Europa hat einen Fahrplan – jetzt beginnt der Streit

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht bei einer Pressekonferenz im EU-Hauptquartier.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, spricht bei einer Pressekonferenz im EU-Hauptquartier.

Brüssel. Ursula von der Leyen ließ es dem Anlass gemäß leuchten. Das Hauptgebäude der EU-Kommission erstrahlte ganz in Grün, als die Präsidentin der Brüsseler Behörde am Mittwoch das große Klimarad drehte.

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Europa, sagte von der Leyen, sei der erste Kontinent mit einem Fahrplan, wie der Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent gesenkt werden könne. Dazu machte von der Leyens Kommission am Mittwoch die ersten Vorschläge.

Der größte Knaller im EU-Programm, das den drolligen Namen „Fit for 55“ trägt: Das Zeitalter der Verbrennungs­motoren soll im Jahr 2035 zu Ende gehen. Nur so sei das Ziel der Klimaneutralität Europas bis 2050 zu erreichen, so die Kommissions­präsidentin. Von diesem Jahr an darf nur noch so viel CO₂ ausgestoßen werden, wie an anderer Stelle gebunden wird.

Es werde nicht einfach, die ambitionierten Ziele zu erreichen. Untätigkeit sei allerdings angesichts des Klimawandels keine Option. „Noch können wir unsere Zukunft selbst gestalten“, so von der Leyen.

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Nun beginnt ein Verhandlungs­marathon mit den EU-Mitglieds­staaten über die Details des Klimaplans, der bis zu zwei Jahre dauern dürfte. Streitpunkte gibt es genügend:

Das Ende des Verbrenners

Bei den Autos setzt die EU-Kommission auf eines ihrer erfolgreichsten Instrumente: die Abgas­grenzwerte für die Neuwagen. Die Vorgaben sind ein wichtiger Faktor dafür, dass die Autobauer jüngst ihre Modell­paletten in großem Stil um vollelektrische Pkw und Plug-in-Hybride mit einem kombinierten Strom-Verbrenner-Antrieb vergrößert haben. Nur so lässt sich der aktuelle Maximalwert von durchschnittlich 95 Gramm CO₂ pro Kilometer (rechnerisch 3,5 Liter Diesel auf 100 Kilometer) erreichen.

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Weitere Verschärfungen waren bereits geplant: minus 15 Prozent für 2025 bis 2029, minus 37,5 Prozent von 2030 an. Nun will die EU-Kommission nachschärfen: Auf minus 55 Prozent in knapp neun Jahren. Vom Jahr 2035 an soll dann gelten: null Gramm CO₂-Ausstoß. Alle Neuwagen müssen dann reinrassige Stromer sein.

Viele Autobauer haben sich darauf längst eingestellt, wollen schon Jahre vorher die Ära der Benzin- und Diesel­motoren beenden. Die Lobbyisten fordern indes quasi als Gegenleistung für die strengeren Werte, dass die EU-Staaten für eine Lade­infrastruktur sorgen.

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Die Kommission will sich darauf einlassen: Abhängig vom E‑Auto-Absatz sollen entlang der wichtigen Verkehrsadern Ladestationen entstehen. Hier gibt es noch viel Diskussions­bedarf. Denn Fachleute erwarten, dass mit steigenden Reichweiten die bestehenden Tankstellen, die sukzessive auf Strom umgestellt werden, das Rückgrat der Lade­infrastruktur bilden.

Emissionshandel

Zum zentralen Werkzeug des EU-Klimaschutzes soll der Emissions­handel ausgebaut werden. Bereits seit anderthalb Jahrzehnten müssen Industrie­unternehmen und Kraftwerke die Zertifikate kaufen, die den Ausstoß von Kohlendioxid erlauben.

Die Sektoren Wärme (Heizungen), Straßenverkehr und Schifffahrt sollen hinzukommen. Brüssel will zudem, dass auch die Luftfahrt für alle Zertifikate zahlen muss, kostenlose CO₂-Papiere werden abgeschafft.

Die Kommission setze damit auf ein markt­wirtschaftliches Instrument, so von der Leyen. Was aber zugleich ein hochkomplexes Unterfangen ist. Die entscheidende Frage: Wie werden sich die Preise entwickeln? Zwischen März 2020 und Juni 2021 hat sich eine Tonne CO₂ von 15 auf 55 Euro verteuert.

EU legt Paket für Klima­umbau von Wirtschaft und Verkehr vor
11.12.2019, Belgien, Br��ssel: Ursula von der Leyen, Pr��sidentin der Europ��ischen Kommission, spricht bei einer Pressekonferenz ��ber den ��Green Deal��. Mit diesem Begriff ist ein Umbau der europ��ischen Wirtschaft gemeint, so dass 2050 ��Klimaneutralit��t�� erreicht werden kann, also keine neuen Treibhausgase mehr in die Atmosph��re gelangen. Foto: Francisco Seco/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Kernelemente sind eine europaweite Pflicht zum Kauf von CO₂-Verschmutzungs­rechten für Sprit, Heizöl oder Gas.

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Weitere Aufschläge sind programmiert: Die Zahl der Zertifikate soll sukzessive reduziert werden. Expertinnen und Experten rechnen mit mehr als 100 Euro im Jahr 2030 für Industrie und Kraftwerke. Bei Wärme und Verkehr könnte es noch deutlich mehr werden.

