Experte warnt: „Direktangriff auf Iran wäre politischer Wahnsinn”
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Teheran: Eine Frau kehrt von der Trauerfeier für den iranischen General Soleimani zurück, der bei einem Drohnenangriff am 03.01.2020 nahe dem Flughafen der irakischen Hauptstadt Bagdad getötet wurde. Im Hintergrund ist ein anti-amerikanisches Wandbild zu sehen, welches sich an der Wand der ehemaligen Botschaft der Vereinigten Staaten im Iran befindet.
© Quelle: Vahid Salemi/AP/dpa
Früher waren Irak und Iran verfeindet und führten Krieg gegeneinander. Wie hat sich die Beziehung zwischen Irak und Iran seit dem Sturz Saddam Husseins verändert?
Lohmann: Hier muss man festhalten, dass der Iran seinen Einfluss im Irak ausgeweitet hat. Vor allem unter den schiitischen Gruppen. Für die Führung in Teheran ist Bagdad ein wichtiger strategischer Partner. Perfektes Beispiel dafür ist, dass das irakische Parlament jetzt für den Abzug der US-Truppen gestimmt hat. Die Kurden haben nicht mit abgestimmt. Hier sieht man auch, dass es unter den Sunniten sehr wohl eine Unterstützung für eine Truppenpräsenz der Amerikaner gibt.
Müsste der Irak nicht ein Interesse daran haben, die US-Truppen im Land zu halten – schon als Schutz vor den IS-Terroristen?
Natürlich hat die irakische Regierung ein Interesse daran, dass der IS nicht wieder erstarkt. Durch die Tötung von General Soleimani auf irakischem Boden ist aber die Souveränität des Landes verletzt worden. Die USA haben niemanden darüber in Kenntnis gesetzt, dass so ein Schlag erfolgt. So ist diese emotionale Reaktion des Irak durchaus nachvollziehbar. Die US-Regierung lässt dem Irak hier also wenig Spielraum. Man kann festhalten: Die Folgen dieser Tötung werden kaum zu kontrollieren sein. Zumal diese Entscheidung auch für das beteiligte US-Verteidigungsministerium gänzlich unvorhergesehen kam. Jetzt versucht man, den Schaden zu begrenzen, während Donald Trump weiter Öl ins Feuer gießt.
Die USA wollen zudem bereits 52 Ziele für einen Vergeltungsschlag im Iran ausgemacht haben. Was sind mögliche Szenarien?
Es gibt eine Reihe von Szenarien. Man kann die Militärpräsenz der iranischen Marine, aber auch der Revolutionsgarden im Persischen Golf angreifen. Zudem könnten die Nuklearanlagen in Natans und in Fordo ein Ziel sein. Durch Luftschläge könnte die Infrastruktur des Landes angegriffen werden. Was man aber auch weiß: Die vollständige Neutralisierung des Nuklearprogramms kann nur durch Bodentruppen erreicht werden. Zudem müsste dafür gesorgt werden, dass das Wissen, das bisher über den Anreicherungsprozess erworben wurde, nicht weitergegeben werden kann. Das wird wohl nicht passieren, da man dadurch nur wieder einen Gegenschlag provozieren würde – der wohl auch sehr viele US-Leben in Gefahr bringen würde. Direktschläge gegen den Iran fallen politisch eigentlich in den Bereich des Wahnsinns, aufgrund der enormen Zweitschlagfähigkeit des Iran. Trump droht zudem offen mit völkerrechtswidrigen Gegenschlägen. Wir stehen vor einer außenpolitischen Krise – und dabei treten nun auch alle problematischen Eigenschaften dieses US-Präsidenten hervor.
Zur Person: Sascha Lohmann ist Politikwissenschaftler der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
© Quelle: Sascha Lohmann
Wie groß ist die Gefahr, dass der Iran völlig aus dem Atomabkommen aussteigt und wieder versucht, eigene Atomwaffen zu entwickeln?
Die Frage ist, was man als Ausstieg aus dem Atomabkommen definiert. Es gibt die iranische Ankündigung, dass man die Verpflichtung hinsichtlich der Begrenzung von Urananreicherung zurückfährt. Das heißt, man hat eine vollständige Aussetzung im Anreicherungsbereich. Andere Verpflichtungen bleiben hingegen bestehen. IAEA-Inspekteure sind auch weiter vor Ort. Zudem gibt es die Ankündigung, dass man zum Abkommen zurückkehren würde, sofern die US-Sanktionen gelockert werden. Der Iran bezieht sich auch mit seinen jetzigen Aktionen nach wie vor auf Artikel 36* des Atomabkommens. Man kann also sagen: Dieses Atomabkommen bleibt in der Schwebe zwischen Tod und Leben.
*Artikel 36 sieht vor, dass die Gemeinsame Kommission des JCPOA – ein Gremium, in dem die Außenminister der Unterzeichnerstaaten vertreten sind – nun über den Streit beraten und eine Lösung finden soll.