Kreta wird zum Checkpoint Charlie im Mittelmeer

“Als Militärstandort Weltklasse”: Amerikanischer Flugzeugträger in der Bucht von Souda auf Kreta.

“Als Militärstandort Weltklasse”: Amerikanischer Flugzeugträger in der Bucht von Souda auf Kreta.

Hannover. Die Farbe blätterte ab, schon draußen am Zaun und an der Eingangstür. Das staatliche Zentrum für sozial benachteiligte Jugendliche auf Kreta konnte einen neuen Anstrich vertragen.

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Es war ein Fall für die Heinzelmännchen aus den USA.

Gut gelaunt gingen hier, in Chania im Nordwesten der Insel, junge amerikanische Freiwillige ans Werk, plaudernd, in Shorts und ­T-Shirts. Farbe, Pinsel und Schleifpapier hatten sie selbst mitgebracht. Nach zweimal vier Stunden Arbeit sah der Zaun aus wie neu.

Die Helfer gehören zur Crew des US-Lenkwaffenkreuzers “USS Normandy”, der gerade im Militärhafen im nahen Souda lag. Ihre Aktion war ein “community relations project”, ein Vorhaben, das helfen soll, die Beziehungen zwischen US-Soldaten und örtlicher Bevölkerung zu verbessern.

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Amerikanisch-griechisches Team: Zacharias Chondrogiannis (Vierter von rechts), Chef eines Zentrums für sozial benachteiligte Jugendliche auf Kreta, freut sich über Helfer vom US-Raketenkreuzer “USS Normandy”.

Amerikanisch-griechisches Team: Zacharias Chondrogiannis (Vierter von rechts), Chef eines Zentrums für sozial benachteiligte Jugendliche auf Kreta, freut sich über Helfer vom US-Raketenkreuzer “USS Normandy”.

Aktionen dieser Art laufen seit Langem auf Kreta. Die Amerikaner wollen auf der Insel ein bisschen gute Stimmung machen – im eigenen Interesse. Denn die Bedeutung des Militärstandorts wächst.

Anfang dieses Jahres, gerade eskalierte eine Krise zwischen dem Iran und den USA, landeten bei Chania vier exotische US-Flugzeuge, die man dort noch nie gesehen hatte. Sie sahen aus wie eine Mischung aus Propellerflieger und Hubschrauber. Es waren Senkrechtstarter vom Typ “Fischadler”: Spezialflugzeuge für geheime Sonderoperationen.

Streit um Gasvorkommen: Frankreich verstärkt Militärpräsenz im östlichen Mittelmeer

Frankreich verstärkt als Reaktion auf den Streit zwischen der Türkei und Griechenland um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer seine Militärpräsenz.

Schon zuvor war auf der Insel ein anderer seltener Vogel gesichtet worden, eine B-52. Das ist der schwerste aller schweren Bomber, ein Ungetüm aus der Abteilung Weltuntergang der US-Luftwaffe.

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Fachleute und Laien wunderten sich. Ein Militärsprecher der US-Basis Souda twitterte keck, der “unerwartete Besucher” habe “wegen widrigen Wetters am Zielort” nach Kreta ausweichen müssen.

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Schlechtes Wetter? Die Crews der “Stratosphärenfestung” B-52 operieren in großer Höhe mit großer Reichweite und können sich in Ruhe überlegen, ob sie lieber im pfälzischen Ramstein landen wollen, im britischen Fairford oder in Diego Garcia im Indischen Ozean.

Auf Kreta soll Klarheit herrschen

Die Landung auf Kreta wurde in Militärkreisen rund ums Mittelmeer so gedeutet, wie sie auch gemeint war: als politisches Signal, gerichtet an Moskau. Frei übersetzt lautete die Botschaft der Amerikaner: Hey, ihr tut zwar gerade in Syrien so, als könntet ihr euch alles erlauben, aber denkt bitte daran: Wir sind ganz in der Nähe – und nicht nur mit Platzpatronen.

