Jetzt kann es losgehen – wenn der Impfstoff kommt

Jens Spahn bei einer Pressekonferenz zur Corona-Impfverordnung, in der eine entsprechende Impfreihenfolge festgelegt wird, im Bundesgesundheitsministerium.

Jens Spahn bei einer Pressekonferenz zur Corona-Impfverordnung, in der eine entsprechende Impfreihenfolge festgelegt wird, im Bundesgesundheitsministerium.

Berlin. Die Pandemie ist eine Zeit eindringlicher Appelle, Bitten und Mahnungen. Das ist auch am Freitag nicht anders, als der Gesundheitsminister eine Verordnung vorstellt, die das Leben in Deutschland in den kommenden Monaten maßgeblich bestimmen wird.

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„Die Schwächsten zu schützen, das ist das erste Ziel unserer Impfkampagne“, sagt Jens Spahn am Vormittag in die Kameras. Zuerst würden die Bewohner von Pflege- und Altenheimen sowie die über 80-Jährigen geimpft, erst danach könne Zug um Zug der Rest der Bevölkerung immunisiert werden. „Das heißt für uns alle, der Winter wird noch lang. Ich bitte alle anderen Bürgerinnen und Bürger um Geduld. Ich bitte Sie darum abzuwarten, bis auch Sie an der Reihe sind.“

Fünf statt drei

Wenig später unterzeichnete der Minister die „Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus Sars-CoV-2″, die damit bundesweit Gesetzeskraft hat. Sie regelt detailliert, in welcher Reihenfolge die Menschen in Deutschland geimpft werden sollen. Diese Priorisierung ist notwendig, da in den kommenden Monaten nicht ausreichend Impfdosen zur Verfügung stehen werden. Bei der Rangfolge hält sich Spahn im Wesentlichen an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) – allerdings hat er aus den fünf Kategorien nun drei gemacht. Zudem sind die Prioritäten an manchen Stellen leicht verschoben oder detaillierter ausgeführt. Das betrifft vor allem:

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  • Risikopatienten: Die Kategorie „erhöhte Priorität“ bei der Schutzimpfung enthält jetzt Details zu den Faktoren, die einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion befürchten lassen: Massives Übergewicht (Body-Mass-Index über 30), chronische oder Lebererkrankung, Immundefizienz oder HIV-Infektion, Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz, Arrhythmie, Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheit oder Bluthochdruck, Störungen der Blutversorgung des Gehirns oder Schlaganfall, Krebserkrankungen, Lungenerkrankungen oder Bronchialasthma, Autoimmunerkrankungen oder rheumatische Erkrankungen.
  • Polizisten: In die Kategorie „hohe Priorität“ hat Spahn nun Polizei- und Ordnungskräfte eingruppiert, die „insbesondere bei Demonstrationen einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind“. Damit dürften wohl Querdenker-Kundgebungen gemeint sein, bei denen üblicherweise das Maskentragen verpönt ist.

Spahn begründete die Reduzierung der Kategorien damit, dass es durch die Zusammenfassung größere Flexibilität bei der Impfung geben könne. So heißt es auch in der Verordnung, innerhalb einer Kategorie könnten „auf Grundlage der jeweils vorliegenden infektiologischen Erkenntnisse, der jeweils aktuellen Empfehlung der Stiko und der epidemiologischen Situation vor Ort bestimmte Anspruchsberechtigte vorrangig berücksichtigt werden”. Heißt: Auch innerhalb der Kategorien kann je nach Entwicklung priorisiert werden.

Gesundheitsminister Jens Spahn legt in seiner Impfverordnung eine Reihenfolge fest, wann welche Gruppe gegen das Coronavirus geimpft wird. Die Ältesten zu erst, die gesunden Jüngsten zum Schluss.

Gesundheitsminister Jens Spahn legt in seiner Impfverordnung eine Reihenfolge fest, wann welche Gruppe gegen das Coronavirus geimpft wird. Die Ältesten zuerst, die gesunden Jüngsten zum Schluss.

Bis zu 13 Milliarden Impfdosen

Der Minister kündigte ohnehin an, dass die Impfverordnung in den kommenden Monaten ständig überarbeitet werden soll. Denn die aktuelle Fassung basiert auf der Annahme, dass der Biontech/Pfizer-Impfstoff wie geplant am Montag in der EU zugelassen wird und dann ab 27. Dezember verimpft werden kann. Außerdem ist eingerechnet, dass die Zulassung des Impfstoffes des US-Herstellers Moderna Anfang Januar folgt. Laut Spahn stünden damit im ersten Quartal zwischen elf und 13 Millionen Impfdosen zur Verfügung – damit könnten bei zweimaliger Impfung bis zu 6,5 Millionen Menschen geimpft werden. Das reicht allerdings nicht einmal für die dringendste Kategorie, zu der etwa neun Millionen Menschen gehören.

Möglicherweise hätten mehr Dosen zur Verfügung stehen können. Tatsache ist, dass sich die EU bei Biontech nur 200 Millionen Dosen gesichert hat, mit einer Option für 100 Millionen weitere. Bei Moderna sind es 80 Millionen Dosen plus weitere 80 Millionen. Zum Vergleich: Die USA mit einer um ein Drittel geringeren Einwohnerzahl als die EU haben sich 600 Millionen Dosen der Biontech-Vakzine und 500 Millionen bei Moderna gesichert.

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Vorbehalte gegen mRNA

Nach Recherchen des Magazins „Spiegel“ hatten sowohl Biontech als auch Moderna der EU mehr Dosen angeboten, diese hätte aber abgelehnt. Nach RND-Informationen gab es in einer Reihe von EU-Staaten, etwa in Polen und Frankreich, erhebliche Vorbehalte gegenüber dem neu entwickelten mRNA-Impfstoff – zumal dann, wenn er aus Deutschland kommt.

