Olaf Scholz und das Ende der Selbstzweifel der SPD
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Der designierte Kanzler Olaf Scholz spricht beim SPD-Parteitag im Willy-Brandt-Haus.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Manche Dinge dauern ganz schön lange. Olaf Scholz steht auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus beim (Corona ist Schuld) hybriden Sonderparteitag zur Billigung des Koalitionsvertrags und sagt das mit mahnendem Unterton. Er beschreibt gerade langjährige Vorhaben wie den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, aber es geht ihm in seiner Rede um Grundsätzlicheres. Es hat nämlich für die Sozialdemokraten ganz schön lange gedauert, bis sie wieder den Kanzler stellen können.
16 Jahre hielt Angela Merkel die Union an der Regierung. Scholz, ein Mann mit ohnehin ausgeprägtem Selbstbewusstsein, hat sich als Vizekanzler aus der Nähe das Machtbewusstsein der Christdemokratin angeschaut. An diesem Samstagvormittag erklärt er, dass seine Regierung länger als nur eine Wahlperiode dranbleiben müsse. Die drei Parteien sollten freundschaftlich zusammenarbeiten und bestrebt sein, wiedergewählt zu werden. Da haben die Delegierten noch nicht einmal den 177-Seiten Koalitionsvertrag dieser ersten Ampelkoalition in Deutschland gebilligt.
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Das Abstimmungsergebnis von 98,8 Prozent zeigt etwas später aber, dass die SPD – zumindest jetzt – keinen Zweifel an ihrem Regierungswillen aufkommen lassen will. Vereinzelt wird in der Aussprache moniert, dass nicht mehr SPD-Politik im Koalitionsvertrag zu finden sei oder gewarnt, dass die SPD nicht mehr den Finanzminister stelle und ihr somit ein wichtiges Machtinstrument fehle. Aber die Selbstzerfleischung nach den von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder verfügten harten Einschnitten ins Sozialsystem und die desaströsen Folgen für die Partei sollen überwunden sein. Erst einmal. Am Sonntag stimmt die FDP ab, am Montag entscheiden die Grünen. Die Zustimmung gilt als sicher.
SPD-Parteitag stimmt für Ampel-Koalition im Bund
Als erste der Ampel-Parteien stimmt die SPD dem Koalitionsvertrag zu. Zweifler melden sich kaum zu Wort.
© Quelle: dpa
Scholz verteidigt Corona-Maßnahmen
Scholz verteidigt und erklärt die verschärften Corona-Maßnahmen. Wichtiger ist ihm aber der ganz große Bogen. Er spricht – gewohnt etwas umständlich – von Aufbruchstimmung im Land („Ein Aufbruch kann für Deutschland stattfinden“) und geht dafür an den Anfang der SPD-Kanzler-Geschichte. Zu jenem legendären Mann, neben dessen Statue er nun ohne Manuskript, frei und auch fröhlich spricht.
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Er sei ein Aufbruch wie 1969, als mit Willy Brandt erstmals ein Sozialdemokrat Bundeskanzler wurde, sagt Scholz. Er erwähnt auch 1998, als Rot-Grün mit Schröder die Regierung von Helmut Kohl ablöste. Und nun ist er, Olaf Scholz, 63 Jahre alt, der dritte SPD-Mann, der den Machtwechsel schafft, und wird in einer Reihe auch mit Helmut Schmidt der vierte sozialdemokratische Bundeskanzler sein.
An diesem Aufbruch müsse die neue Regierung dranbleiben und zusehen, „dass das weitergeht“, betont Scholz. Er lobt die Wählerinnen und Wähler und damit sich selbst: „Das ist schon eine Koalition, die sich die Bürger ganz klug gewählt haben.“
Scholz verspricht Reformwillen
Scholz verspricht Beweglichkeit und Reformwillen aller drei Regierungspartner: „Die Parteien, die da jetzt zusammenkommen, werden sich auch ändern und das ist gut so.“ Denn für einen neuen gesellschaftlichen Konsens sei Fortschritt nötig. Schließlich wolle seine Regierung etwas wagen. Womit er bei der Überschrift des Koalitionsvertrags ist: „Mehr Fortschritt wagen“. Und bei Willy Brandt. Er hatte in seiner ersten Regierungserklärung vor 52 Jahren versprochen: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“.
Klingbeil, designierter Nachfolger von Walter-Borjans, sagt: „Ein Wahlsieg reicht mir nicht. Da müssen und werden noch viele weitere hinterherkommen.“ 2022 geht es um die Landtagswahlen im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
Ob die SPD wirklich so zusammenhalten wird wie in dem Jahr vor der Bundestagswahl 2021? Sie hat zwölf Euro Mindestlohn, bezahlbares Wohnen durch 400.000 neue Wohnungen jährlich und ein stabiles Rentenniveau in den Koalitionsvertrag bekommen. Aber zum Beispiel nicht, dass das neue Bürgergeld, das Hartz IV ablösen soll, ohne Sanktionsmöglichkeiten gezahlt wird.
Kühnert: SPD muss „hungrig“ bleiben
Kevin Kühnert, vormals Juso-Chef mit Aversionen gegen die große Koalition, dann Parteivize und künftig voraussichtlich Generalsekretär, sagt in seiner Rede am Samstag, er hätte sich im Koalitionsvertrag mehr SPD-Politik gewünscht. Mehr Sicherheit für Mieter beispielsweise. Er forderte die SPD auf, „hungrig zu bleiben als Partei“ und „zuzugreifen“. Realität orientiere sich nicht immer daran, was man für vier Jahre aufgeschrieben habe. Kühnert hat vor allem die FDP auf dem Kieker.
Das darf als Mahnung verstanden werden, dass er als Generalsekretär nicht nur gegen die Union austeilen wird, sondern womöglich auch gegen die eigene Partei. Kühnert wirbt um Zustimmung zum Koalitionsvertrag in „angemessener Fröhlichkeit“. Das Ergebnis von 98,8 Prozent zeugt von sehr großer Fröhlichkeit. Vielleicht vor allem, weil am Ende des Vertrages dieser Satz steht: „Die SPD stellt den Bundeskanzler.“