Vor sechs Jahren siegte die ukrainische Sängerin Jamala beim Eurovision Song Contest – mit einem Lied über das grausame Schicksal ihrer Urgroßmutter. Jetzt musste sie selbst aus Kiew fliehen. Vier Tage dauerte ihre Odyssee mit zwei Kindern im Auto nach Istanbul. Es ist eine europäische Tragödie.
Der erste Tag, der ihr Leben verändert, ist ein Triumph. Am 15. Mai 2016 kurz nach Mitternacht steht die ukrainische Sängerin Jamala auf der Bühne der Globen Arena in Stockholm und singt schmerzvoll, schluchzend und verzweifelt das ganze Leid der Generation ihrer Urgroßmutter heraus: von der Krim vertrieben, von Josef Stalins Geheimpolizei verfolgt und getötet.
„Die Menschlichkeit weint!“, singt sie. Jamalas archaischer Klagelaut erreicht die Herzen der Europäer. Ihr Song „1944″ siegt beim 61. Eurovision Song Contest. 200 Millionen Fernsehzuschauer lesen ihr dunkles Lied als Parabel auf die Annexion der Krim 2014 durch Wladimir Putins Russland. Plötzlich geht es nicht mehr um Glitzer und Party beim größten Popspektakel der Welt, sondern um die großen Fragen von Krieg und Frieden, Liebe und Tod.