Klimakiller Ernährung: Die Menschheit muss anders essen lernen
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An einer Wegekreuzung steht ein Stück Amazonasregenwald neben Sojafeldern. Die fortschreitende Zerstörung des brasilianischen Amazonasregenwaldes in Verbindung mit dem weltweiten Klimawandel kann bis zum Jahr 2100 dazu führen, dass mehr als elf Millionen Menschen im Norden Brasiliens mit extremer Hitze leben müssen.
© Quelle: Leo Correa/AP/dpa
Liebe Leserinnen und Leser,
in dieser Woche gab es wieder diesen Termin, der Jahr für Jahr auf ein anderes Datum fällt – leider Jahr für Jahr ein Stückchen weiter vorn im Kalender: Der Erdüberlastungstag für Deutschland fiel in diesem Jahr bereits auf diesen Mittwoch, den 4. Mai.
Das heißt, seit diesem Donnerstag leben die Deutschen über ihre Verhältnisse: Nach Berechnungen von Umweltschutzorganisationen haben wir in dieser Woche den Anteil an natürlichen Ressourcen aufgebraucht, der in einem Jahr neu gebildet werden kann. Ab jetzt leben wir auf Pump – auf Kosten anderer Teile der Erde und künftiger Generationen. Im vorigen Jahr war dieser Punkt immerhin erst einen Tag später erreicht.
Wir bräuchten drei Erden
Für alle Staaten der Welt berechnet, fiel der globale Überlastungstag auf den 29. Juli. Vor 20 Jahren lag er noch im Oktober. Die Umweltschutzorganisation WWF erklärte, würden alle Länder so haushalten wie Deutschland, bräuchte es mehr als drei Erden.
Aber was genau verbrauchen wir denn in so unverschämten Mengen? In dieser Ausgabe unseres Newsletters haben wir uns das denkbar alltäglichste Beispiel herausgesucht, um das zu illustrieren: unser täglich Brot – und all das andere Essen, das Felder und Ställe für uns liefern müssen. Welche Rolle die Ernährung für den globalen Klimawandel spielt, hat Jan Kuipers für Sie recherchiert und aufgeschrieben.
Faktencheck der Woche
Wir alle müssen essen. Allerdings ist die derzeitige Lebensmittelproduktion für einen erheblichen Anteil der weltweiten Treibhausgase verantwortlich. Für sie werden riesige Flächen entwaldet und große Mengen Ressourcen verbraucht. Gleichzeitig müssen aber durch das Wachstum der globalen Bevölkerung immer mehr Menschen ernährt werden.
So muss sich auch unsere Ernährungsweise an das Klima anpassen, gerade in Europa. Problematisch sind dabei vor allem tierische Produkte. Müssen wir in Zukunft Fleisch komplett von unserem Speiseplan streichen, um die Klimakrise abzuwenden? Ein Faktencheck:
Welchen Einfluss hat die Landwirtschaft auf unser Klima?
Einen großen: Laut einer „Science“-Studie sind 30 Prozent der schädlichen Emissionen weltweit auf die Produktion von Nahrungsmitteln zurückzuführen. Das entspricht gut 16 Milliarden Tonnen Treibhausgas. Den Wissenschaftlern zufolge sind die Ziele des Pariser Klimaabkommens ohne eine Umstellung der weltweiten Lebensmittelproduktion nicht erreichbar. Die derzeitige globale Nahrungsmittelproduktion würde das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels und auch des Zwei-Grad-Ziels bedrohen, so die Studie.
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Auf einem Feld wird Soja als Futtermittel angebaut.
© Quelle: Nemanja Otic/AdobeStock/oticki -
In der Landwirtschaft ist allerdings anders als in der Industrie oder in der Stromproduktion nicht Kohlenstoffdioxid (CO₂) der entscheidende Stoff. Den Großteil der Emissionen der Lebensmittelindustrie machen Methan und Lachgase aus, sie landen vor allem durch Tierhaltung und das Ausbringen von Düngemitteln in der Atmosphäre.
Für welchen Anteil ist Deutschland verantwortlich?
Nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) ist die Landwirtschaft für gut 7 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Was erstmal nicht viel klingt, ist dennoch ein entscheidender Faktor. Zum Vergleich: Die Emissionen der Industrie in Deutschland sind in etwa genauso hoch wie die des Landwirtschaftssektors.
Infografik der Woche
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Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft
© Quelle: RND
Außerdem belegt die Landwirtschaft enorm große Flächen. Flächen, die beispielsweise bei der Speicherung von CO₂ durch Moore oder Wälder fehlen oder die der Biodiversität zugute kommen könnten.
Nach Daten der Umweltorganisation WWF verbrauchen Landwirte zudem 70 Prozent des gesamten Wasserbedarfs in Deutschland. Natürlich werden diese enormen Ressourcen benötigt, um uns alle zu ernähren – das System muss allerdings effizienter werden. So landen ein Drittel der Lebensmittel auf dem Weg vom Produzenten auf unsere Teller im Müll.
Welche Rolle spielt Tierhaltung für den Klimawandel?
Bei der Umstellung der Lebensmittelproduktion ist der Bedarf von tierischen Produkten der entscheidende Hebel. In Deutschland macht Methan laut UBA ungefähr die Hälfte der von der Landwirtschaft ausgestoßenen Treibhausgase aus. Davon sind wiederum 76 Prozent direkt auf die Viehhaltung zurückzuführen. Insgesamt lassen sich 5 Prozent der gesamten deutschen Treibhausgasemissionen allein auf die Viehwirtschaft zurückführen.
Dazu kommen die Flächen, die zum Anbau von Futtermittel benötigt werden. Der WWF hat beispielsweise errechnet, dass, um den deutschen Bedarf an Soja zu decken, 2,84 Millionen Hektar Anbaufläche benötigt werden. Das entspricht ungefähr der Größe Brandenburgs. Davon werden nur 4 Prozent zur Herstellung von pflanzlichen Lebensmitteln genutzt. Der Rest wird zur Produktion von Tierfutter benötigt. Eine Reduzierung des Fleischkonsums und eine Umstellung auf pflanzliche Lebensmittel würde also nicht nur eine gesündere Ernährung bedeuten, sondern auch eine deutlich effizientere Nahrungsmittelproduktion.
Müssen wir komplett auf Fleisch verzichten, um den Klimawandel zu stoppen?
Eine klimafreundliche Ernährungsweise muss keinen absoluten Verzicht auf Fleisch- und Milchprodukte bedeuten. Finnische Wissenschaftler haben ermittelt, dass eine optimierte omnivore Ernährung, also eine Ernährung, die tierische Produkte ausdrücklich nicht ausschließt, einen genauso positiven Klimaeffekt haben kann, wie eine rein vegane Ernährung.
Allerdings braucht es eine deutliche Reduzierung von tierischen Produkten, besonders von Fleisch. Hoffnung machen dabei neuartige Lebensmittel. Bis es das Steak aus dem Labor im Supermarkt zu kaufen gibt, dürfte es allerdings noch einige Zeit dauern.
Wie könnte das in Zukunft aussehen?
Zumindest die deutschen Emissionen im Landwirtschaftssektor sind rückgängig. Zwischen den Jahren 1990 und 2020 nahm die Menge der Treibhausgase hier um 22 Prozent ab. Aber auch diese Zahlen haben noch Luft nach oben angesichts des Ziels der Bundesregierung, das Land bis 2045 klimaneutral zu machen.
Wie die Ernährung von morgen aussehen könnte, haben Wissenschaftler kürzlich im Fachmagazin „Nature Food“ dargelegt. Sie verglichen verschiedene Ernährungsweisen und deren Auswirkungen auf das Weltklima. Am besten schnitt die Variante ab, die auf neuartigen Lebensmitteln (novel foods) basiert.
Darunter sind neben tierischen Produkten aus Laborproduktion auch bislang ungewöhnlichere Lebensmittel auf Basis von Mikroalgen, Pilzen, Bakterien oder Insekten wie Mehlwürmern, Heuschrecken und Grillen. Eine solche Ernährungsweise wäre besonders ressourcenschonend, würde also den Wasser- und Flächenverbrauch reduzieren. Allerdings liefert die Studie nur theoretische Ansätze. So geben auch die Verfasser zu, dass es bis zu einer Akzeptanz dieser Lebensmittel in Europa noch ein weiter Weg ist.
- Alles Wissenswerte zum Thema Insekten als Nahrungsmittel hat unsere Kollegin Alena Hecker hier zusammengetragen – vom Nährwert über die Art, wie sie in aller Herren Länder gegessen werden.
- Wie man Insekten richtig und lecker zubereitet, hat Heidi Becker hier aufgeschrieben: Für Insektenneulinge muss das nicht einmal kompliziert sein, verspricht sie – zum Beispiel mit dem Griff zum Mehlwurm. Erfahren Sie hier, wie er leicht und lecker zubereitet wird.
- Um andere Alternativen zum geliebten Steak geht es im Text von Jan Bojaryn. Er beschreibt, dass die Fleischindustrie zunehmend am Pranger steht und wie die Ersatzprodukte zum Wirtschaftsfaktor geworden sind.
