Botschafter Dariusz Pawlos im Interview

Kampfjets für die Ukraine: „Polen möchte keinen Alleingang“

Dariusz Pawlos (53), ist seit 22. November 2022 Botschafter der Republik Polen in Deutschland.

Dariusz Pawlos (53), ist seit 22. November 2022 Botschafter der Republik Polen in Deutschland.

Berlin. Dariusz Pawlos (53) ist seit 22. November polnischer Botschafter in Berlin. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) spricht er über Polens Rolle als Bollwerk des Westens an der Grenze zu Russland, die weitere Unterstützung der Ukraine und die polnischen Forderungen an Deutschland für im Zweiten Weltkrieg erlittene Schäden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Herr Pawlos, die Ukraine hat signalisiert, dass sie neben westlichen Kampfpanzern jetzt auch Kampfflugzeuge und Langstreckenraketen benötigt. Wie steht Polen zu dieser Frage?

Zunächst möchte ich sagen, dass Polen ein sehr großer Unterstützer der Ukraine ist. Wir haben seit Russlands brutalem Überfall vor einem Jahr über drei Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und vom ersten Tag an auch mit Militärtechnik geholfen. Polen hat bisher 250 Panzer geliefert, vor allem russische T72, hergestellt in Lizenz in Polen. Weitere 60 werden wir demnächst liefern und zusätzlich 14 Leopard-Panzer spenden.

Wird Deutschland jetzt Kriegspartei?

Seit dem Leopard‑2-Beschluss wachsen in Deutschland eine neue Beklommenheit und eine neue Begriffsverwirrung. Liegt darin schon eine Kriegserklärung an Russland? Völkerrechtlich lautet die kurze Antwort: nein. Die UN-Charta würde sogar noch weiter gehende Militärhilfen für die ange­griffene Ukraine zulassen – auch Flugzeuge, Raketen und Schiffe.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Und wir sind fest entschlossen, diese Unterstützung auf allen möglichen Ebenen fortzusetzen. Das hat auch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in den deutschen Medien deutlich zum Ausdruck gebracht.

Was die Frage nach Kampfflugzeugen betrifft, so möchte Polen hier keinen Alleingang unternehmen, sondern wir denken, diese Entscheidung sollte einvernehmlich von den westlichen Verbündeten getroffen werden. Dazu sollten aus unserer Sicht möglichst rasch verschiedene Möglichkeiten der Konsultation genutzt werden. Die Politik des Zögerns und Zauderns wie im Falle der Kampfpanzer Leopard 2 ist kontraproduktiv. Bei uns sagt man: Wer schnell gibt, gibt doppelt.

Zögern ist kontraproduktiv

Konsultationen? – Das klingt auch nicht unbedingt nach Tempo.

Bis zur Münchner Sicherheitskonferenz vom 17. bis 19. Februar sind es nur noch 14 Tage. Wir haben vorgeschlagen, dass die Staats- und Regierungschefs, die sich dort treffen, nicht nur über diese Frage beraten, sondern auch eine Entscheidung treffen. Aus unserer Sicht wäre es auch denkbar, dass sich dort der polnische Präsident Duda, Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzler Scholz im Format des Weimarer Dreiecks treffen, um einen Schulterschluss der wichtigsten europäischen Unterstützer der Ukraine zu zeigen.

Darüber hinaus gibt es von unserer Seite auch jederzeit die Bereitschaft, bilateral mit Deutschland zu sprechen. Polen besitzt einige Dutzend Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart, sowohl MIG 21 als auch SU22. Aber wie gesagt, wir möchten in dieser Sache ein einheitliches Vorgehen mit unseren Partnern in der EU und in der Nato.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Wann ist aus Sicht Polens der richtige Zeitpunkt für Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland gekommen?

Diese Frage dürfen nicht Polen oder Deutsche beantworten, sondern darüber kann nur die Ukraine entscheiden. Verhandlungen dürfen nicht unter russischen Bedingungen geführt werden, sondern nur unter den Bedingungen der Ukraine. Wir dürfen die ukrainische Seite in dieser Frage nicht unter Druck setzen oder gar bevormunden. Wir müssen alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Ukraine so zu unterstützen, dass sie diesen Zeitpunkt selbst bestimmen kann. Auf jeden Fall müssen sich die russischen Truppen aus den besetzten Gebieten zurückziehen.

Polen ist jetzt mit seinen 37 Millionen Einwohnern das große westliche Bollwerk an der Grenze zu Russland. Fühlt sich ihr Land in dieser Rolle genug gewürdigt?

