SPD-Abgeordneter Diaby zu Rostock-Lichtenhagen: „Der Umgang mit den Opfern ist für mich bis heute ein Skandal“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/IADACBPFRBCRTOWHNW6E2HKZBY.jpeg)
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby.
© Quelle: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentra
Herr Diaby, Sie sind Mitte der 1980er-Jahre aus dem Senegal in die DDR gekommen. Wie haben Sie die Ereignisse von Rostock-Lichtenhagen erlebt?
Ich erinnere mich an das Entsetzen, das sich damals in den migrantischen Communitys breitmachte. Bei vielen meiner Freunde und Bekannten wirken die pogromartigen Ausschreitungen bis heute nach, auch, weil bestimmte ikonische Fotos das damalige Grauen wachhalten.
Viele, gerade in Westdeutschland, waren ebenso schockiert darüber, dass Rechtsextremisten und „normale Bürger“ tagelang Menschen angreifen konnten, ohne dass der Staat dies unterband.
Ja, und dieser Schock sitzt immer noch tief. Wir dürfen nicht vergessen, vor welchem Hintergrund die Ausschreitungen stattfanden: Der Umbruch in Ostdeutschland war mit Massenarbeitslosigkeit und massiven Zukunftsängsten verbunden. In dieser Situation wurde die Asyldebatte durch politische und mediale Akteure in unverantwortlicher Weise durch regelrechte Kampagnen angefacht.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/4M56FY25WYUHHGLYBIHTXLCHPM.jpg)
„Ich war doch hier zu Hause“: Erinnerungen an Rostock-Lichtenhagen 1992
Die rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen jähren sich in diesem Jahr zum 30. Mal. Damals wurde das Sonnenblumenhaus, Aufnahmestelle für Asylbewerber und das Wohnhaus für vietnamesische Arbeiter, attackiert. Ein damals Dreijähriger erzählt von seinen Erinnerungen und wie es ihm heute geht.
War es dennoch Zufall, dass das genauso in Ostdeutschland geschah? Oder hätte es auch im Westen geschehen können?
Was heißt können? Die alte Bundesrepublik kannte rechtsextrem motivierte Brandanschläge und Morde leider nur zu gut. Auch in den 1990er-Jahren mussten wir durch Taten wie in Solingen, Mölln, Lübeck oder Stuttgart den Tod vieler Menschen beklagen. Ich plädiere ausdrücklich dafür, das Problem als gesamtdeutsch zu begreifen. Tatsächlich stimmt aber, dass die Selbstverklärung der DDR als antifaschistisches Bollwerk rechtextremes Gedankengut jahrelang nur zugekleistert hatte und die Umbrüche in Ostdeutschland massiv zur Gewalteskalation beitrugen.
Die Angegriffenen selbst kommen überhaupt nicht vor. Wie erklären Sie sich das?
Gerade im Fall von Rostock-Lichtenhagen ist der Umgang mit den Opfern für mich bis heute ein Skandal. Viele von ihnen wurden nach Vietnam abgeschoben. Eine Lehre daraus kann sein: Wir sollten eine aktive Erinnerungskultur zur Geschichte der Vertragsarbeitnehmer und -arbeitnehmerinnen in der DDR fördern, das ist bisher schlicht ein blinder Fleck. In diesem Zusammenhang können wir auch den Opfern von rechtsextremer Gewalt ein Gesicht und eine Stimme geben – wenn sie es wollen.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Aufgabe der gesamten Gesellschaft
2015 und später haben sich ähnlich offene Angriffe auf Flüchtlingsheime wiederholt, vor allem in Sachsen und wieder unterstützt von „normalen Bürgern“. Hat die Aufarbeitung nichts genutzt?
Es ist leider ein bekanntes Phänomen, dass in Krisen oder unsicheren Zeiten Gesellschaften dazu neigen, das vermeintlich Fremde als Bedrohung zu begreifen, gegen das man sich wehren muss, um den Status quo zu sichern. Gerade Sammelunterkünfte sind ein zentrales Feindbild Rechtsextremer und leichte Ziele für Angriffe. Deswegen müssen wir einerseits durch Sicherheitspolitik, andererseits durch politische und Medienbildung sowie Integration konsequent gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und weitere menschenfeindliche Einstellungen vorgehen.
Was kann man sonst tun, um so etwas in Zukunft zu verhindern?
Wir müssen uns als Gesamtgesellschaft fragen, wie wir dazu beitragen können, Hass und Hetze wirksam aus den Köpfen zu verbannen. Der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus hat mit 89 Einzelmaßnahmen und dem Entwurf eines Demokratiefördergesetzes gute Grundlagen gelegt, die mit Leben zu füllen sind. Ich sage aber auch: Wichtig ist, beispielsweise im Verein oder an der sonntäglichen Kaffeetafel, klar und deutlich zu widersprechen, wenn Stammtischparolen ertönen.
Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter