Kassenarzt-Chef blamiert sich mit Kampagne gegen Spahn
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Die Wartezeit für Kassenpatienten soll sinken – ein entsprechendes Gesetz will Gesundheitsminister Spahn auf den Weg bringen.
© Quelle: Szent-Ivanyi
Berlin. Es sollte ein großer Aufschlag werden, doch es endet in einem peinlichen Durcheinander: Eigentlich wollte Andreas Gassen, der oberste Kassenarzt der Nation, am Mittwoch mit einer "Arztzeituhr" demonstrieren, wie verheerend sich das von der großen Koalition geplante Termingesetz aus seiner Sicht auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung auswirkt. Die Uhr, so die Idee, soll zeigen, wie die für Patienten zur Verfügung stehende Sprechzeit mit rasanter Geschwindigkeit sinkt – und nicht etwa steigt, wie von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versprochen.
Gassens Argument: Das Gesetz, das die Ärzte gängele und bevormunde, werde eine Entwicklung noch verstärken, die es ohnehin schon gebe: Immer mehr Ärzte gingen in Teilzeit, immer mehr Mediziner wechselten aus der Selbstständigkeit mit einer 52-Stunden-Woche in ein geregeltes Angestelltenverhältnis.
Wie viel Sprechzeit geht verloren?
Jede Minute – so hat es die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) jedenfalls ausgerechnet - verschwänden auf diese Weise bundesweit 474 Minuten an Sprechzeit, weil die Ärzte eben nicht mehr in der Praxis sind, sondern schon Feierabend haben. „Mit der Uhr wollen wir das verdeutlichen“, sagt Gassen und deutet auf das riesige Display. Doch dort wird gar nicht mit hoher Geschwindigkeit rückwärts gezählt, vielmehr geht es sehr gemächlich im Sekundentakt nach unten.
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Die „Arztzeituhr“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
© Quelle: Szent-Ivanyi
Erst nach mehreren Fragen von Journalisten räumt Gassen ein, dass da wohl etwas nicht stimmen kann: „Oh, da müssen wir noch mal die Techniker anrufen“.
Gehälter der KBV-Chefs eingefroren
Die Szene ist exemplarisch: Immer dann, wenn die Politik an den Rahmenbedingungen der Ärzte dreht, läuft Gassen zur Hochform auf, auch mit umstrittenen Methoden. Denn die Kassenärztlichen Vereinigungen sind kein unabhängiger Berufsverband, der die Politik nach Herzenslust kritisieren könnte. Sie sind Anstalten des öffentlichen Rechtes, die den originären Auftrag haben, die medizinische Versorgung gemäß gesetzlichen Vorgaben sicher zu stellen. Gassen, selbst Orthopäde, schert das nicht: Mit der Verpflichtung, künftig 25 statt 20 Stunden Sprechzeit in der Woche anbieten zu müssen, drangsaliere Spahn die Ärzte, der Plan sei ein Affront gegen die Arbeit der Mediziner, wettert Gassen bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Gäbe es jedoch deutlich mehr Geld, so seine Botschaft, dann könne man durchaus über die eine oder andere Ausweitung sprechen.
Mehr Geld wird es für Gassen in seiner Funktion als KBV-Chef aber voraussichtlich nicht geben, was die zornige Kritik an Spahn mit erklären könnte. Obwohl es nicht im Koalitionsvertrag vereinbart worden war, hat Spahn im Termingesetz verankern lassen, dass die Chef-Gehälter bei der KBV und dem Kassen-Spitzenverband bis 2027 eingefroren werden. Die Begrenzung sei mit Blick auf das bereits erreichte hohe Vergütungsniveau gerechtfertigt, heißt es dazu im Gesetzentwurf. Wohl wahr: Gassen bekam zuletzt knapp 375.000 Euro jährlich.
Von Timot Szent-Ivanyi/RND