Polen ist in der Tat ein Bollwerk des Westens vor Russland und auch vor Belarus. Aber es geht hier nicht um eine Würdigung. Es versteht sich für uns von selbst, dass wir unseren Nachbarn dabei helfen, sich vor Aggressionen zu schützen. Bedroht durch Russland ist nicht nur Polen, sondern sind auch die baltischen Länder und die Republik Moldau. Und auch von Belarus geht ständig Gefahr aus, wenn man nur daran erinnert, wie das Regime in Minsk 2021 massenweise Flüchtlinge zum illegalen Übertritt an unsere Grenze brachte.

Putin würde sich nicht mit der Ukraine zufriedengeben. Er möchte sein Imperium ausbauen und in die Geschichte Russlands als einer der mächtigsten Zaren eingehen. Das dürfen wir nicht zulassen. Polen ist in dieser Frage Teil einer breiten Koalition, und wir möchten, dass diese Koalition nicht nur auf dem Papier steht, sondern aktiv agiert.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Ukraine wäre Putin nicht genug

Stichwort Reparationen: Polen fordert 1,3 Billionen Euro für im Zweiten Weltkrieg durch die deutsche Besatzung erlittenen Schäden. Deutschland lehnt das ab. Wie geht es jetzt weiter?

Wir haben unsere Forderungen in einer diplomatischen Note zum Ausdruck gebracht. Die Stellungnahme der Bundesregierung war sehr kurz und mündete in der Aussage, die Ansprüche seien nicht berechtigt. Unsere Enttäuschung darüber ist sehr groß, weil wir erwarten, dass wir über die Folgen des Zweiten Weltkrieges mit der deutschen Seite ins Gespräch kommen. Die bisherige Behandlung dieses Themas fand meist auf internationaler Ebene statt, aber es gibt bislang keinen bilateralen Vertrag zwischen Deutschland und Polen dazu.

Wir begreifen diese Ablehnung nicht als Ende, sondern als Anfang einer Diskussion, an deren Ende möglicherweise ein Kompromiss steht. Wir bereiten gerade auf Deutsch eine Kurzversion des 500 Seiten umfassenden Gutachtens zu den Kriegsschäden vor, die wir an deutsche Politiker und Wissenschaftler verschicken werden und die auch im Internet abrufbar sein wird. Wir wollen damit Verständnis für dieses Thema erwecken.

Gerechtigkeit für NS-Opfer

Besteht nicht Gefahr, dass diese Forderungen gerade jetzt einen Keil zwischen die Nato-Partner Polen und Deutschland treiben?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Für solche Gespräche ist nie der richtige Zeitpunkt. Gerade der Krieg in der Ukraine konfrontiert uns erneut mit dem Thema Kriegsverbrechen und erinnert daran, dass solche Verbrechen geahndet werden müssen, egal wann und wo sie verübt worden sind. In dem schon erwähnten Bericht zeigen wir auf, wie viele Kriegsverbrecher es in Deutschland gab, die überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen worden sind. Die Bundesrepublik hat im Rahmen von Entschädigungen Milliarden gezahlt, aber der polnische Anteil betrug nur 1,5 Prozent.

Die polnischen NS-Opfer haben seinerzeit einmalig eine Zahlung bekommen, die man wirklich nur als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnen kann. In anderen westlichen Ländern, zum Beispiel auch in Israel, erhalten NS-Opfer Leistungen bis zu ihrem Lebensende. Diese Ungleichbehandlung der Opfer ist nicht hinnehmbar.

Kritiker sagen, dass die polnische Regierungspartei PiS dieses Thema benutzt, um im Vorfeld der diesjährigen Parlamentswahlen mit antideutschen Tönen zu punkten.

Diese Kritik gab es schon vor den letzten Wahlen vor fünf Jahren, als bei uns eine Kommission eingesetzt wurde, um den erwähnten wissenschaftlich Bericht zu den Kriegsschäden zu erarbeiten. Inzwischen hat faktisch das gesamte polnische Parlament, inklusive der Opposition, für den Beschluss gestimmt, diese Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Nur wenige einzelne Abgeordnete haben sich enthalten oder dagegen gestimmt. Und nicht nur eine parlamentarische Mehrheit ist dafür, sondern auch die Mehrheit der polnischen Gesellschaft.

Wir brauchen in Polen eine offene Diskussion über diese Thematik, weil die Gefahr besteht, dass die Menschen vergessen, wie schrecklich der Krieg war. Wir haben noch viele weiße Flecken, vor allem was die Schäden im Osten unseres Landes betrifft, der zuerst von der Roten Armee und dann von der SS und der Wehrmacht besetzt war und nach 1945 in Teilen der Sowjetunion angegliedert wurde. Dort wurden polnische Staatsbürger zwangsweise russifiziert, indem man ihnen sowjetische Pässe ausstellte. Ich will sagen: die Zahlen der Opfer werden eher noch größer als kleiner.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Top Themen

Deutschland
 
Sonstiges

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken