Kämpfer auf Karussells und das Fehlen der Frauen

Neue Welt ohne Frauen: Taliban­kämpfer patrouillieren im Viertel Wazir Akbar Khan.

Neue Welt ohne Frauen: Taliban­kämpfer patrouillieren im Viertel Wazir Akbar Khan.

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

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die Straßen von Kabul sind wie leer gefegt. Nicht etwa, weil keine Männer in Autos, auf Motorrädern oder zu Fuß unterwegs wären. Es fehlen die Frauen. Mit dem Beginn der Herrschaft der Taliban sind sie verschwunden. Ärztinnen, Richterinnen, Verkäuferinnen, Mütter, Passantinnen, Schülerinnen – sie alle halten sich versteckt hinter den Mauern ihrer Häuser. Sie fürchten, ihre Freiheit zu verlieren, ihre Selbst­bestimmung droht unter einer Burka zu verschwinden.

Eindrucksvoll beschrieb das plötzliche Fehlen der Frauen kürzlich unter anderem CNN-Chef­korrespondentin Clarissa Ward, bis auf das Gesicht bedeckt mit einem schwarzen Tschador: „Die Menschen, die gerade nicht auf der Straße zu sehen sind, erzählen die eigentliche Geschichte. Es sind viele, die sich verstecken, sie sind starr vor Angst.“

Abschied von der Gegenwart: Ein Mitarbeiter eines Schönheits­salons übermalt am 15. August 2021 in Kabul ein großes Foto einer Frau an der Wand, nachdem die Taliban in die afghanische Hauptstadt eingedrungen sind.

Abschied von der Gegenwart: Ein Mitarbeiter eines Schönheits­salons übermalt am 15. August 2021 in Kabul ein großes Foto einer Frau an der Wand, nachdem die Taliban in die afghanische Hauptstadt eingedrungen sind.

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Tatsächlich bereitet die Lage der Frauen Afghanistans der internationalen Gemeinschaft besonders große Sorgen. In der Schreckens­herrschaft der Taliban zwischen 1996 und 2001 war es ihnen nicht gestattet, das Haus ohne einen männlichen Begleiter, meist einen engen Verwandten, zu verlassen. Frauen durften keine Schulen besuchen, nicht arbeiten, keinen Sport treiben, nicht einmal den Blick in Richtung eines Mannes erheben. Es gibt Berichte von Frauen, denen die Taliban die Finger abhackten, weil sie Nagellack trugen.

Das Leben, das Frauen zumindest in den städtischen Ballungsräumen in den vergangenen 20 Jahren führten, war dagegen ein vergleichsweise fortschrittliches: Afghaninnen führten zumindest in den urbanen Zentren ein relativ modernes Leben. Zarifa Ghafari ist ein Beispiel dafür: Mit 27 Jahren wurde sie zu Afghanistans jüngster Bürgermeisterin gewählt. Nun sagt sie, sie warte auf ihren Tod durch die Taliban.

Überzeugung? Oder Inszenierung? Sabiullah Mudschahid (Mitte), Sprecher der Taliban, spricht auf seiner ersten Pressekonferenz in Kabul.

Überzeugung? Oder Inszenierung? Sabiullah Mudschahid (Mitte), Sprecher der Taliban, spricht auf seiner ersten Pressekonferenz in Kabul.

Das Bild, das die Taliban selbst von ihrer neuen Herrschaft zeichnen, dagegen ist ein gemäßigtes. RND-Korrespondentin Agnes Tandler beschreibt in ihrer Analyse der Terrorgruppe etwa den Augenblick, an dem der Taliban­mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar vor wenigen Tagen nach fast 20-jähriger Haft nach Kandahar zurückkehrte, umjubelt von seinen Anhängern. Mullah Abdul Ghani Baradar wird als neuer Staatschef des Landes gehandelt. In Kabul legten seine Krieger dieser Tage immer mal wieder die Waffen ab und widmeten sich bizarr anmutenden, kindlichen Vergnügen: Man sah sie auf Karussells und Autoscootern, auf Kinderschaukeln und vor Eiscremeständen.

Die Taliban haben große Pläne für das neue Afghanistan unter ihrer Führung, berichtet Tandler. Sie zeigten ein in ihrer Geschichte nie da gewesenes verzeihliches Gesicht. Sie wollten keine Stammeskrieger mehr sein, sondern Staatsmänner, die keine blutige Rache üben wollten. Frauen dürften studieren und arbeiten, alles selbstverständlich im Rahmen der Gesetze der Scharia, hieß es bei einer ersten Pressekonferenz des Regimes. Mit der internationalen Staatengemeinschaft wollen die Taliban künftig verhandeln, im besten Fall auf Augenhöhe.

„Doch was davon ist Überzeugung? Was Inszenierung?“, fragt Tandler. Niemand mag den Aussagen der Taliban wirklich Glauben schenken.

