Gesundheitsämter am Limit: „Omikron steht im Moment im Fokus“

Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V., über die Situation in den Gesundheitsämtern.

Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V., über die Situation in den Gesundheitsämtern.

Die Gesundheitsämter stehen seit Beginn der Corona-Pandemie massiv unter Druck. Sie sollen die Daten von Infizierten erfassen, ihre Kontakte nachverfolgen und Quarantäne anordnen. Doch inzwischen sind viele Gesundheitsämter am Limit, haben die Kontaktverfolgung eingestellt und sprechen auch keine Quarantäne aus. Längst keine Einzelfälle, sondern flächendeckende Realität, berichtet Ute Teichert im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Sie ist Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes.

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Frau Teichert, wie gut läuft im Moment die Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern?

Die Kontaktnachverfolgung ist für die Gesundheitsämter nur noch sehr schwer möglich. Wegen der vielen positiv getesteten Personen und dem Anstieg der Inzidenzen liegt der Fokus jetzt darauf, erst einmal die zahlreichen Corona-Fälle zu erfassen und zu melden. Damit sind viele Gesundheitsämter bereits ausgelastet. Eine flächendeckende Nachverfolgung findet im Moment fast gar nicht mehr statt. Mehrere Länder haben sogar komplett die Suche nach Kontaktpersonen ausgesetzt, zum Beispiel Baden-Württemberg, Berlin* und Hamburg. Die Gesundheitsämter ordnen dort auch keine Quarantäne mehr nach jedem positiven Corona-Test an oder melden sich bei Kontaktpersonen.

Sondern?

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Die Länder setzen auf die Eigenverantwortung der Bürger. Man geht davon aus, dass sich die Menschen selbst informieren, was sie bei einem positiven Testergebnis oder einem Risikokontakt tun müssen. Die Frage ist, ob alle das tun. Die Bürger bekommen oft kein Schreiben oder Gespräch mehr vom Gesundheitsamt, sondern müssen die Quarantäne- und Verhaltensregeln selbst auf der Homepage nachlesen. So war es jedenfalls bisher, allerdings ändert sich dies gerade wegen der Omikron-Variante.

Was ist bei Omikron anders?

Die Gesundheitsämter müssen bei Omikron-Infizierten und ihren Kontaktpersonen, anders als bei der Delta-Variante, unabhängig vom Impfstatus eine Quarantäne anordnen. Deshalb haben die Ämter jetzt mehr Arbeit. Sie müssen die Omikron-Fälle herausfiltern und intensiv und engmaschig betreuen. Omikron steht im Moment im Fokus der Gesundheitsämter.

Mit welcher Entwicklung rechnen Sie angesichts der Erfahrungen der Nachbarländer?

Ich rechne damit, dass es in den nächsten Wochen einen deutlichen Anstieg der Omikron-Fallzahlen geben wird und die Gesundheitsämter in besonderem Maße herausgefordert sein werden. Sie stehen womöglich vor einer so großen Belastung wie nie zuvor. Besonders schwierig wird es für die Mitarbeitenden, den Geimpften und Genesenen die Quarantänepflicht zu vermitteln. Viele glauben, sie müssten als Kontaktperson nicht in Quarantäne, weil sie geimpft sind. Doch das stimmt nicht und wird zu erheblichen Diskussionen führen.

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Diese Corona-Beschränkungen gelten nach Weihnachten
ARCHIV - 11.01.2021, Bayern, Bischofsmais: «Geschlossen» steht auf einem Schild vor einer Gaststätte am Geisskopf im Landkreis Regen.(zu dpa «Krisen-Schalte gegen Omikron - RKI empfiehlt Restaurantschließungen») Foto: Armin Weigel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Mit neuen Einschränkungen wollen Bund und Länder die Ausbreitung der hoch ansteckenden Omikron-Variante des Coronavirus bremsen.

Bemerken Sie eine Entlastung der Gesundheitsämter durch die Corona-Beschränkungen?

Die Gesundheitsämter sind je nach Inzidenz und Kontakten der positiv getesteten Personen unterschiedlich gefordert. Besonders Veranstaltungen mit vielen Menschen bereiten den Ämtern viel Arbeit, zum Beispiel Partys und Fußballspiele. Durch 3G, 2G und 2G plus sinkt die Zahl der Kontakte und erleichtert die Nachverfolgung deutlich. Diese Beschränkungen müssen aber auch überall umgesetzt werden.

