Kasachstan: deutsche Minderheit als „lebendige Brücke“ zwischen beiden Ländern

Pfarrer Sergej, ein russisch-orthodoxer Priester, segnet eine Sojus-Rakete auf der Startrampe des Kosmodroms Baikonur, bevor sie startet. Der Weltraumbahnhof Baikonur gehört zu den bekanntesten Orten Kasachstans.

Pfarrer Sergej, ein russisch-orthodoxer Priester, segnet eine Sojus-Rakete auf der Startrampe des Kosmodroms Baikonur, bevor sie startet. Der Weltraumbahnhof Baikonur gehört zu den bekanntesten Orten Kasachstans.

Berlin. Kasachstan ist mit seinen 19 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen Deutschlands wichtigster Wirtschaftspartner in Zentralasien. Etwa 200 deutsche Unternehmen sind in dem Land, das 1991 mit der Auflösung der Sowjetunion unabhängig wurde, präsent. Zudem verbinden beide Länder die deutschstämmigen Einwanderer und Einwanderinnen aus Kasachstan in der Bundesrepublik und die in Kasachstan lebende deutsche Minderheit mit etwa 180.000 Angehörigen. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern entwickeln sich sehr dynamisch, sagt Botschafter Dauren Karipov. Das Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) hat mit ihm gesprochen.

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Herr Karipov, das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Kasachstan lag 2020 bei knapp 4 Milliarden Euro. Das ist im Vergleich mit anderen Ländern Osteuropas nur Platz 13. Ist da noch mehr möglich?

Deutschland ist für uns das wichtigste Land in der EU. In den letzten 15 Jahren hat es bei uns deutsche Direktinvestitionen in Höhe von 5 Milliarden Euro gegeben. Und 85 Prozent des deutschen Handels mit Zentralasien entfallen auf Kasachstan. Unser Präsident war 2019 und 2020 in Deutschland und hat die exzellenten Bedingungen für deutsche Investoren heraus­gestellt: Sie können von Zollgebühren und Steuern freigestellt werden und bevorzugt Grundstücke erwerben. Es gibt 13 Sonder­wirt­schafts­zonen und eine spezielle Arbeitsgruppe unter Leitung von Vizepremier Roman Skljar, die sich um die Zusammenarbeit mit deutschen Firmen kümmert. Bei uns existieren inzwischen 900 Joint Ventures mit deutscher Kapital­beteiligung. Wir sind auf einem sehr guten Weg.

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In welchen Bereichen sind denn deutsche Firmen besonders präsent?

Das zieht sich durch viele Branchen: Maschinenbau, Metallurgie, chemische Industrie, Landwirtschaft. Wir haben zum Beispiel im August 2020 mit dem Landmaschinenhersteller Claas aus Nordrhein-Westfalen einen Vertrag für ein Werk in Petropawlowsk in Nordkasachstan unterzeichnet. Ende letzten Jahres wurden in dem neuen Werk bereits zwei Test­ernte­maschinen gebaut. In diesem Jahr wird die Produktion auf 30 Traktoren und Mähdrescher erhöht. Die deutsche Fleisch­industrie ist mit der Firma Baumann aus dem Rheinland präsent, die bei uns in ein großes Projekt zur Lamm­fleisch­pro­duktion investiert hat. Aber auch Baustoffhersteller wie Knauf oder Heidelberg-Cement haben Kasachstan entdeckt, wie auch die Handelsriesen, etwa die Metro-Gruppe.

Dauren Karipov (51) ist seit 2019 Botschafter Kasachstans in Deutschland.

Dauren Karipov (51) ist seit 2019 Botschafter Kasachstans in Deutschland.

Die alte Sowjetunion hatte trotz der Größe ihrer Fläche immer Probleme, ihren Bedarf an Getreide selbst zu decken. Wie sieht es heute damit in Kasachstan aus?

Wir haben rund 200 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche und sind vor allem mit Rindern und Schafen der größte Fleischproduzent in Zentralasien. Unsere klimatischen Bedingungen erlauben es, beinahe alle Kulturen anzubauen, und wir gehören heute zu den größten Getreideexporteuren der Welt. Für das Wirtschaftsjahr 2020/2021 wird unser Export von Getreide und Mehl zwischen sieben und acht Millionen Tonnen liegen. Ein Teil davon geht auch in die EU. Wir treiben die Digitalisierung der Landwirtschaft massiv voran – mit Wetter-Apps, Drohnen und Datenmanagementsystemen. Und wir setzen zunehmend auch auf zertifizierte Bioprodukte und Halalerzeugnisse.

Über 40 Prozent der Fläche Ihres Landes sind Wüste. Welche Rolle spielen erneuerbare Energien, beispielsweise Solarstrom?

