Kindersoldaten in Uganda: Die schwere Traumabewältigung
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Die Farmergruppe in Lalogi (Uganda) hat sich aus ehemaligen Kindersoldaten gegründet und wirtschaftet erfolgreich. Sie haben sich auf Kohl spezialisiert.
© Quelle: Thoralf Cleven
Kampala. Die Mittagssonne brennt gewaltig. Für die Farmer von Lalogi im Norden Ugandas ist es Zeit, Pause zu machen. Sie haben schon Stunden mit der Hacke geschuftet. Rund 30 Frauen und Männer, manche in Stiefeln und manche in Flipflops, schieben sich schweigend durch üppige Kohlreihen an den Feldrand. Hier finden sie Schutz im Schatten der Bäume. Ein mit Wasser gefüllter Kanister steht schon da, in einer Kiste finden sich Maisfladen, Gemüse und Obst.
Als alle Essen und Trinken in der Hand halten, melden sich unüberhörbar die ersten Kinder, die einige Frauen in ein Tuch gewickelt auf dem Rücken tragen. Erst fangen die Frauen an zu lachen, dann stimmen die Männer ein. Die Kinder werden lauter. Die Mütter nehmen sie vom Rücken, setzen sich und legen die Babys an die Brust. Jetzt geben die Kleinen Ruhe und die Bauern schwatzen kauend.
Verletzungen bei Gefechten im Busch
Die 32-jährige Filda nimmt ihrer Nachbarin das Kind ab, damit die mal durchschnaufen kann. Ihre vier hat sie im Dorf gelassen. Drei sind in der Schule. Die Jüngste betreut eine Nachbarin. Filda, die laut lachen kann und mit ihrem blau-orangfarbenen Kleid Lebenslust ausstrahlt, hat vom Hacken auf dem Feld ganz schwielige Hände. Etwas müde lehnt sie jetzt mit dem kleinen Jungen auf dem Schoß an einem Baumstamm. Narben an Armen und an der Schulter erzählen vom Ende ihrer Kindheit.
Hinter ihr hockt Samuel bei den Männern. Trotz der Hitze trägt der 44-Jährige schwere, hohe Schuhe und eine Weste über dem Hemd. Er ist so etwas wie ein Vorarbeiter der Truppe. Die anderen haben Respekt vor ihm. Er nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche, dann erklärt er den Männern geduldig, was als nächstes zu tun ist. Samuel hinkt als er zur nächsten Männergruppe geht. Die Verletzung hat er sich vor etwas mehr als 30 Jahren zugezogen, bei einem Gefecht im Busch an der Grenze zum Kongo.
Auf dem Weg in eine gewaltfreie Zukunft
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Filda wurde als Kind verschleppt und wurde von Rebellen als Zwangsprostituierte missbraucht.
© Quelle: Thoralf Cleven
Filda, Samuel und andere hier unter den Bäumen eint ein ähnliches Schicksal. Filda ist als 13-Jährige nicht weit von Lalogi entfernt von Milizen gekidnappt worden. Vier Jahre des Grauens lagen vor ihr – sie musste einem Kommandanten als Sexsklavin dienen. Samuel war als 11-Jähriger entführt und zum Soldaten gedrillt worden. Gewalt und Tod bestimmten auch bei ihm die nächsten Jahre.
Er gehörte 2014 zu den Gründern der Farmergruppe, in der inzwischen 54 ehemalige Kindersoldaten und Zwangsprostituierte gemeinsam mit normalen Bauern den Weg in eine gewaltfreie Zukunft gehen. Die Hilfsorganisation World Vision unterstützt das Projekt mit Mitteln und Fachleuten zur Traumabewältigung. Hier, auf dem Feld, wird neben Ackerbau täglich Versöhnungsarbeit verrichtet.
Die jüngere Geschichte Ugandas ist nach dem Schreckensregime von Idi Amin in den 1970er Jahren auch untrennbar mit dem als Kriegsverbrecher gesuchten Joseph Kony verbunden. Es ist eine Geschichte unbeschreiblicher Gewalt, mit der Konys „Widerstandsarmee des Herrn“ (Lord’s Resistance Army LRA) seit den 1980er Jahren den Norden Ugandas überzog. Zehntausende wurden gequält und getötet. Hunderttausende flüchteten in den angrenzenden Südsudan. Kony entführte rund 30.000 Jungen und Mädchen, die als Soldaten oder Sklaven dienen mussten.