Immer wieder hieß es, dass es zu wenig Personal in den Gesundheitsämtern gibt. Wie groß ist derzeit das Personalproblem?

Die Gesundheitsämter müssen insgesamt mit mehr Personal ausgestattet werden. Sie brauchen vor allem deutlich mehr dauerhaftes Fachpersonal. Die Ämter bekommen bei hohen Corona-Fallzahlen zwar kurzzeitig Unterstützung durch Studierende, die Bundeswehr oder andere Verwaltungskräfte. Aber diese ungeheure Fluktuation erleben wir nun schon seit zwei Jahren, und das zermürbt viele Mitarbeiter. Wir müssen ständig neue Leute einarbeiten, neue Arbeitsräume schaffen und die Technik zur Verfügung stellen – und das immer nur für ein paar Wochen, bevor dann alles wieder zurückgefahren wird. Das ist keine Lösung. Wir brauchen eine komplett neue Aufstellung für die Gesundheitsämter.

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Viele ausgeschriebene Stellen bleiben auch unbesetzt – ist die Arbeit zu unattraktiv?

Neben der Arbeitsbelastung liegt dies natürlich auch an der vergleichsweisen schlechten Bezahlung. Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus verdienen deutlich mehr als in den Gesundheitsämtern. Es gibt ein erhebliches Lohngefälle, das die Arbeit im Gesundheitsamt unattraktiv macht. Neben Ärztinnen und Ärzten betrifft dies auch andere Berufsgruppen im öffentlichen Dienst, die nicht adäquat zu ihren Aufgaben bezahlt werden. Seit Beginn der Pandemie beobachte ich neben der Fluktuation auch eine Flucht des Personals aus den Gesundheitsämtern. Eine Statistik dazu gibt es bisher aber noch nicht.

In Kliniken geht man bereits davon aus, dass Omikron zu einer Personalnot führen könnte. Trifft das auch auf die Gesundheitsämter zu?

Ja, es gibt in allen Gesundheitsämtern Notfallpläne, und nach zwei Jahren Pandemie sind diese Pläne gut erprobt. Wenn aber beispielsweise 30 Prozent der Belegschaft erkrankt, lässt sich das auch durch Notfallpläne kaum noch ausgleichen. Durch die Omikron-Variante laufen wir in Deutschland auf eine Situation zu, in der die Gesundheitsämter erkranktes Personal irgendwann nicht mehr kompensieren können. Das ist ein großes Problem.

Gibt es dafür Lösungen?

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Wir brauchen gute Notfallpläne für den Fall, dass eine bestimmte Anzahl an Mitarbeitenden ausfällt. Wichtig sind länderübergreifende Konzepte, damit Personal aus weniger betroffenen Regionen eingesetzt werden kann. Außerdem ist es sinnvoll, die Organisation des Personals zentral zu bündeln. Derzeit gibt es eine Plattform vom RKI für das Personal zur Kontaktnachverfolgung, eine Börse von unserem Verband für Studierende, und in den Kommunen gibt es Verwaltungskräfte, die kurzfristig eingesetzt werden können. Eine zentrale Plattform könnte den Gesundheitsämtern helfen, bei Bedarf zusätzliches Personal zu erhalten.

Wie blicken Sie auf die Situation der Gesundheitsämter in den Weihnachtsfeiertagen und an Silvester?

Die Lage ist sehr angespannt, weil die Gesundheitsämter schon lange über dem Limit arbeiten. Wir wissen nicht, wie schnell sich die Omikron-Variante in Deutschland ausbreitet und ob es zu hohen Fallzahlen an den Feiertagen kommen wird. Definitiv wird Omikron die Gesundheitsämter schon bald sehr stark belasten, vielleicht aber auch erst im Januar. Wenn ich auf die Nachbarländer blicke, kann ich jedenfalls nur hoffen, dass Omikron nicht so schnell auf uns zukommt.

*Die neue Sprecherin der Berliner Gesundheitsverwaltung, Laura Hoffmann, teilte dem RND mit, dass die Gesundheitsämter in Berlin derzeit die Kontaktnachverfolgung gewährleisten könnten. In acht Gesundheitsämtern sei dafür die Bundeswehr im Einsatz.

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