Anfang August folgte das nächste Schauspiel. Der US-Flugzeugträger “Eisenhower” glitt durch die Wellen zwischen Kreta und Libyen, begleitet von zwölf weiteren Kriegsschiffen sowie Luftaufklärern, Kampfjets und ­U-Booten. Wo eine solche Carrier Strike Group auftaucht, verschieben sich für die Dauer ihrer Anwesenheit die Machtverhältnisse. Nato-Insider sprechen von einem “angenehmen, rundum beruhigenden Effekt”. Zuletzt hatte die Trägergruppe die vom Iran infrage gestellte Freiheit der Schifffahrt durch die Straße von Hormus am Persischen Golf sichergestellt.

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Die “Eisenhower”-Gruppe hielt vor Kreta tagelang militärische Übungen ab, gemeinsam mit der griechischen Luftwaffe. Die Regierung in Athen feierte dies als Rückenstärkung im aktuellen Konflikt mit der Türkei um Gasfelder im Mittelmeer. Die Amerikaner indessen lassen durchblicken, dass es ihnen um sehr viel mehr geht: die Eindämmung der neuen Unübersichtlichkeiten im östlichen Mittelmeer.

“Das östliche Mittelmeer entwickelt sich zur am stärksten militarisierten Zone der Welt”, sagte Admiral James Foggo, Chef der US-Seestreitkräfte in Europa und Afrika, beim diesjährigen Sommerseminar des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London. In Syrien habe Tartus als Marinebasis der Russen neue Bedeutung gewonnen, “demnächst könnte Libyen dazukommen”. Griechenland könne helfen, die Bedrohung zu kontern, meint Foggo. Schon vor zwei Jahren verkündete er bei einem Besuch auf Kreta, die Insel sei “als Militärstandort Weltklasse”.

“Das östliche Mittelmeer entwickelt sich zur am stärksten militarisierten Zone der Welt”: US-Admiral James Foggo.

“Das östliche Mittelmeer entwickelt sich zur am stärksten militarisierten Zone der Welt”: US-Admiral James Foggo.

In der Region rundum hat sich inzwischen ein ganzes Knäuel von Problemen gebildet. So wird in Nato-Kreisen im Flüsterton über einen “extrem irritierenden Zwischenfall” gesprochen: Angeblich konnte ein leises russisches Atom-U-Boot neuester Bauart in den Tiefen des Mittelmeers 38 Tage lang unentdeckt operieren. Die Nato hasst nichts mehr als solche Kontrollverluste.

Was liegt jetzt näher, als quer übers Meer gleichsam rote Linien zu ziehen wie einst im Kalten Krieg? Muss es nicht den Punkt geben, an dem es heißt: bis hierhin und nicht weiter? Die Mittelmeerstrategen von heute stoßen auf dieselbe Insel wie ihre Vorgänger in vergangenen Jahrhunderten: Kreta.

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In den kommenden Jahren könnte die Insel so etwas werden wie einst der Checkpoint Charlie in Berlin – nur dass hier anstelle von Stacheldrahtrollen und Panzern Wasser und Schiffe ins Spiel kommen.

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Eine “show of force” ist, wie damals, schon im Gang. Amerikanische Kriegsschiffe lassen in der US-Basis Souda Bay fröhlich ihre Wimpel flattern, mitunter tauchen demonstrativ sogar amerikanische U-Boote auf. Schulterklopfend wurde der Reporter eines Fernsehsenders an Bord gebeten: Ob er mal die Schächte sehen wolle, aus denen gegebenenfalls Atomraketen aufsteigen?

Wenigstens auf Kreta soll Klarheit herrschen. Die Insel bleibt Teil des Westens – egal, was in nächster Zeit noch alles in der Türkei geschehen mag, in Syrien oder auch im 310 Kilometer entfernten Libyen.

Touristen bekommen von den Muskelspielen wenig mit. Man kann sich aus dem Weg gehen auf Kreta, die Insel ist mit 8336 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß wie Mallorca. Schon seit den Sechzigerjahren werden hier in unbesiedelten Zonen im Nordwesten Nato-Soldaten, auch aus der Bundeswehr, in Raketen- und Luftabwehr trainiert.