Verbrauchertipp der Woche
Nicht erschrecken: An diesem Sonntag ist Muttertag. Auch wieder vergessen? Oder keine Idee für ein originelles Geschenk gehabt – außer schon wieder die gekauften Blumen aus dem Gewächshaus, die Klima und Gewissen belasten? Keine Panik: Unsere RND-Kolumnistin Helene Kilb gibt Ihnen in gleich zwei Texten die perfekten Last-minute-Tipps – die noch dazu selbstgemacht, originell und vor allem nachhaltig und klimaschonend sind. Noch ist Zeit!
- Selbstgemachte Blumen aus Papier: Pflanzen, die nicht welken, sind leider noch nicht erfunden worden. Aber es gibt bereits eine schöne und nachhaltige Alternative: Hier kommen Ideen für hübsche Papiergewächse.
- Last-minute-Idee Upcyclingtassen: Wer zum Muttertag kreativ werden möchte, der braucht dafür nur etwas tiefer in den Geschirrschrank greifen. Wie Sie aus ausrangierten Tassen und Tellern im Handumdrehen etwas Liebliches zaubern – mit Stempeln, Handlettering oder Porzellanfarbe, erfahren Sie hier. Nachhaltig ist es obendrein.
Klima und wir: Der RND-Klima-Podcast
Ob Avocados, Biosprit oder Batterien für E-Autos: Für westlichen Konsum mit gutem Gewissen werden in Südamerika Mensch und Umwelt ausgebeutet. Tobias Käufer, Lateinamerikakorrespondent des RND, berichtet von beispiellosen Umweltverbrechen, deren Wurzeln tiefer gehen: Das Problem heißt grüner Kolonialismus.
Linda Poppe von der NGO Survival International dringt auf einen dekolonialisierten Naturschutz. Llanquiray Painemal vom Volk der Mapuche kämpft schon lange für die Rechte indigener Gemeinschaften. Und verrät, warum man von ihnen am besten über Klima- und Artenschutz lernen kann.
Die neue Folge: Hier hören!
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Die gute Nachricht
Lufthansa integriert CO₂-Ausgleich in die Buchung: Wer mit dem Flugzeug verreist, schadet der Umwelt. Nun erleichtert Lufthansa den Passagieren die CO₂-Kompensation. Reisende können die Emissionen ihres Fluges per Klick in der Buchung ausgleichen. Auch andere Airlines bieten dies bereits an. Alle Details lesen Sie hier.
Bild der Woche
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Indonesien versinkt in den Fluten: Im indonesischen Sumedang versuchen Menschen Fahrzeuge zu evakuieren, die von den Sturzfluten mitgerissen wurden. Starke Regenfälle zur Wochenmitte hatten zu Sturzfluten des Cihonje-Flusses geführt. Ein Kind wird vermisst und Hunderte von Häusern wurden beschädigt.
© Quelle: Algi Febri Sugita/ZUMA Press Wir
Termine der Woche
- Sonntag, 8. Mai 2022, 10 Uhr, Bielefeld: „Ohne Kerosin nach Düsseldorf“ – Start einer einwöchigen Fahrradprotesttour von Students for Future. Die Teilnehmenden wollen sechs Tage lang für Klimagerechtigkeit durch das Bundesland radeln und mit Menschen ins Gespräch kommen.
- Dienstag, 10. Mai 2022, Genf: Weltwetterorganisation legt Temperaturschätzung 2022 bis 2026 vor. Die Langzeitschätzungen werden von der britischen Meteorologiebehörde für die Weltwetterorganisation (WMO) berechnet.
- Mittwoch, 11. Mai 2022, 10 Uhr: Digitale Vorstellung der WWF-Studie „Der Biodiversitätsfußabdruck der deutschen Ernährung“. Die Studie stellt Szenarien für eine gesunde Ernährung innerhalb der Belastungsgrenzen der Erde vor.
- Donnerstag und Freitag, 12. und 13. Mai, Binz: Vertreter von 26 deutschen Inseln und Halligen treffen sich zur zweiten Deutschen Inselkonferenz. Ziel ist es, auf inseltypische Herausforderungen wie Klimawandel, Verkehrsbelastung, Naturschutz und bezahlbaren Wohnraum aufmerksam zu machen und diese in einer gemeinsamen Inselresolution zu unterzeichnen.
Niemand ist eine Insel, schrieb der englische Dichter John Donne – und in der Terminvorschau sehen Sie es ja: Sogar die Inseln tun sich zusammen, um auf die Herausforderungen von Verschmutzung und Erderwärmung besser reagieren zu können.
Was sich auf diesem Feld in der nächsten Woche tut, erfahren Sie in einer Woche – genau an dieser Stelle: in unserem Klima-Check-Newsletter.
Falls Sie Anregungen oder Kritik haben, melden Sie sich gern direkt bei unserem Redaktionsteam: klima@rnd.de Wir freuen uns auf Ihr Feedback!
Nachhaltige Grüße bis nächste Woche
Steven Geyer und Jan Kuipers