Porträt eines Krisenministers
Im Gesundheitswesen brennt es an allen Ecken: vom Finanzloch der Krankenkassen bis zum fehlenden Corona-Plan für den Herbst. Gesundheitsminister Lauterbach hat diese Probleme alle durchdrungen. Nur fehlt ihm die Fähigkeit, sie mit praktischer Politik zu bekämpfen. In Berlin wird bereits geunkt, er könnte die Legislaturperiode nicht überstehen.
Karl Lauterbach sitzt am Kopf des Konferenztisches im Besprechungssaal des New Yorker Montefiore-Hospitals und plaudert mit seinem alten Freund, dem Medizinprofessor Dan O’Connell. Sie kennen sich ihr halbes Leben. 1989 haben sie zusammen an der Eliteuniversität Harvard studiert und anschließend einen mehrmonatigen Auslandseinsatz in Kenia absolviert. „Uns eint eine sonderbare Liebe zu Zahlen“, schwärmt Lauterbach. Immer, wenn der eine ein Argument bringe, frage der andere sofort: „Wo sind die Daten, die das belegen?“
Mitten in diesem heißen Sommer ist der deutsche Gesundheitsminister für eine Woche in die USA geflogen. Es ist nur in Teilen ein typischer Ministerbesuch mit wichtigen Politikerterminen in Washington. Spätestens ab dem vierten Tag, als Lauterbach an seiner alten Universität in Harvard als Gastprofessor einen Vortrag hält, verwandelt sich der Trip in eine Studienreise. Lauterbach tauscht sich mit den Koryphäen des Fachs über die Pandemie aus, er besucht in New York mehrere Krankenhäuser und verfolgt Präsentationen über künstliche Intelligenz bei der Krebserkennung und die Entwicklung einer neuen Covid-Impfung.