPD diese unendliche Geschichte verlängert, zuletzt im Dezember 2020. Damals wollte der Verteidigungsausschuss bereits bewaffnete Drohnen beschaffen. Doch der pazifistisch orientierte neue SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich zog in letzter Minute die Bremse und verlangte weitere grundsätzliche Abwägungen. Die gesamte Fachwelt rollte mit den Augen.
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Der damalige verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz Felgentreu, konnte Mützenichs Manöver nicht fassen, er warf seinen Posten hin. Zur Bundestagswahl 2021 trat Felgentreu nicht mehr an.
Als am Mittwoch der Verteidigungsausschuss nun doch erstmals Ja sagte zu bewaffneten Drohnen, wurde Felgentreu vom Inforadio Berlin um einen Kommentar gebeten. Der geborene Kieler blieb kühl: „Ich denke, dass sich die Vernunft durchgesetzt hat – und darüber freue ich mich.“