Die Zukunft der türkischen US-Stützpunkte Incirlik und Kürecik ist ungewiss – Griechenland bietet einen verstärkten Ausbau seiner Stützpunkte an, Kreta vorneweg.

Die Zukunft der türkischen US-Stützpunkte Incirlik und Kürecik ist ungewiss – Griechenland bietet einen verstärkten Ausbau seiner Stützpunkte an, Kreta vorneweg.

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Vier Besonderheiten machen Kreta zu einem Ort von herausragender strategischer Bedeutung.

  • Die Lage: Das Radar wandert hier gleich reihenweise über Regionen, die in den Abendnachrichten vorkommen: Libyen, Ägypten, Israel, Saudi-Arabien, Libanon, Irak, Iran, Syrien, Türkei. Im Nordosten sind das Schwarze Meer und die Ukraine nicht fern.
  • Der Hafen: Weil die Marinebasis Souda von Bergzügen umfasst ist, kann man sie leicht verteidigen und nur schwer angreifen – ein idealer Ort, um Kriegsschiffe beschützt ankern und U-Boote auftauchen zu lassen. Keine Insel im Mittelmeer, das wussten schon Venezianer und Osmanen, bietet vergleichbare Möglichkeiten.
  • Die Wassertiefe: Weil in Souda der Meeresboden jäh abfällt in enorme Tiefen, können hier sogar die allergrößten Flugzeugträger der USA anlegen, jene Supercarrier, die weltweit nur noch zwei weitere Orte ansteuern können: den Tiefwasserhafen von Dubai und die Navy-Basis in Norfolk, Virginia.
  • Die Energiereserven: Südlich von Kreta vermuten die Griechen große Gasfelder. Die Türkei allerdings greift nach derselben Region. Präsident Recep Tayyip Erdogan ist sogar der Meinung, südlich von Kreta stoße der türkische Festlandsockel direkt an den von Libyen – deshalb schloss er mit der libyschen Regierung kurzerhand einen Vertrag zur Zweiteilung des betreffenden Seegebiets. Griechenland findet diese Sichtweise völkerrechtswidrig – und versetzte in diesem Sommer seine Marine in Alarmzustand.

Im Juli, als das türkische Forschungsschiff “Oruc Reis” Kurs nahm auf griechische Seegebiete, bog die deutsche Kanzlerin von Berlin aus mühsam den drohenden direkten militärischen Konflikt zwischen Türken und Griechen ab.

Wieder in Bewegung: Das türkische Forschungsschiff “Oruc Reis” (Mitte) fuhr in dieser Woche erneut in Richtung griechischer Seegebiete, begleitet von fünf türkischen Kriegsschiffen.

Wieder in Bewegung: Das türkische Forschungsschiff “Oruc Reis” (Mitte) fuhr in dieser Woche erneut in Richtung griechischer Seegebiete, begleitet von fünf türkischen Kriegsschiffen.

Erdogan aber lässt nicht locker. Derzeit ist die “Oruc Reis” erneut in Bewegung, nahe Rhodos, begleitet von fünf türkischen Kriegsschiffen. Griechenland rief die EU zu Hilfe. Am morgigen Freitag beraten die Außenminister in einer Sondersitzung über die Lage im Mittelmeer.

Trumps Chaos nützt Erdogan

Der Konflikt hat längst weltpolitisches Format angenommen. “Russen und Chinesen lachen sich tot”, sagte am Mittwoch ein hoher Beamter im Berliner Verteidigungsministerium. “Vor aller Augen treten hier Nato-Staaten gegeneinander an.” Nach Meinung der meisten Europäer hat Erdogan längst den Bogen überspannt. Anders als früher unter Barack Obama gibt es aber heute keinen US-Präsidenten, der die Türkei zur Ordnung rufen würde.