250 .000 Kinder als Soldaten und Prostituierte missbraucht
2006 ließ der Milizenführer auf der Flucht vor der ugandischen Armee in den Südsudan eine traumatisierte Region zurück. Angst, Terror und Misstrauen haben sich tief in die Köpfe der Menschen eingenistet. Die verschleppten Kinder, denen es nach Jahren gelang zu entkommen, werden bis heute als Rebellen, Rebellenbräute, Rebellenbastarde gebrandmarkt. Sie sollen eigentlich wieder verschwinden. So ist es weltweit. 250.000 Jungen und Mädchen sind aktuell nach Schätzungen der Vereinten Nationen als Soldaten vor allem in Afrika, in Asien und im Nahen Osten eingesetzt. Überleben sie, stehen sie häufig allein.
Die zierliche Filda hat überlebt. Als Konys Miliz das Mädchen 1999 aus der Hütte ihrer Mutter zerrten, war dies der letzte Augenblick, in dem sie sich sahen. Der einbeinige Milizen-Anführer quälte sie mit glühenden Messern, vergewaltigte sie oder überließ sie seinen Männern zur Belohnung nach einem Kampf. „Er kannte keine Gnade“, erzählt Filda leise am Feldrand. Sie hoffte auf den Tod. Mit 15 brachte sie ihr erstes Kind zur Welt, ein Mädchen.
Zwei Jahre später gelang ihr mit Hilfe eines Milizionärs die Flucht. Was aus ihm wurde, weiß sie nicht. „Die Männer waren nicht alle schlecht. Sie wurden gezwungen, Schlechtes zu tun, um zu überleben.“ Die junge Frau fand einen Mann, mit dem sie noch drei Kinder bekam. Doch als er krank wurde und schließlich starb, vertrieb seine Familie die Schwiegertochter. Rebellenbraut. Ein Trauma reiht sich nun an das andere. Ihr Glück war die zwei Tagesmärsche entfernte Farmergruppe, von der sie gehört hatte. Die nahm sie auf.
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Gruppenbild einer Landwirtschafts-Kooperative am 21.08.2018 im Gulu Distrikt in Uganda. Farmergruppe ehemaliger Kindersoldaten in Lalogi (Uganda). Foto: World Vision / Marcus Simaitis
© Quelle: World Vision/Marcus SimaitisWorld Vision/Marcus Simaitis
Samuel schickt die Frauen zurück ins Dorf, weil bald Schulschluss ist. Sie nehmen Kiste und Kanister mit, nachdem sich die Männer noch Wasser abgefüllt haben. Der gedrungene Mann mit dem kantigen Kopf war einer von Konys Leuten, sie hatten ihn vom Feld seiner Eltern entführt. Erst zehn Jahre später konnte er während eines Gefechts fliehen. Er verdingte sich als Hilfsarbeiter, aber seine Vergangenheit war ihm wie auf die Stirn gebrannt, erzählt Samuel. Nirgends konnte er lange bleiben. „Die Leute hatten entweder Angst vor mir oder sie verabscheuten mich.“ Was er selbst gemacht hat? „Es war schlimm“, sagt er nur.
Staat zog sich aus Wiedereingliederung ehemaliger Kindersoldaten zurück
Samuel schweigt lieber als er redet. „Lalogi“, hebt er mit heiserer Stimme an, „hat mich und viele hier gerettet.“ Sie bauen Sojabohnen, Getreide und Kohl an. Samuel sagt, es sei unmöglich zu vergessen, was geschehen ist. „Wir bemühen uns jedoch, damit umzugehen, reden miteinander. Es gelingt immer besser, weil wir uns Zeit lassen.“
Der gute Wille ist da, aber reicht er auch? Der Staat hat sich aus der Wiedereingliederung ehemaliger Kindersoldaten zurückgezogen. Nach einem 2000 verabschiedeten Amnestiegesetz erhielten sie 100 Dollar und ein Startpaket mit Vorräten für den Haushalt. Das ist jedoch schon lange vorbei. Ugandas Norden hat nämlich die nächste Krise zu bewältigen. Mehr als eine Million Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Südsudan, wo Kony inzwischen sein Unwesen treibt, haben inzwischen in den Grenzprovinzen Zuflucht gesucht. Täglich kommen 1500 Menschen hinzu, 65 Prozent sind Kinder.
