Ehemaliger US-Sicherheitsberater Bolton: „In Afghanistan drohen neue nukleare Risiken“
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Im Abzug aus Afghanistan sieht er einen weltpolitischen Stockfehler, begangen von Donald Trump und Joe Biden, die an dieser Stelle kurioserweise einig seien „wie Tweedledee und Tweedledum“: John Bolton, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus.
© Quelle: Imago
John Bolton (72) diente schon den US-Präsidenten Ronald Reagan und George Bush senior. George W. Bush machte ihn zum Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen. Donald Trump holte ihn im Frühjahr 2018 als Nationalen Sicherheitsberater ins Weiße Haus. Diesen Job warf Bolton im September 2019 hin, unter anderem wegen Streits ums Thema Afghanistan.
Botschafter Bolton, Sie haben sich, solange Sie noch im Weißen Haus waren, gegen den schon damals von Trump geplanten Abzug aus Afghanistan gestemmt. Warum? Sind 20 Jahre Stationierung von US-Soldaten am Hindukusch nicht genug?
Mal ehrlich: Was sind schon 20 Jahre? In Deutschland waren wir 45 Jahre stationiert, bis die Mauer fiel. Auch danach sind wir, wie Sie wissen, geblieben. Und das ist genau richtig so. Denn Amerikas Präsenz in Mitteleuropa liegt im beiderseitigen strategischen Interesse. Jede Abzugsdebatte schadet da nur. Für Südkorea und Japan gilt das Gleiche. In diesem Sinne hätte man auch über Zentralasien reden sollen: ganz nüchtern, interessenorientiert.
War Trump dazu nicht bereit?
Nein. Er beleuchtete das Thema Afghanistan – ebenso wie alle anderen Themen – ausschließlich unter dem Gesichtspunkt, in welcher Weise es sich auf seine mögliche Wiederwahl auswirken könne. Wie verhängnisvoll sich diese Betrachtungsweise in den Jahren 2018 und 2019 auf die Außenpolitik der USA auswirkte, habe ich in meinem Buch „Der Raum, in dem alles geschah“ beschrieben. Der Streit um Afghanistan war einer der Gründe für meinen Rücktritt.
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„Ich war immer dafür, den Leuten reinen Wein einzuschenken“: Sicherheitsberater John Bolton (2. v. r.) umgeben von den Staats- und Regierungschefs der G7 beim Gipfel im Jahr 2018 in La Malbaie, Kanada.
© Quelle: Jesco Denzel/Bundesregierung/dpa
Hatte Trump nicht doch das richtige Gespür? Umfragen aus diesem Sommer haben gezeigt, dass eine Mehrheit der Amerikaner des Afghanistan-Einsatzes wirklich müde war.
Heute ist eine Mehrheit entsetzt über das Chaos in Kabul. Es kommt sehr darauf an, wie ein US-Präsident seine Politik begründet. Die Amerikaner können, das Beispiel Deutschland zeigt es, in Wirklichkeit auch sehr geduldig und sehr verständnisvoll sein, wenn ihnen klar wird, dass es um langfristige strategische Interessen geht.
„Wir dürfen jetzt bitte nicht naiv sein“
In Afghanistan war oft feierlich von „nation building“ die Rede, man bohrte Brunnen, baute Mädchenschulen. Hat der Westen sich selbst und anderen die falsche Geschichte erzählt?
Ich war immer dafür, den Leuten reinen Wein einzuschenken. Wir sind nicht nach Afghanistan gegangen, um dort ein zentralasiatisches Musterland aufzubauen, so sehr ich den Afghanen jeden zivilen Fortschritt wünsche. Es ging in Afghanistan um Sicherheitsinteressen der USA und des westlichen Bündnisses, Punkt. Nach dem Anschlag aufs World Trade Center haben wir das Terrornetzwerk Al-Kaida zerstört, dem das Talibanregime Schutz und Schirm geboten hatte. Und danach haben wir es auch hinbekommen, dass die Taliban nicht zurückkehrten. Jetzt aber, nach dem von Trump geplanten und von Biden durchgezogenen Rückzug, einem gravierenden weltpolitischen Stockfehler, bei dem die Kontrahenten kurioserweise einig sind wie Tweedledee und Tweedledum, passiert genau das: Wir fallen zurück in einen Zustand wie vor dem 11. September 2001. Darin liegt sicherheitspolitisch ein Risiko für die gesamte Welt.
Viele sagen, die Taliban seien doch inzwischen gemäßigt.
Wir dürfen jetzt bitte nicht naiv sein, sondern müssen genau hinsehen. Was genau machen sie mit den Frauen? Wie gehen sie mit ihren politischen Gegnern um? Ich bin da ehrlich gesagt nicht optimistisch. Die haben sich doch nicht 20 Jahre lang mühsam versteckt, um jetzt zu sagen: Okay, nun ist ein guter Moment gekommen, um unsere Grundsätze aufzugeben. Statt neue Illusionen aufzubauen, sollten wir den neu entstehenden Bedrohungen ins Auge sehen.
Was haben Sie da konkret vor Augen?
In Afghanistan drohen neue nukleare Risiken, nicht morgen oder in 30 Tagen, aber mittelfristig. Viele übersehen einen wichtigen Punkt. In Afghanistan ging es nie nur um Afghanistan. Unsere Präsenz dort hat immer auch dazu gedient, Informationen aus zwei problematischen Nachbarländern mit Nuklearprogrammen zu sammeln, Pakistan und Iran. Unsere Fähigkeit, die Region zu durchleuchten, wird jetzt durch den Abzug reduziert. Dass auch die Taliban an Atomwaffen interessiert sind, wissen wir bereits seit 2001.
„Biden schubst die Afghanen unter den Bus“
Ist es nicht aber für das arme Afghanistan noch ein weiter Weg bis zur Atommacht?
Gegenfrage: Was passiert im Fall eines Umsturzes in Pakistan? In einem Szenario mit Kontrollverlust könnten Fundamentalisten, die bereits den Einsturz des World Trade Centers bejubelt haben, in den Besitz der Atombombe gelangen. Man braucht keinen B‑52‑Bomber, um sie dann etwa in die USA zu bringen. Man kann damit über die mexikanische Grenze fahren, man kann damit auch in den Hafen von New York segeln. Ich bin für „forward defense“, für wachsame Präsenz in problematischen Regionen. Leider haben mittlerweile schon drei US-Präsidenten hintereinander wenig Verständnis für diesen Ansatz gezeigt: Biden, Trump und Obama. Aus dieser fortgesetzten Politik der Schwäche zieht jetzt die Welt ihre Schlüsse. Für viele Menschen ist das bedrückend, etwa in Taiwan, der Ukraine oder Belarus.
In China höhnte eine Staatszeitung, die zerstobene reguläre Regierung in Kabul zeige, wie es jenen ergehe, die auf die USA vertrauten.
Damit beschreiben Sie exakt das Glaubwürdigkeitsproblem, das Biden soeben für die USA geschaffen hat – und nebenbei gesagt auch für sich persönlich. Die Wirren in Kabul haben sein Ansehen als außenpolitisch besonders engagierter und versierter Präsident beschädigt. Noch schlimmer ist, dass Biden nun eigenhändig seine gute Idee sabotiert, die Demokratien der Erde enger zusammenzuführen. Eben noch sprach er davon, Amerika sei zurück, nun gehe es um ein Bündnis aller Menschen, denen Freiheit wichtig ist. Und dann schubst er die Afghanen unter den Bus. Beim besten Willen: Das passt nicht zusammen.
Botschafter Bolton, herzlichen Dank für das Gespräch.