Kommt jetzt die DDR zurück?

„DW enteignen" prangt an der Brandmauer eines Wohnhauses im Berliner Bezirk Westend. DW steht für Deutsche Wohnen. Dem Konzern gehören in der Hauptstadt 115.000 Wohnungen.

„DW enteignen" prangt an der Brandmauer eines Wohnhauses im Berliner Bezirk Westend. DW steht für Deutsche Wohnen. Dem Konzern gehören in der Hauptstadt 115.000 Wohnungen.

Berlin. Es ist erst ein paar Wochen her, dass CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak den Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck mit einer Waffe attackierte, die lange Zeit als die schärfste Waffe in der politischen Auseinandersetzung galt. "Das sind Methoden, die kennen wir aus der DDR", sagte der im polnischen Stettin geborene 33-Jährige, der beim Fall der Mauer vier Jahre alt war. Was Ziemiak meinte, war Habecks Plädoyer für Enteignungen großer Immobilienkonzerne und Bauland-Besitzer. Der DDR-Vergleich wiederholte sich nach den Kollektivierungs-Fantasien von Juso-Chef Kevin Kühnert – zumal der 29-Jährige selbst das Wort "Sozialismus" im Mund führte und die DDR ebenfalls nur aus Büchern kennt.

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Mit Blick auf den Immobiliensektor darf man auf den alten Kalauer zurückgreifen: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Denn in der DDR hätte es Großkonzerne wie die Deutsche Wohnen gar nicht gegeben, weil es kein Recht auf Privateigentum gab. In der DDR wären derartige Enteignungen auch nicht mit Millionen- oder gar Milliarden-Entschädigungen einhergegangen, wie sie heute zwingend wären. Enteignung meinte damals wirklich Enteignung. Sie hätten schließlich nicht demokratisch beschlossen werden müssen und rechtlich angefochten werden können.

Westdeutsche ohne Deutungshoheit

Und doch kommen die DDR-Bezüge – ausgerechnet 30 Jahre nach dem Mauerfall – nicht von ungefähr. Denn während es in den 1990er- und den 2000er-Jahren aufgrund des DDR-Erbes undenkbar gewesen wäre, das Wort Enteignungen überhaupt in den Mund zu nehmen, ohne sich damit automatisch an den äußersten linken Rand des politischen Spektrums zu katapultieren, fällt auf, dass heute mancherlei zuweilen positiv konnotiert in der politischen Debatte erscheint, was zumindest an die DDR erinnert: "Enteignungen", Impfpflichten, Ärztehäuser, Frauenerwerbstätigkeit und Kinderkrippen nicht als Ausnahme, sondern als Norm. Experten fordern jetzt sogar die Einführung der DDR-Schreibschrift. Details lobend hervorzuheben, ohne den autoritären Kern des vormundschaftlichen Staates zu rechtfertigen, macht selbst einstigen Dissidenten keine Mühe mehr.

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Das hat mit dem gewachsenen zeitlichen Abstand zum Mauerfall zu tun. Wer in den Jahren danach Bestandteile der DDR als gut bewertete, geriet automatisch in den Verdacht der Systemnähe. Dies galt umso mehr, als die Deutungshoheit über den real existierenden Sozialismus in Westdeutschland lag. Das ist vorbei. Die westdeutsche Deutungshoheit gibt es ohnehin nicht mehr, weil die Ostdeutschen sie nicht mehr akzeptieren und die Westdeutschen spätestens seit den AfD-Wahlerfolgen im Osten realisieren, dass ein genauerer Blick und mehr Offenheit unumgänglich sind, wenn die Einheit gelingen soll. Ein genauerer Blick bedeutet auch: Anerkennung dessen, was Leben in der DDR ausmachte.

Keine Verklärung, bitte!

Maßgeblich ist aber wohl etwas anderes. Denn während die neoliberalen 1990er-Jahre auch eine Reaktion auf den Zusammenbruch des Ostblocks als Gegenmodell zum freien Westen waren, bricht heute der nach 1989 radikalisierte Glaube, der Markt werde buchstäblich alles richten, zusammen. Plötzlich gibt es wieder eine Kapitalismus-Debatte, ausgehend von der Wohnungsnot, die bis in die bürgerlichen Schichten der Mittelstädte reicht, in der das Wort Enteignung plötzlich wie eine realistische Option erscheint. Das ist eine tektonische Verschiebung.

Lesen Sie hier unser Interview mit Robert Habeck zum Immobilienmarkt und den Problemen dort

Man muss nun fraglos vorsichtig sein, von Ignoranz in Verklärung abzurutschen. Denn die DDR ist ökonomisch und politisch gescheitert – und zwar richtigerweise. Man muss also ihrer Verklärung entgegen wirken, um einer ebenso ineffizienten wie autoritären Wiederholung zu widerstehen. Doch wer Versatzstücke des zweiten deutschen Staates heute wieder verwenden will, der landet nicht in der DDR. Er landet in jener alten Bundesrepublik, die sich der sozialen Marktwirtschaft des Grundgesetzes verpflichtet sah – einer Marktwirtschaft, die eben nicht alles dem Markt unterwarf. Einer Marktwirtschaft auch, das sei als notwendige Fußnote hinzugefügt, die nicht so globalisiert war wie die des Jahres 2019. Die neue Frage ist eine uralte: Wo sind die Grenzen des Marktes? Die Zeit erfordert neue Antworten.

Von Markus Decker/RND

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