Es geht um die Bewältigung von Migration
So geht es auch tausende Kilometer von Europa entfernt um die Bewältigung von Migration und den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft. Eine Antwort, ob und wie diese Aufgabe in Uganda bewältigt werden kann, liegt vielleicht 170 Kilometer nordöstlich. Der Weg führt durch den Busch über eine staubige Schotterpiste, die sich Frauen mit Wasserkanistern auf dem Kopf, Männer auf Fahrrädern, Kinder zu Fuß auf dem Weg zur Schule, Lkw und Ziegen teilen. Sie führt länger als vier Stunden über wackelige Brücken, vorbei an Dörfern mit fensterlosen, runden Lehmhütten mit Strohdach in die Kleinstadt Kalongo.
Hier schüttet es wie aus Eimern und ein in Deutschland bekanntes Gesicht steht im Regen. Wolfgang Niedecken, 67-jähriger Frontmann der Kölner Band Bap, scheint das nichts auszumachen. Er schaut ein bisschen fassungslos auf ein nagelneues, zweistöckiges Schulgebäude. Davor erwartet ihn ein alter Bekannter, Okoda W. Booker. Der Direktor des Kalongo Technical Instituts, einem Berufsausbildungszentrum, trägt ein Sakko, die beige-braune Krawatte den Aufdruck „Sweden“. Die Männer umarmen sich.
Niedecken war das erste Mal 2007 in Kalongo. Da gab es hier genau vier baufällige Baracken, in denen Booker begonnen hatte, 98 junge Männer, die meisten ehemalige, heimatlose Kindersoldaten, auszubilden – zu Maurern, Metallbauern oder Landwirten. 2009 startete der Kölner mit World Vision das Gemeinschaftsprojekt „Rebound“. Rebounding ist im Basketball das Fangen des Balls nach einem missglückten Korbversuch für einen zweiten Versuch. Das Resozialisierungsprojekt ist ein Erfolg: 800 frühere Kindersoldaten und Zwangsprostituierte fanden bislang darüber ihren Weg in ein neues Leben.
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Schreiner und Metallbauer im Städtchen Kalongo (Uganda) profitieren inzwischen von der Berufsschule, die aus einem Hilfsprojekt für ehemalige Kindersoldaten entstand.
© Quelle: Thoralf Cleven
Im nächsten Jahr werden im Technical Institut 500 Jugendliche einen Beruf lernen. Direktor Booker erzählt, dass das Engagement der Deutschen seine Regierung in der Hauptstadt Kampala von der Zukunft dieser Ausbildungsstätte überzeugt hätte. Sie leitete kuwaitische Hilfsgelder nach Kalongo, Chinesen bauten dann die Schule ruckzuck. In Kalongos Schreinerei von Terensio Labongo sind die Absolventen gern gesehen. Labongo sagt, sie hätten ein Ziel vor Augen und seien sehr motiviert. Und Imus Okello, der Metallbauer von nebenan, meint: „Es sind gute Leute. Wir sollten vergeben.“
„Jugendliche, die das überlebt haben, sind besonders motiviert“
Ob das geht? Ja, sagt Ralf Willinger vom Deutschen Bündnis Kindersoldaten, das von mehreren Nichtregierungsorganisationen getragen wird. „Jugendliche, die das überlebt haben, sind besonders motiviert, etwas auf die Beine zu stellen.“ Sie seien jedoch seelisch geschädigt. „Sie empfinden Scham, schlechtes Gewissen und haben Angst vor Strafverfolgung.“ Die Traumata überwinden und ein Einkommen ermöglichen seien die wichtigsten Voraussetzungen zur Resozialisierung. Willinger warnt aber davor, ehemalige Kindersoldaten isoliert zu betrachten und zu fördern. „Für uns sind sie Opfer, aus Sicht vieler Einheimischer vor allem aber auch Täter.“
Die Farmer von Lalogi wissen das. Filda will ihre Kinder allein durchbringen, auch wenn der eine oder andere Mann in der Gruppe ein Auge auf sie geworfen hätte, erzählt sie lächelnd. Und Samuel, der ebenfalls allein lebt, kümmert sich darum, dass die Kinder der Farmer täglich in die Schule gehen. Wenn sie mehr wissen als die Alten, werden sie deren Fehler nicht wiederholen, glaubt er. „Wir haben Zukunft“, sagt Samuel, „weil wir uns vertrauen. Wir haben auch keine andere Wahl, wenn wir nicht weglaufen wollen.“
Von Thoralf Cleven/RND