Eilmarsch durch die Institutionen: Der Aufstieg des Kevin Kühnert
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Kevin Kühnert (SPD), will in den Bundestag und gibt dafür den Juso-Vorsitz auf.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/
Berlin. Bei den Jusos, der Nachwuchsorganisation der SPD, gibt es ein ungeschriebenes Gesetz. Nach drei Jahren an der Spitze ist Schluss. Das ist ein bisschen paradox, weil Juso-Bundeschefs immer für zwei Jahre gewählt werden. Und trotzdem haben sich nahezu alle Vorsitzenden der letzten 20 Jahre daran gehalten. Niels Annen, Björn Böhning, Franziska Drohsel und Sascha Vogt gaben den Job nach jeweils drei Jahren auf. Nur Johanna Uekermann amtierte die vollen vier Jahre - weil der Führungswechsel sonst mit dem laufenden Bundestagswahlkampf 2017 kollidiert wäre.
So gesehen ist das, was Kevin Kühnert am Montagabend ankündigt hat, eine ganz gewöhnliche Sache. Nach drei Jahren im Amt zieht sich der Juso-Chef vom Vorsitz zurück. Doch Kühnert ist kein ganz alltäglicher Politiker, und vor allem ist er ein gänzlich ungewöhnlicher Juso-Chef. Das macht die Sache dann doch zum Politikum.
Kevin Kühnert will in den Bundestag
Juso-Chef Kevin Kühnert gibt sein Amt auf und will für den Bundestag kandidieren. In der Pressekonferenz erklärt er die Beweggründe seiner Entscheidung.
Der Mann aus Berlin, daran besteht kein Zweifel, ist der einflussreichste und wirkmächtigste Chef einer politischen Jugendorganisation seit Andrea Nahles. Wahrscheinlich ist er sogar noch einflussreicher als sie. Mit Selbstbewusstsein, Eloquenz, Intellekt, Machtinstinkt und Fleiß hat es der 31-Jährige aus dem Stadtteil Schöneberg so schnell wie kaum einer vor ihm in die erste Reihe der Politik geschafft.
Kommt jetzt Kevin?
Nur wenige Monate nach Amtsübernahme Ende 2017 wäre die Neuauflage der großen Koalition um ein Haar an Kühnert und der No-GroKo-Kampagne seiner Jusos gescheitert. Auch danach hielt er die Spitzengenossen permanent in Atem, egal, ob diese Martin Schulz, Olaf Scholz oder Andrea Nahles hießen.
Als die glücklose SPD-Chefin im Frühjahr 2019 die Brocken hinwarf, wirkte Kühnert kurzzeitig wie ihr Nachfolger an der Parteispitze. “Kommt jetzt Kevin?”, fragte das Magazin “Der Spiegel” auf dem Titel.
Er kam dann nicht - und irgendwie doch. Zwar trat Kühnert nicht selbst in das Rennen ein, offiziell, weil er der SPD die Richtungsentscheidung zwischen ihm, dem Vorzeigelinken, und Olaf Scholz als Aushängeschild des pragmatischen Parteiflügels ersparen wollte. Aber er unterstützte die Kandidatur des letztlich erfolgreichen Duos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit Macht. Ohne ihn und die Jusos wären die SPD-Vorsitzenden heute andere.
Kühnert polarisiert - nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb seiner Partei. Einige sehen in ihm die Rettung, andere den Untergang der SPD. Als Kühnert in einem Zeit-Interview im Europawahlkampf über eine andere Wirtschaftsordnung und die Kollektivierung von Großunternehmen nachdachte, bescherte ihm das bundesweite Empörung und eine wochenlange Sozialismus-Debatte.
Kühnert musste lernen, dass seine Worte mehr Gewicht haben als die seiner Vorgänger. Und dass eine Debatte, die über Überschriften und teils falsch wiedergegebene Schlagworte hinausgeht, in den dauerempörten sozialen Medien nur schwer zu führen und noch viel schwerer zu gewinnen ist.
Dutschkes Marsch ist für Kühnert ein Sprint
Seinen Aufstieg hat das nicht verhindert. Der Marsch durch die Institutionen, mit dem Rudi Dutschke Ende der 1960er-Jahre die Gesellschaft verändern wollte, ist für Kühnert bislang ein Eilmarsch. Beim SPD-Parteitag Ende 2019 kandidierte er gegen den Willen des Establishments für einen Vizeposten und zuckte auch dann nicht zurück, als der mächtige Arbeitsminister Hubertus Heil seinen Hut in den Ring warf. Kühnert hätte es auf eine Kraftprobe ankommen lassen, die Parteitagsregie verhinderte sie durch die Schaffung eines weiteren Postens im Präsidium.
Auch bei der Bundestagskandidatur, die er nun anstrebt, zuckt Kühnert nicht vor großen Namen zurück. Noch wird ein Wahlkreis für den scheidenden Berliner Bürgermeister Michael Müller gesucht, der seine Karriere gerne im Bundestag ausklingen lassen würden. Seinen eigenen Heimatkreis, Tempelhof-Schöneberg, kann Müller nun vergessen.
Hier will Kühnert kandieren, wie er im gleichen Atemzug mit der Rücktrittsankündigung erklärt hat. Die Genossen in dem Kreisverband sollen dem Vernehmen nach geschlossen hinter ihm stehen. Kreischef Lars Rauchfuß sagt, er rechne fest mit einer Nominierung Kühnerts bei der Wahlkreiskonferenz im November.
Ob Kühnert sich damit zufrieden gibt? Er könnte noch die Spitzenkandidatur des Berliner Landesverbandes anstreben, also den ersten Platz auf der Landesliste. Ob er das will, dazu hüllt er sich bislang in Schweigen. Viele seiner Genossen rechnen fest damit. Für Müller, das scheint immer klarer zu werden, wird der Weg in den Bundestag alles andere als ein Spaziergang.
Für Kühnert hingegen ist es nur der nächste Schritt auf der Karriereleiter. Wie viele noch folgen, weiß keiner. Aber der Mann hat die besten Voraussetzungen, noch einige Stufen zu nehmen.