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Dieser Bereich ist stark im Kommen. Auch hier engagiert sich ein deutsches Unternehmen sehr, nämlich die Firma Goldbeck Solar GmbH aus Baden-Württemberg, die schon 2018 einen riesigen Solarpark bei uns gebaut hat und 2020 den zweiten. Wir haben ein Konzept zum Übergang zur grünen Wirtschaft. Bis 2025 sollen bei uns 6 Prozent des Stroms aus erneuer­baren Energien kommen und bis 2050 schon 50 Prozent. Neben Sonne und Wind haben wir auch enorme Roh­stoff­ressour­cen und sind stark an deutschem Know-how in Sachen Verarbeitung interessiert. Wir waren 2019 mit 6,3 Millionen Tonnen der fünftgrößte Erdöllieferant für Deutschland, aber wir wollen nicht nur Rohstoffe liefern, sondern eine eigene Wert­schöp­fung aufbauen. Von 105 Elementen des Periodensystems stecken 99 im Boden Kasachstans.

Kasachstan liegt zwischen den beiden großen Mächten China und Russland – wie fühlen Sie sich dabei?

Unsere geografische Lage ist doch ein Geschenk. Wir fühlen uns zwischen der EU, Russland und China sehr wohl. Wir profitieren beispielsweise vom großen chinesischen Infrastrukturprojekt Neue Seidenstraße, das durch unser Land führt. China hat seit unserer Unabhängigkeit 1991 etwa 20 Milliarden Dollar investiert. Wir sind Mitglied in der Eurasischen Wirtschaftsunion aus vier Ländern und Russland, die EU ist unser größter Handels- und Investitionspartner. Sie hat einen Anteil von 41 Prozent an unserem gesamten Außenhandel.

Rund eine Million Angehörige der deutschen Minderheit sind seit den 1990er-Jahren aus Kasachstan ausgewandert, etwa 180.000 leben noch dort. Welche Rolle spielen sie heute noch im gesellschaftlichen Leben?

Unsere deutschstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger sind eine „lebendige Brücke“ zwischen beiden Ländern. Sie sorgen für regen Austausch, und inzwischen kehren sogar einige zurück zu uns. Es gibt bei uns deutsche Kulturzentren und Schulen. Das Deutsche Haus dient seit 1994 es als ein Treffpunkt von Organisationen wie dem Goethe-Institut, der Frie­drich-Ebert-Stiftung oder der Deutsch-Kasachischen Assoziation der Unternehmer. Heute sind die meisten Büros von der Stiftung Vereinigung der Deutschen Kasachstans – Wiedergeburt belegt. Wir haben mit der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ die einzige deutschsprachige Tageszeitung in Zentralasien, und es gibt die Deutsch-Kasachische Universität in Almaty, die von beiden Ländern betrieben wird. Die Deutschen sind bekannt für ihre gute Arbeit und bewirtschaften zum Beispiel bei uns eine Million Hektar Agrarland. Wir sind ein Vielvölkerstaat, in dem Menschen aus 130 Ethnien und 17 Religions­gemeinschaften friedlich miteinander leben.

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Stichwort Religion: Nach offiziellen Angaben bekennen sich etwa 70 Prozent der Bevölkerung zum Islam und 26 Prozent zum Christentum. Erlebt der Glaube ein Comeback?

Nach der Auflösung der UdSSR 1991 erlebte der postsowjetische Raum eine religiöse Wiedergeburt, wahrscheinlich, weil die Menschen eine Alternative zur kommunistischen Ideologie suchten. Glücklicherweise gibt es bei uns keine extremen religiösen Ausprägungen. Wir haben ein gutes Verhältnis zwischen den beiden Hauptkonfessionen. Die geistliche Verwal­tung der Moslems Kasachstans arbeitet mit den Eparchien der Russisch-Orthodoxen Kirche gut zusammen. Es gibt darüber hinaus römisch-katholische, protestantische und jüdische Gemeinden und viele kleinere Religionsgemeinschaften. Unsere staatliche Religionspolitik stärkt Säkularismus und Vielfalt.

In Baikonur befindet sich der größte Weltraumbahnhof der Erde. Russland hat ihn für 115 Millionen Dollar jährlich gepachtet, baut aber einen anderen Standort weiter aus. Wie wird es weitergehen?

Am 12. Mai hat unser Parlament ein Dokument ratifiziert, das Russland eine weitere Nutzung bis 2050 ermöglicht. Russland baut zwar das Kosmodrom Wostotschny in der Armurregion aus, aber Baikonur mit seinen fünf Startrampen hat eine bessere geografische Position für die Raumfahrt. Die Verwaltung in der Stadt Baikonur ist vertraglich mit Moskau genau geregelt. Russland trägt die Verantwortung für die dort lebenden 76.000 Einwohner. Von ihnen sind 25.000 russische Staatsbürger und 50.000 Kasachen. Und von beiden zusammen arbeiten etwa 10.000 direkt im Kosmodrom Baikonur. Kasachstan ist seit 70 Jahren in der Weltraumforschung tätig, inklusive dreier Kosmonauten, die bereits im All waren. Und wir arbeiten an der Entwicklung eines eigenen Weltraumprogramms. Dabei geht es vor allem um wissenschaftliche Zwecke, wie die Erfassung von Bodenschätzen aus dem All oder die Analyse der Entstehung von Erdbeben und Über­schwem­mungen. Wir sehen da viel Potenzial.

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