Hohe CO₂-Preise sollen eine „Lenkungs­wirkung“ entfalten: Erdgas, Heizöl und fossile Kraftstoffe werden verteuert, was Hausbesitzerinnen und ‑besitzer dazu bringen soll, die Ölheizung durch eine elektrische Wärmepumpe zu ersetzen, Autofahrerinnen und Autofahrer sollen aufs E‑Mobil umsteigen.

Um allzu heftige Preissprünge zu verhindern, ist eine „Marktstabilitäts­reserve“ geplant. Brüssel könnte damit das Angebot an Zertifikaten erhöhen. Umstritten ist, ob solche Interventionen tatsächlich den gewünschten Effekt zeitigen.

CO₂-Grenzabgabe

Die Unternehmen in der EU werden verpflichtet, deutlich mehr als bisher gegen den Klimawandel zu unternehmen. Das könnte ihnen Nachteile gegenüber der Konkurrenz aus Ländern bringen, die es mit dem Klimaschutz weniger ernst meinen. Also muss der Rest der Welt mitmachen, so der Plan.

Um den fairen Wettbewerb zu sichern und gleichzeitig europäische Firmen davon abzuhalten, ins Ausland abzuwandern, hat sich die Kommission eine sogenannte CO₂-Grenzausgleichs­abgabe einfallen lassen.

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Für Produkte aus Drittstaaten, die vergleichsweise klimaschädlich hergestellt werden, soll künftig bei der Einfuhr in die EU eine Abgabe entrichtet werden. Diese richtet sich nach der Menge der Treibhausgase, die bei der Herstellung ausgestoßen wurden. Unternehmen aus Drittstaaten können der Abgabe entgehen, wenn sie selbst klimafreundlich produzieren.

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Zwar bestritt EU-Wirtschafts­kommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch, dass die Grenzabgabe gegen die Welthandels­organisation-Regeln verstoße. Der Streit ist dennoch programmiert. Deutsche Wirtschafts­verbände schlagen bereits Alarm, und es könnten auch neue Handels­konflikte mit den USA, China oder Indien drohen. Diese Staaten finden die Brüsseler Idee bislang nicht überzeugend.

Auch Europa­politikerinnen und ‑politiker weisen auf Gefahren hin. Entwicklungs­länder würden behandelt wie Industrie­staaten, sagte der Vorsitzende des Handels­ausschusses im Europa­parlament, Bernd Lange (SPD), dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND): „Wir sollten andere Nationen nicht vor vollendete Tatsachen stellen, sondern versuchen, sie einzubinden.“ Er denke etwa an die Gründung eines internationalen Klimaclubs, sagte Lange.

Einstweilen fährt die Kommission einen vorsichtigen Kurs. Zunächst soll die Grenzabgabe nur für fünf Produkte gelten: Stahl, Aluminium, Zement, Strom und Düngemittel. Das würde vor allem Unternehmen aus Russland, der Türkei und China treffen. Die USA kämen vorerst relativ ungeschoren davon.

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Klima­sozialfonds

Werden der Verkehr und das Wohnen in den Emissions­handel einbezogen, dann steigen die Kosten für Sprit und Heizen. Vor allem ärmere Menschen in der EU werden darunter leiden. Schon heute leben in der EU mehr als 30 Millionen Menschen, die sich die Energiekosten kaum oder gar nicht leisten können. Gegen die Pläne der EU-Kommission regt sich vor allem in ärmeren EU-Staaten Osteuropas Protest.

Auch viele Abgeordnete im Europa­parlament sind skeptisch – ebenso wie die französische Regierung. Sie hat die Sorge, dass sich die Proteste von 2018/2019 wiederholen. Damals wurde in Frankreich die Steuer auf Erdöl­produkte erhöht, was in der Folge das Benzin teurer machte. Über Monate hinweg machte die sogenannte Gelbwesten-Bewegung ihrem Ärger darüber auf den Straßen des Landes Luft.

Nun soll ein Klima­sozialfonds der EU verhindern, dass sich Ähnliches wiederholt. Die Kommission will etwa 70 Milliarden Euro für einen Zeitraum von sieben Jahren zur Verfügung stellen. Dazu werden Teile der Einnahmen aus dem Emissions­handel und der sogenannten CO₂-Grenz­abgabe verwendet. Damit sollen ärmere Staaten unterstützt werden.

Ein EU-weites Kompensations­programm wird es allerdings nicht geben. Jeder Mitglieds­staat muss selbst Programme entwickeln, wie er einkommens­schwachen Haushalten helfen will. Bis zur Hälfte der Gesamt­summe will Brüssel die nationalen Ausgleichs­angebote allerdings finanzieren.

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Für Michael Hüther, Chef des arbeitgeber­nahen Instituts der deutschen Wirtschaft, ist jedenfalls klar, dass „Fit for 55“ mit hohen Kosten verbunden sein wird. „Die Vorschläge des neuen Pakets gehen in die richtige Richtung, problematisch sind jedoch Risiken ökonomischer und sozialer Verteilungs­effekte“, sagte er dem RND. Und er betont: „Es muss darauf geachtet werden, dass es nicht zu Abwanderungs­szenarien der Industrie ins Ausland kommt – gerade für die deutsche export­orientierte Wirtschaft ist dieser Punkt zentral.“

Auch Bernd Lange bleibt skeptisch. Die Menschen, die von „diesem einzigartigen Umbruch“ betroffen sind, sollten wissen, was die Klimaziele für sie persönlich bedeuteten. „Wenn der Green Deal allseits als Revolution eingeordnet wird, dann müssen wir auch sicherstellen, dass diese Revolution nicht ihre eigenen Kinder frisst.“

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