Kamikaze-Drohnen aus dem Iran: Können tausende Billigflieger den Krieg verändern?
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Eine Drohne ist am Himmel über Kiew zu sehen. Sie schlug kurz darauf in ein Gebäude ein.
© Quelle: Efrem Lukatsky/AP/dpa
Seit Tagen werden iranische Kampfdrohnen des Typs Shahed 136 am Himmel über der ukrainischen Hauptstadt Kiew gesichtet. Als am Montag eine Drohne ein großes Loch in die Fassade eines Wohnhauses riss, starben nach Angaben der Behörden mindestens vier Menschen. Dutzende Kampfdrohnen, gesteuert von russischen Militärbasen, hat die Ukraine in den vergangenen Tagen abfangen können. Doch nicht immer gelingt dies. Das Ziel der Drohnen: Zivilisten terrorisieren.
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Wochenlang war Kiew von Angriffen verschont geblieben, auch weil das Luftverteidigungssystem russische Raketen abwehren konnte. Dass die iranischen Kampfdrohnen nun Lücken im Luftverteidigungssystem finden und ausnutzen können, liegt zum einen an ihrer geringen Größe. Mit einer Spannweite von zweieinhalb Metern sind die unbemannten Drohnen mit der sowjetischen Flugabwehr, über die auch die Ukraine verfügt, schwer zu treffen. Tieffliegende Drohnen sind auf dem Radar ohnehin nur schwer erkennbar. Gleichzeitig bringt die große Anzahl der Drohnen das System offenbar an seine Grenzen. Denn meist greifen die Russen in Wellen an und schicken einen ganzen Schwarm Drohnen über die Ukraine. Der deutsche Flugabwehrpanzer Gepard konnte zwar einige Drohnen abschießen. Doch ein flächendeckender Schutz ist unmöglich.
Dabei ist die Kampfdrohne Shahed 136 kein Hightechprodukt. „Diese Waffen sind nicht besonders hoch entwickelt“, sagt der Militärexperte Nigel Gould-Davies vom Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS). Sie fliege sehr langsam, erklärt er, nur etwa 185 km/h. Außerdem ist die Drohne sehr laut, ähnlich wie eine Motorsäge. „Diese Drohnen sind Waffen des Terrors“, sagt Gould-Davies.
Das Perfide an diesen Drohnen: Es handelt sich um lauernde Waffen, die einmal abgefeuert dank eines Propellerantriebs bis zu drei Stunden über einem Ziel lauern können, bis sie vom Drohnenpiloten aus bis zu 2500 Kilometern Entfernung das Signal zum Angriff bekommen. Fliegen sie über eine Millionenstadt wie Kiew, sind Zerstörung und Verletzte oder Tote sehr wahrscheinlich. Der Sprengsatz hat die zwei- bis dreifache Zerstörungskraft herkömmlicher Artilleriegeschosse.
„Die iranischen Drohnen sind billig und arbeiten mit einem GPS-System, das leicht gestört werden kann“, sagt Gould-Davies. Mit Störsendern, die den Kontakt zum Piloten unterbrechen, können die Drohnen vom Himmel geholt werden. Der an der Drohne angebrachte Sprengsatz explodiert dann in den meisten Fällen nicht. Mit 10.000 bis 20.000 US-Dollar kostet eine Shahed-136 nur ein Bruchteil von beispielsweise russischen Marschflugkörpern. Der sowjetische Typ Ch-101 liegt Schätzungen zufolge bei 13 Millionen US-Dollar pro Stück.
Dass Russland mit den Drohnen nur zivile und keine militärischen Ziele angreift, ist für IISS-Experte Gould-Davies an klarer Hinweis darauf, dass Russland den Krieg nicht mehr gewinnen kann – sollte nicht etwas sehr, sehr Überraschendes passieren. Daher terrorisiere Russland nun die Zivilisten. „Durch diese Angriffe hofft Russland, der Zivilbevölkerung so viel Leid zufügen zu können, dass die Ukraine gezwungen ist, einem Kompromiss zuzustimmen“, sagt er dem RND. „Aber sie werden den Verlauf des Krieges in keiner Weise verändern.“
Iran bildet Russland offenbar im Umgang mit Drohnen aus
Der Iran hat einem Bericht zufolge Ausbilder auf die von Russland annektierte Schwarzmeerhalbinsel Krim geschickt.
© Quelle: dpa
Dass Russland von weniger entwickelten Ländern mit Waffen beliefert wird, ist laut dem Experten sehr außergewöhnlich. „Es ist ein Zeichen für Russlands Verzweiflung, dass es auf Waffen aus dem Iran und Nordkorea angewiesen ist.“ Während des Kalten Krieges lieferte die Sowjetunion Waffen an Kriegsparteien in weniger entwickelte Länder wie Afrika, Südostasien oder Mittelamerika. Jetzt stehe das Muster aus dem Kalten Krieg auf dem Kopf. „Dass Russland sich auf iranische Drohnen verlassen muss, zeigt, wie schlecht Russland mittlerweile aufgestellt ist.“
Die USA und die EU werfen dem Iran vor, dazu die Drohnen zu liefern. Russland bestreitet jedoch, dass die Drohnen aus dem Iran stammen. Sie seien in Russland hergestellt worden, sagte der Vizechef der russischen UN-Vertretung, Dmitri Poljanski, vor dem UN-Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York. Geheimdienste hatten bereits vor Monaten gewarnt, dass Russland im Iran Drohnen für den Vernichtungskrieg einkauft. Doch immer wieder zeigen Flugdaten, wie russische Transportflugzeuge Ladung aus dem Iran nach Russland bringen. Wie die New York Times berichtete, schickt das diktatorisch regierte Land auch eigenes Militär auf die Krim, um russische Soldaten an den Drohnen auszubilden.
Die EU hatte nach Russlands systematischen Angriffen mit Drohnen neue Sanktionen gegen den Iran auf den Weg gebracht. Sie sollen Personen und Unternehmen treffen, die für den Bau und die Lieferung iranischer Drohnen an Russland verantwortlich sind. Der ukrainischen UN-Botschafters hat UN-Experten eingeladen, die abgeschossenen und vom Iran gelieferten Drohnen zu inspizieren. Russland UN-Vizevertreter Poljanski drohte mit dem Abbruch der Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, sollte die UN eine Untersuchung einleiten.