Konservieren oder erneuern? Die katholische Kirche steht am Scheideweg
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Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa-Pool/dpa
Berlin. In der katholischen Welt gibt es derzeit zwei starke Strömungen. Die eine, zu der viele Basisbewegungen gehören, will ihre Kirche runderneuern. Die andere, dazu zählen viele Netzwerke kirchlicher Funktionäre, wollen lieber konservieren.
Im Brennpunkt dieser Auseinandersetzungen stehen seit einigen Jahren auch die mühsamen Prozesse der Missbrauchsaufklärung. Das öffentliche Entsetzen über die massenhafte an Kindern und Jugendlichen verübte sexualisierte Gewalt, die die Kirche innerlich tief erschüttert hat, befeuert den Konflikt zusätzlich.
Missbrauchsgutachten: Papst Benedikt räumt Falschaussage ein
Der 94-Jährige betonte, dass dies „nicht aus böser Absicht heraus geschehen ist, sondern Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung war“.
© Quelle: dpa
Letztlich geht es um den Weg, was Christentum in Zukunft ausmachen soll.
Das Missbrauchsgutachten einer Münchner Kanzlei birgt in dieser Hinsicht für die katholische Kirche mehrere Sprengsätze. Sie liegen in den Erkenntnissen, welche Strukturen die Übergriffe auf junge Gläubige begünstigt haben, und in den Vertuschungen von Taten sowie dem Decken der Täter durch höchste kirchliche Amtsträger – wie dem späteren Papst Benedikt.
Missbrauch des Missbrauchs
Auch in der Kirche gibt es Verschwörungserzählungen. Dazu zählt die vom Missbrauch des Missbrauchs. Einige einflussreiche konservative Katholiken sprechen davon, dass das Befummeln, Begrabschen oder Vergewaltigen durch Geistliche zwar übel sei. Doch das ständige Bewerfen von Würdenträgern mit Dreck sowie die ausufernden Forderungen nach Aufklärung und Präventionskriterien habe nur eine Aufgabe: die Kirche als solche und auch die Kirchenführer zu schwächen – manche reden vom Evangelisieren.
Marx sagt, er nehme sich und andere in die Pflicht. Das ist besser als ein folgenloser Rücktritt.
Der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx hat dazu eine erfreulich klare Position. Ohne Erneuerung der Kirche, sagt er, habe das Christentum keine Zukunft. Und: Die Kirche sei für die Menschen – also auch die Missbrauchsopfer – da und nicht für sich selbst. Marx ist selbstkritisch und bereit zu einem erneuten Rücktrittsgesuch an Papst Franziskus, wenn es dafür eindeutige Signale der Basis gebe.
Der Kardinal will sich der Verantwortung stellen. Marx sagt, er nehme sich und andere in die Pflicht. Das ist besser als ein folgenloser Rücktritt. Leider beißt er sich in Sachen Benedikt auf die Zunge, akzeptiert sogar dessen Zögern und Zaudern.
Für wen ist die Kirche da?
Vielleicht dient das jedoch auch dazu, bei der Missbrauchsaufklärung nicht den Blick fürs Wesentliche zu verlieren. Es die Antwort auf die Frage, für wen die Kirche da ist.
Erst, wenn sie sich den Opfern der Missbrauchsskandale ehrlich und offen zuwendet, die Tatstrukturen schonungslos aufarbeitet und die Gläubigen mehr Mitsprache erhalten, erst dann wird sich wieder Vertrauen in die eigentliche Kraft der Gemeinschaft Kirche einstellen.