Prigoschins Wagner-Söldner im Abseits?
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Jewgeni Prigoschin, russischer Geschäftsmann, aufgenommen vor einem Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi im Kreml.
© Quelle: Sergei Ilnitsky/Pool EPA via AP/
Seit Tagen liefert sich Jewgeni Prigoschin, Eigentümer der privaten Wagner-Söldnertruppe, einen öffentlichen Schlagabtausch mit der russischen Militärführung. Vorläufiger Höhepunkt: In einer emotionalen Audiobotschaft beklagen Prigoschins Sprecher „direkten Widerstand“ des russischen Militärs. Dies sei „nichts anderes als ein Versuch, Wagner zu zerstören“ und komme Hochverrat gleich, während Wagner „für Bachmut kämpft und täglich Hunderte Kämpfer verliert“ sagte Prigoschin.
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Als Gegenspieler Prigoschins gilt vor allem das „militärische Establishment“, also Leute wie Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Valerij Gerassimow, denen Versäumnisse im Ukraine-Krieg angelastet wurden. Beiden warf Prigoschin, der keinen militärischen Rang bekleidet und einst mit Verpflegungsaufträgen für staatliche Stellen wie die Armee, Schulen und Kindergärten reich geworden ist, jetzt vor, Wagner Munition zu verweigern und keine Luftunterstützung zu leisten.
Er rief zu massenhafter Unterstützung auf: „Wenn jeder Russe – das ist kein Aufruf zu Kundgebungen – (…) einfach nur sagen würde: ‚Gebt Wagner Munition‘ (…), dann wäre das schon sehr bedeutend“, sagte er in einer von seinem Pressedienst verbreiteten Aufnahme.
Kampf um Bachmut
Seit Monaten steht die Wagner-Gruppe an vorderster Front im Kampf um die strategische Schlüsselstadt Bachmut in der teilweise besetzten Region Donezk. Prigoschin und seine Kämpfer bemängeln schon lange, dass sie vom russischen Militär nicht ausreichend unterstützt werden. Ranghohen Offizieren der russischen Armee warf Prigoschin immer wieder aufs Neue Inkompetenz vor.
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Russland verliert in der Ukraine nach britischen Angaben so viele Soldaten wie seit den Anfangstagen des Angriffskriegs nicht mehr.
© Quelle: dpa
Prigoschin galt in den westlichen Medien seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als Aufsteiger im Machtkartell um den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Beide kennen sich aus Putins Zeit in St. Petersburg, auch Prigoschin stammt aus der Ostseemetropole, besaß dort ein Restaurant, in dem Putin oft verkehrte. Mit dem überraschenden Aufstieg eines anderen Generals, Sergej Surowikin, dem im Oktober das militärische Kommando in der Ukraine übertragen wurde und der als Verbündeter von Prigoschin galt, schien der Aufstieg des skrupellosen Unternehmers zementiert.
Soledar als letzter Erfolg
Die vor allem durch Wagner-Söldner im Januar erfolgte Einnahme des Ortes Soledar nahe Bachmut, der ersten (und bislang letzten) russischen Eroberung seit langer Zeit, unterstrich das. Vor allem die in Russland einflussreichen Kriegsblogger feierten Prigoschin und machen die konventionelle Militärführung für die vielen Rückschläge und immensen Verluste an Menschenleben in dem Angriffskrieg, der vor einem Jahr begann, verantwortlich.
Der Vorschlaghammer war zum Symbol Wagners geworden, weil berichtet wird, dass zwei „Verräter“ in den eigenen Reihen mit einem solchen Gerät erschlagen worden seien.
Jüngst lobte auch der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow die Söldnertruppe und Prigoschin. Die Wagner-Einheiten erzielten „beeindruckende Erfolge“, schrieb Kadyrow am Sonntag auf Telegram. Kadyrow soll inzwischen mit dem Gedanken spielen, eine eigene professionelle Söldnertruppe aufzubauen. Und selbst Verteidigungsminister Sergej Schoigu wird nachgesagt, eine eigene Privatarmee mit dem Namen Patriot zu unterhalten.