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Donald Trump bekam gegenüber der Türkei nie eine klare Kommunikation zustande. Stattdessen ließ er den diffusen Eindruck aufkommen, es gäbe zwischen ihm und Erdogan so etwas wie ein Einverständnis der starken Männer. Seither agiert Erdogan noch eigensinniger und unberechenbarer denn je.

Keine klare Kommunikation: Staatschefs Erdogan, Trump bei einem Treffen im Jahr 2019.

Keine klare Kommunikation: Staatschefs Erdogan, Trump bei einem Treffen im Jahr 2019.

In Syrien griff Erdogan die gleichen kurdischen Milizen an, die gerade noch an der Seite der USA gegen den “Islamischen Staat” gekämpft hatten. Bei der Raketenabwehr stieg Erdogan aus dem Nato-Kontext aus und orderte mal eben auf eigene Faust das russische System S-400. Und in Istanbul bat er jüngst zum islamischen Freitagsgebet in die Hagia Sophia, die zur Moschee umgewandelte einstmals größte christliche Kirche der Welt. In Griechenland ließen die Orthodoxen im ganzen Land aus Protest die Kirchenglocken läuten.

Was, wenn Erdogan irgendwann völlig abdriftet, einen islamischen Staat ausruft und aus der Nato austritt? Unvergessen sind seine Drohungen für den Fall, dass die USA gegen die Türkei Sanktionen verhängen. Dann, drohte Erdogan, werde er die Amerikaner von den Nato-Stützpunkten Incirlik und Kürecik vertreiben. Die Griechen, nicht faul, dienen sich unterdessen den Amerikanern an als neues, verlässliches Bollwerk. In Athen leitet der seit einem Jahr regierende Premier Kyriakos Mitsotakis, Absolvent der US-Eliteuniversität Stanford, die amerikafreundlichste Regierung, die Griechenland seit Jahrzehnten gesehen hat.

Zuvor hatte Linken-Premier Alexis Tsipras die Verlängerung der Stationierungsverträge mit den USA immer wieder spannend gemacht, mit großem Trommelwirbel vor den jeweiligen Abstimmungen, zuletzt im Jahrestakt.

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Der Konservative Mitsotakis dagegen unterschrieb die Verträge zuletzt für unbestimmte Zeit. Prompt stänkerte das russische Nachrichtenportal Sputnik News, die Landebahnen und der Hafen auf Kreta seien “schon nicht mehr in griechischer Hand”.

Von der neuen Nähe zu den USA verspricht er sich militärische und ökonomische Vorteile für sein Land: Der Konservative Kyriakos Mitsotakis – hier bei der Eröffnung der Tourismussaison 2020 – ist seit einem Jahr Ministerpräsident von Griechenland.

Von der neuen Nähe zu den USA verspricht er sich militärische und ökonomische Vorteile für sein Land: Der Konservative Kyriakos Mitsotakis – hier bei der Eröffnung der Tourismussaison 2020 – ist seit einem Jahr Ministerpräsident von Griechenland.

Mitsotakis ist das egal, er macht ungerührt seine Deals. Von der neuen Nähe zu den USA verspricht er sich militärische und ökonomische Vorteile für sein Land. Beflügelt wird das neue griechisch-amerikanische Miteinander durch die Aussicht auf gemeinsame Geschäfte. Exxon-Experten sondieren derzeit die Gasfelder südlich und westlich von Kreta, in Studien ist von 280 Billionen Kubikmetern die Rede.

Offiziell allerdings will man nicht an so schnöden ökonomischen Kategorien kleben. Lieber erheben Griechen und Amerikaner aus Politik und Wirtschaft derzeit das Glas, um ganz generell ihre Freundschaft zu beschwören. Manches klingt, als habe man die Existenz des jeweils anderen gerade erst neu entdeckt. Mit öligem Lächeln formulierte Trumps Außenminister Mike Pompeo: “Nichts ist doch schöner und nobler, als Freiheit und Demokratie zu verteidigen in dem Land, in dem Freiheit und Demokratie erfunden wurden.”

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