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John Bolton warnt: Taliban sind „ein Risiko für die ganze Welt“

Eine sehr klare Einschätzung gibt der ehemalige Nationale Sicherheits­berater des Weißen Hauses, John Bolton, im Interview mit RND-Chefautor Matthias Koch: „Die Taliban reden jetzt viel. Aber am Ende zählen Fakten, und da bin ich nun mal nicht optimistisch. Was genau machen sie mit den Frauen? Und wie gehen sie mit ihren politischen Gegnern um?“ Bolton warnt: „Wir dürfen da nicht naiv sein.“ Die Taliban seien ein „Risiko für die ganze Welt“. Als US-Präsident Donald Trump mit der Terrorgruppe verhandelte und sogar erwog, sie nach Camp David einzuladen, reichte er seinen Rücktritt ein.

„Unsere größte Befürchtung ist, dass sie ein anderes Gesicht zeigen, sobald sie alle Machtpositionen vollständig übernommen haben und sich die internationale Gemeinschaft zurückgezogen hat“, sagt auch Beobachterin Birgitta Hahn, die bei Terre des femmes für die internationale Zusammenarbeit zuständig ist.

Wer trägt die Verantwortung?

Das politische Versagen gegenüber der Terrorgruppe und die mangelnde Einschätzung über ihren Siegeszug im Vorfeld beschäftigte gestern auch den Deutschen Bundestag. Nach der Machtübernahme durch die Taliban sind die Verteidigungs- und Außenpolitiker zu Sondersitzungen nach Berlin gereist, berichtet RND-Chef­korrespondentin Daniela Vates. Dort wurde das Bundeswehr­mandat für Evakuierung beschlossen. Schuldzuweisungen gab es in der Sitzung viele – notwendige Rücktritte als Konsequenz schloss zumindest Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, nicht aus. Noch, so lautete das Fazit, sei es zu früh, darüber zu sprechen.

„Jetzt stehe im Fokus, so viele Menschen wie möglich doch noch aus Afghanistan herauszuholen. Sieben am Montagabend, 260 am Dienstag, 180 bis zum Mittwochnachmittag ist die vorläufige Bilanz, darunter Deutsche, Afghanen und Angehörige anderer Staaten.“

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Zitat des Tages

Ich denke, wir wären gute Eltern.

Jens Spahn,

Bundes­gesundheits­minister (CDU), wünscht sich Kinder.

 

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  • Wer Steuern nachzahlen muss, dem drohten bislang saftige Zinsen. 6 Prozent haben Finanzämter pro Jahr berechnet. Das Bundes­verfassungs­gericht hat dem nun einen Riegel vorgeschoben. Wer von dem Urteil profitiert und wer nicht, lesen Sie hier.
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Aus unserem Netzwerk: Kater auf dem Stimmzettel

Die Wähler im Wahlkreis 62 können bei der kommenden Bundestagswahl Bobby wählen. Bobby ist ein Kater. Hintergrund ist ein kurioses Missverständnis. Wie Kater Bobby es auf den Wahlzettel der Bundestagswahl schaffte, berichtet die „Märkische Allgemeine“.

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Termine des Tages

11 Uhr: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht mit Bürgerinnen und Bürgern über ihre Lage in der Pandemie.

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13 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht das Biontech-Werk in Marburg.

 

Wer heute wichtig wird

Nach mehr als fünf Jahren endete am 11. Juli 2018 vor dem Oberlandes­gericht München der Prozess um die zehn Morde und mehrere Anschläge der rechtsradikalen Terrorzelle National­sozialistischer Untergrund (NSU). Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe erhielt lebenslange Haft. Ihre Verteidigung legte Revision ein. Heute nun will sich der Bundes­gerichtshof dazu äußern.
Die obersten Strafrichter haben die Mitteilung „weiterer Entscheidungen“ angekündigt und wollen über den Fortgang des Verfahrens informieren. Anhängig sind auch die Revisionen dreier Mitangeklagter. In einem Fall hat auch die Bundes­anwaltschaft Revision eingelegt.

Nach mehr als fünf Jahren endete am 11. Juli 2018 vor dem Oberlandes­gericht München der Prozess um die zehn Morde und mehrere Anschläge der rechtsradikalen Terrorzelle National­sozialistischer Untergrund (NSU). Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe erhielt lebenslange Haft. Ihre Verteidigung legte Revision ein. Heute nun will sich der Bundes­gerichtshof dazu äußern. Die obersten Strafrichter haben die Mitteilung „weiterer Entscheidungen“ angekündigt und wollen über den Fortgang des Verfahrens informieren. Anhängig sind auch die Revisionen dreier Mitangeklagter. In einem Fall hat auch die Bundes­anwaltschaft Revision eingelegt.

 

„Der Tag“ als Podcast

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Die News zum Hören

Wir wünschen Ihnen einen guten Start in den Tag,

Ihre Dany Schrader

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