140 Millionen Russen, sagt mir bitte, bei wem ich mich entschuldigen muss, damit nur noch halb so viele meiner Jungs fallen wie heute?
Jewgeni Prigoschin,
Wagner-Gründer
Kritik an der russischen Armee übt Prigoschin seit Beginn des Krieges. Doch sein Unmut jetzt ist von neuer Qualität. Unter (dem abgesägten) Surowikin habe Wagner keine Probleme mit dem Munitionsnachschub gehabt, klagt er. Man sage ihm, das liege am „schwierigen Verhältnis“ zu Leuten „da oben“, er solle sich „entschuldigen und unterwerfen“, dann gebe es Munition. „140 Millionen Russen, sagt mir bitte, bei wem ich mich entschuldigen muss, damit nur noch halb so viele meiner Jungs fallen wie heute?“, fragte Prigoschin.
Und liefert die Antwort gleich selbst: bei Schoigu und Gerassimow. Seinen Kämpfern würden Arme und Beine abgerissen, am Mittwoch veröffentlichte er ein Foto Dutzender Leichname – Wagner-Söldner, die in den letzten 24 Stunden gefallen seien.
Zur Erholung nach Dubai
Prigoschin: „Ich reibe euch nicht unter die Nase, dass ihr sitzt und mit goldenem Besteck frühstückt, Mittag esst, Abend esst und eure Töchter, Söhne und Hündchen zur Erholung nach Dubai schickt. Ohne jede Scham. Während ein russischer Soldat an der Front umkommt.“ Hintergrund: Schoigus Tochter Xenija soll den Jahreswechsel in Dubai zugebracht haben.
Jüngst wurde ein Dokument bekannt, das über den Telegram-Kanal Grey Zone verbreitet wurde. Darin heißt es, dass im russischen TV „positiv“ über Schoigu und Gerassimow berichtet werden soll – um „gleichzeitig auf die Nennung der Wagner-Gruppe und dessen Leiter Jewgeni Prigoschin vollständig zu verzichten“.
Geschätzte 50.000 Wagner-Söldner im Einsatz
Ende Dezember hatten die USA die Zahl der gegen die Ukraine eingesetzten Wagner-Söldner auf rund 50.000 geschätzt, von denen der weitaus größte Teil frühere Strafgefangene sind. Das britische Verteidigungsministerium schätzt, von den in Gefängnissen rekrutierten Russen seien bisher gut die Hälfte in den Kämpfen verletzt oder getötet worden. Das Verteidigungsministerium soll nun die weitere Anwerbung von Wagner-Söldnern in den Haftanstalten untersagt haben.
Bla bla, es macht keinen Sinn, weiter zuzuhören.
Igor Girkin,
Ex-Offizier und mutmaßlicher Kriegsverbrecher
Der öffentlich geführte Streit mutet für Außenstehende bizarr an, denn Russland drohen bei Kritik an Militär oder Staatsführung lange Haftstrafen. Doch offensichtlich gilt das nicht für militante Hardliner. So kritisierte der im Westen als Kriegsverbrecher gesuchte Ex-Offizier Igor Girkin am Dienstag Putins am gleichen Tag gehaltene Rede scharf: „40 Minuten lang wurde nichts gesagt, und mehr als 15 Minuten lang gibt es Beschwerden über Partner“, schrieb Girkin.
Und: „Kein Wort über Niederlagen, Misserfolge, Schwierigkeiten.“ Und am Ende: „Bla bla, es macht keinen Sinn, weiter zuzuhören.“ Girkin, der als Kommandeur von mehreren prorussischen Milizgruppen in der Ostukraine auch für den Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs im Jahr 2014 verantwortlich sein soll, gilt als einer der schärfsten Kritiker von Putins Krieg – allerdings aus der Perspektive eines Scharfmachers, der dem Kreml einen zu weichen, unprofessionellen Kurs vorwirft.
RND/dpa/AP/stu