Mit Anlauf in die sechste Welle: Der Streit über den Corona-Fahrplan
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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
© Quelle: IMAGO/photothek
Berlin. Statt auf einen umjubelten Freedom Day am kommenden Sonntag zuzusteuern, sehen sich Politik und Gesundheitswesen in Deutschland derzeit mit den Auswirkungen einer neuen, sechsten Corona-Welle konfrontiert. Nach einem kurzen Abflauen der vorangegangenen Omikron-Welle sorgt die noch ansteckendere Untervariante Omikron BA.2 für erneut steigende Inzidenzen. Die Zahl der Neuinfektionen erreichte in der vergangenen Woche ein Rekordhoch, auch die Zahl der Corona-Fälle in den Krankenhäusern nimmt zu.
Darüber, wie es in der Pandemiebekämpfung weitergeht, sollen in dieser Woche mehrere wichtige Entscheidungen getroffen und vorbereitet werden. Am Mittwoch und Freitag befasst sich der Deutsche Bundestag mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein geändertes Infektionsschutzgesetz. Die Reform, die am Freitag verabschiedet werden soll, ist dringend notwendig: Ohne eine Gesetzesänderung würden die Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes am Sonntag, dem 20. März, auslaufen.
Der Regierungsentwurf sieht nur noch wenige Basisschutzmaßnahmen – Maskenpflicht im Nahverkehr und in Kliniken und Pflegeeinrichtungen – vor. Weiter gehende Maßnahmen sollen die Bundesländer in Corona-Hotspots verhängen können.
Grünen-Politiker Dahmen will Vorschlag der Ampelkoalition verschärfen
Aus der Ampelkoalition wird jedoch auch Kritik am Regierungsentwurf laut. Dem gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, Janosch Dahmen, gehen die vorgesehenen Maßnahmen nicht weit genug. „Ich werbe sehr dafür, den Gesetzentwurf zur Reform des Infektionsschutzgesetzes noch einmal anzupassen und die Maskenpflicht in Innenräumen als Basisschutzmaßnahme beizubehalten“, sagte Dahmen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Solche Änderungen seien im parlamentarischen Verfahren durchaus vorgesehen und er gehe davon aus, dass das auch passiere, erklärte Dahmen. „Ob das am Ende gelingt, vermag ich noch nicht vorherzusagen“, fügte er an. „Es ist unübersehbar, dass es dazu in der Koalition unterschiedliche politische Sichtweisen gibt.“
Auch der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte den Entwurf der Bundesregierung für die Reform des Infektionsschutzgesetzes. „Die Position des Bundesgesundheitsministers ist zutiefst widersprüchlich“, sagte Brysch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Karl Lauterbach beschwört am Freitag die Öffentlichkeit, den Schutz ernst zu nehmen, und bringt am Montag ein Gesetz mit dem genauen Gegenteil ein“, kritisierte Brysch.
Gesundheitsminister Lauterbach warnt: „Lage ist objektiv viel schlechter als die Stimmung“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach spricht angesichts der wieder steigenden Corona-Infektionszahlen von einer kritischen Situation.
© Quelle: Reuters
Patientenschützer will Testregelungen und Maskenpflicht bundesweit vereinheitlichen
„Wenn das Gesetz so verabschiedet wird, wie es vom Bundeskabinett eingebracht wurde, macht es alle Arbeit der letzten zwei Jahre obsolet“, sagte Brysch. Der Gesetzentwurf müsse dringend nachgebessert werden. „Es müssen endlich jene in den Blick genommen werden, die vornehmlich zu schützen sind“, sagte Brysch dem RND.
„Testregime und Maskenpflicht müssen bundesweit gesetzlich verankert werden“, forderte der Patientenschützer. „Deswegen darf der Bundestag die Novelle so nicht passieren lassen“, mahnte Brysch. Er sprach sich erneut dafür aus, einen Rechtsanspruch auf regelmäßige Corona-Tests für Pflegebedürftige außerhalb stationärer Einrichtungen und deren Angehörige zu schaffen.
„Für Pflegebedürftige und ihre Kontaktpersonen braucht es ein Anrecht auf effektive tägliche Schnelltests und zweimal wöchentliche PCR-Tests. Das alles muss kostenfrei möglich werden, auch ohne erkennbare Symptome“, sagte Brysch. „In den sensiblen Bereich dürfen sich nicht unbemerkte Infektionen einschleichen. Die Menschen leben mitten unter uns“, erklärte er.
„Es ist nun Disziplin von den Ländern gefragt“
Grünen-Politiker Dahmen wies zudem darauf hin, dass die Handlungsspielräume für die Länder im Gesetzentwurf der Bundesregierung so groß angelegt seien, dass Bundesländer auf gleiche Lagen unterschiedlich reagieren könnten. „Deshalb müssen die Länder Verabredungen treffen, wie sie in eigener Verantwortung Regeln so formulieren, dass sie möglichst gleichförmig und nachvollziehbar sind“, sagte Dahmen.
Dazu seien die Bund-Länder-Treffen sehr geeignet. „Es ist nun Disziplin von den Ländern gefragt, sich abzustimmen und zu vermeiden, dass es sehr unterschiedliche und widersprüchliche Verfahrensweisen gibt“, sagte Dahmen.
Konkret forderte der Grünen-Politiker: „Da wir in allen Ländern steigende Fallzahlen und in mehreren Ländern sogar Rekordinzidenzwerte und eine Rekord-Hospitalisierungsinzidenz sehen, müssen die Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag gemeinsam die Verabredung treffen, alle derzeit geltenden Schutzmaßnahmen erst mal auch über den 20. März hinaus mit Landesbeschlüssen zu verlängern.“
Krieg in der Ukraine spielt auch bei Impfpflichtdebatte eine Rolle
Patientenschützer Brysch forderte außerdem, Corona-Hotspots dürften künftig nicht bis auf die Ebene von Stadtteilen ausgewiesen werden, wie es die Gesetzesreform vorsehe. „Es gibt in vielen Städten Stadtteile, wo Straßenzüge diese Grenze markieren. Das würde dazu führen, dass in der Pommesbude auf der linken Straßenseite eine Maske zu tragen ist und im Club auf der rechten alles ohne läuft“, sagte Brysch und fragte: „Wer soll das noch verstehen?“
Am Donnerstag will der Bundestag auch über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht debattieren. Diese Debatte müsse auch vor dem Hintergrund weiterer „fundamentaler Krisen“ stattfinden, sagte Dahmen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. „Diese Krisen sind zunächst außen- und sicherheitspolitisch, werden aber absehbar auch den ganzen Bereich von humanitärer Hilfe und Energieversorgung betreffen“, sagte Dahmen. Dadurch sei der Druck auf die Gesundheitspolitik, vorausschauend und vorsorgend zu handeln, noch größer als zuvor.
„Wenn wir in der anstehenden Sitzungswoche im Bundestag über die Impfpflicht reden und anschließend bis Anfang April entscheiden werden, passiert das auch vor dem Hintergrund dieser weiteren Krisen“, sagte Dahmen. „Wir müssen uns fragen: Können wir es uns im Herbst leisten, dass wir neben einer sicherheitspolitischen, humanitären und ökonomischen Krise infolge des Kriegs auch den großen Rückschlag einer Gesundheitskrise erleben? Ich meine nein“, mahnte er.