Joe Biden zwischen Corona und Unruhen – der Schattenpräsident

Joe Biden, designierter Präsidentschaftskandidat der Demokraten, bei seiner Rede.

Joe Biden, designierter Präsidentschaftskandidat der Demokraten, bei seiner Rede.

Washington. Mit ruhiger Hand nimmt der 77-Jährige die weiße Schutzmaske vor seinem Gesicht ab. Vor einem Meer an Sternenbannern blickt er entschlossen in die Kamera. “Ich kann nicht atmen”, sagt er, wiederholt den Satz und erinnert dann daran, dass dies die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd waren. “Sie schallen wie ein Echo überall in der Nation zurück.”

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Dann schlägt der Redner im Rathaus von Philadelphia eine assoziative Brücke zwischen dem Covid-19-Erreger, der den Opfern die Luft nimmt, und der Pandemie des Hasses, die das Leben eines schwarzen Mannes unter dem Knie eines weißen Polizisten vorzeitig beendete. “Zu oft wird Ihre Hautfarbe allein zu einem Lebensrisiko.”

Ob unter den mehr als 100.000 Covid-19-Toten, den über 40 Millionen Arbeitslosen wie auch den rund 1000 Opfern von Polizeigewalt seien Schwarze nicht zufällig überproportional betroffen. “Ich kann nicht atmen” sei das, “was Millionen Amerikaner nicht in ihren letzten Momenten des Lebens, sondern in ihrem Alltag erleben”. Es sei Zeit, darauf zu hören.

Kommentator: Trump ist nicht nur abwesend, sondern gießt Öl ins Feuer

Die Kommentatoren sind sich einig. So klingen die Worte eines Führers, der die Nation angesichts einer historisch beispiellosen Doppelkrise tröstet, aufbaut und führt. “Wir brauchen keinen Präsidentschaftswahlkampf, sondern einen Präsidenten”, bringt Chris Truax in einer Kolumne für das Massenblatt “USA Today” die Erwartung an Biden auf den Punkt. Donald Trump sei nicht nur abwesend, sondern gieße Öl ins Feuer. Er habe den letzten Funken an moralischer Autorität verloren, als er die friedlichen Demonstranten für ein Foto mit Bibel vor der St.-John’s-Kirche vertrieb. “Das Vakuum muss gefüllt werden.”

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Biden – Tötung von George Floyd ist Weckruf für die USA

“Das Land schreit nach Führung, einer Führung, die uns vereinen kann”, sagte der Ex-Vizepräsident am Dienstag in seiner ersten großen Rede seit Wochen.

Diese Erkenntnis dämmert auch im Beraterkreis des designierten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, der sich am Dienstag (Ortszeit) mit Siegen bei den Vorwahlen in Indiana, Rhode Island, Maryland, New Mexico, Montana, Pennsylvania, South Dakota und dem District of Columbia auf die 1911 Delegiertenstimmen zubewegt, die er für seine offizielle Nominierung braucht. Eine Formalie, da sein Konkurrent Bernie Sanders längst ausgeschieden ist und Biden unterstützt.

“Ein Führer muss Risiken eingehen”, sagt Senator Chris Coons aus Bidens Heimatstaat Delaware, der den Stellvertreter des ersten schwarzen Präsidenten im Weißen Haus einzigartig auf diesen Moment vorbereitet sieht. Coons wünscht sich deshalb, mehr von Biden in der Öffentlichkeit zu sehen. “Ich wäre nicht überrascht, wenn er nach Minneapolis ginge.”

Sicher ist, dass Biden auf Einladung der Familie kommenden Dienstag nach Houston reisen wird, um an der Beerdigung George Floyds teilzunehmen. Eine unübersehbare Geste, die einen Kontrast zu dem Amtsinhaber schafft, der damit droht, das Militär gegen Amerikaner einzusetzen, die friedlich grundlegende Veränderungen verlangen.

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Junge Aktivisten erwarten mehr von Biden

In den vergangenen Tagen tauchte der mit 77 Jahren der Covid-19-Risikogruppe angehörende Kandidat vorsichtig aus der Quarantäne auf. Er besuchte den Schauplatz nächtlicher Proteste in Wilmington, traf sich am Montagabend mit der Gemeinde der schwarzen Bethel A.M.E. Church und wandte sich am Dienstag aus Philadelphia an die Nation – demselben Ort übrigens, an dem Barack Obama seine historische Rede über das Verhältnis der Rassen hielt. Doch mit Reden allein ist es vor allem für die jungen Aktivisten nicht getan. Sie erwarten mehr von dem Mann, dessen Kandidatur die Afroamerikaner mit dem politischen Wunder am Superdienstag retteten.

Jetzt sei es an ihm, dem schwarzen Amerika in der Doppelkrise aus Pandemie und Polizeigewalt zu helfen. Seine Strategen erkennen, dass er sich in diesem Moment nicht als Präsident des “Übergangs” verkaufen kann, sondern als einer, der grundlegende Reformen anbietet. Nicht weniger als das erwarten junge Amerikaner, die Biden bisher nicht genügend angesprochen hat.

Angela Lang, die eine Graswurzelgruppe schwarzer Aktivisten in Milwaukee anführt, meint, die bisher vorgelegten Ideen seien “ein Beginn”, aber bei Weitem nicht genug. “Er muss konkreter werden.” Biden nimmt sich das zu Herzen. “Genug” fasst nun auf seiner Webseite die Stimmung auf der Straße zusammen. Und auch in seiner Rede von Philadelphia wird “Onkel Joe” direkter. “Ein Präsident der Vereinigten Staaten muss Teil der Lösung sein, nicht das Problem”, schreibt er Trump ins Stammbuch. “Heute ist unser Präsident ein Teil des Problems.”

RND

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