Erst auf Druck von Spahn seien von der EU überhaupt nennenswerte Mengen gesichert worden, heißt es in Regierungskreisen. Allerdings habe die EU-Kommission dann zu lange verhandelt, denn zwischenzeitlich seien die positiven Studienergebnisse von Biontech bekannt geworden, weshalb ein Run auf deren Vakzin einsetzte. Spahn setzt nun aber auch auf eine Zulassung der Impfstoffe von Astra Zeneca und Curevac im kommenden Jahr, womit sich die Lage weiter entspannen könnte.

Nicht in der spahnschen Impfverordnung, sondern in den Stiko-Empfehlungen finden sich eine Reihe von medizinischen Vorgaben, die jenseits der Priorisierung über das Pro oder Contra einer Impfung entscheiden. Das sind im Folgenden:

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  • Da bisher noch keine Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit der Impfung in Schwangerschaft und Stillzeit vorliegen, rät die Stiko vorerst von einer Impfung in dieser Zeit ab.
  • Personen, die bereits eine labordiagnostisch gesicherte Infektion mit Sars-CoV-2 durchgemacht haben, sollen zunächst nicht geimpft werden, weil bei ihnen eine Immunisierung unterstellt wird.
  • Laut Stiko gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Impfung nach bereits unbemerkt durchgemachter Sars-CoV-2-Infektion eine Gefährdung darstellt. Entsprechend besteht keine Notwendigkeit, vor Verabreichung einer Covid-19-Impfung einen Labortest zu machen.
  • Zu anderen planbaren Impfungen soll ein Mindestabstand von 14 Tagen vor Beginn und nach Ende der Impfserie eingehalten werden.
  • Im Allgemeinen wird von der Stiko eine Nachbeobachtungszeit nach der Covid-19-Impfung von mindestens fünf Minuten empfohlen. Längere Nachbeobachtungszeiten von 15 bis 30 Minuten sollten vorsichtshalber bei bestimmten Risikopersonen eingehalten werden, etwa bei einer Gerinnungshemmung.

Es folgt eine Empfehlung zu einer Problematik, die in den kommenden Monaten noch zu erheblichen Debatten und womöglich Konflikten führen dürfte: Wie lange müssen die Corona-Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden? Wie wird ein Zusammenleben von Geimpften und Ungeimpften organisiert? Für die Experten der Stiko ist klar: Wer eine Impfung bekommt, kann möglicherweise nach wie vor ansteckend sein. „Die bisher vorliegenden Daten erlauben noch nicht, die Wirksamkeit der Covid-19-mRNA-Impfstoffe hinsichtlich einer Verhinderung oder Reduktion der Transmission abschließend zu bewerten.“

„Don't call us, we call you“ – Spahn bittet bei Impfstoffverteilung um Geduld
 Jens Spahn bei einer Pressekonferenz zur Corona-Impfverordnung, in der eine entsprechende Impfreihenfolge festgelegt wird., im Bundesgesundheitsministerium. Berlin, 18.12.2020 *** Jens Spahn at a press conference on the Corona vaccination ordinance, which establishes a corresponding vaccination sequence , at the Federal Ministry of Health Berlin, 18 12 2020 Foto:xC.xHardtx/xFuturexImage

Der Bundesgesundheitsminister rief dazu auf, geduldig zu sein und auch nach Impfbeginn die Hygienevorschriften zu beachten.

Bevorzugung von Geimpften?

Bis zum Vorliegen neuer Daten müssten daher die allgemeinen Abstands- und Hygieneregeln weiter eingehalten werden, fordert die Stiko. Das stellte auch Gesundheitsminister Spahn am Freitag nochmals klar, wobei er das wiederum mit einem Appell versieht. Die bei der Impfung priorisierten Menschen seien auch privilegiert, „obwohl vielleicht andere auch wollen würden“, so der Minister. „Es ist eine Frage von Solidarität, einerseits die besonders Gefährdeten zuerst zu impfen. Andersherum dürfen wir dann aber auch erwarten, dass die zuerst Geimpften nicht als Erstes danach fragen, welche Regeln für sie nicht mehr gelten.“

Der Gesundheitsminister versicherte, dass der „Staat in seinen Grundfunktionen“ keinen Unterschied zwischen Geimpften und nicht Geimpften machen werde. Das habe auch der Ethikrat ausdrücklich empfohlen. Spahn schränkt aber ein, dass die Regelungen bei privaten Unternehmen anders sein könnten: „Im Privatrecht geht vieles.“ Vorstellbar ist etwa, dass private Fluglinien, Busunternehmen oder Veranstalter Ungeimpfte ausschließen. Gesetzliche Regelungen dazu gibt es nicht, für eine positive PR dürfte so ein Ausschluss allerdings nicht sorgen.

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Die Debatte wird wohl dann an Fahrt gewinnen, wenn im Laufe des Jahres alle versorgt wurden, die eine Impfung wollen. Das könnte nach Schätzungen im Spätsommer oder Herbst der Fall sein. Übrig wären dann nur noch die Impfgegner.

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sieht keinen Grund, die Schutzvorschriften dann noch bestehen zu lassen. „Wer sich bei breiter Verfügbarkeit eines Impfstoffes nicht impfen lassen will, muss dann auch mit dem Risiko leben, an Covid-19 zu erkranken oder gar daran zu sterben“, sagte er dem RND. „Es kann nicht sein, dass der Rest der Gesellschaft dauerhaft auf Impfverweigerer Rücksicht nehmen muss.“

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