USA sehen erste deutliche Hinweise

Iran an der Schwelle zum andauernden Aufstand?

Iranische Protestierende wehren sich bei Demonstrationen in der Stadt Mahabad gegen staatliche Sicherheitskräfte.

Iranische Protestierende wehren sich bei Demonstrationen in der Stadt Mahabad gegen staatliche Sicherheitskräfte.

Laut US-Einschätzungen könnten die seit Wochen andauernden regimekritischen Proteste im Iran an der Schwelle hin zu einem „latenten und beginnenden“ Aufstand stehen. So zumindest definiert es die US-Militärdoktrin, wie die Washingtoner Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) schreibt.

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Dem Bericht zufolge definiert die Doktrin der USA zur Aufstandsbekämpfung jene Phase durch die „Entstehung einer aufständischen Führung, Schaffung einer anfänglichen organisatorischen Infrastruktur, Ausbildung, Erwerb von Ressourcen und politische Aktionen wie die Organisation von Protesten“. Eine Gruppe, die sich dem Aufstand anschließe könne demnach auch aktuell eine legitime politische Gruppierung sein. „Staatliche Maßnahmen und gesellschaftliche Veränderungen können politische Gruppierungen in Aufstände verwandeln.“

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Aktivisten kooperieren landesweit offenbar zunehmend

Einige dieser Punkte sieht das Thinktank bereits teilweise oder sogar vollständig erfüllt. So organisierten sich zuletzt vermehrt nachbarschaftliche Jugendgruppen und andere Protestorganisationen, um gemeinsam Demonstrationen „an spezifischen Tagen und Orten“ zu koordinieren. Zudem riefen jene Gruppierungen die Bürgerinnen und Bürger Irans dazu auf, das Regime anzugreifen und zu unterlaufen.

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Das Critical Threat Project (CTP), das mit der US-Denkfabrik zusammenarbeitet, habe zudem bereits mehrere ähnlich geartete Fälle dokumentiert. Demnach nutzten die Gruppen militante Taktiken, um sich gegen die Repressionen der staatlichen Sicherheitskräfte zu wehren. So werde verstärkt eigene Infrastruktur für einen langwierigen Kampf gegen das Regime aufgebaut. Dazu gehöre ein informelles Netzwerk zur medizinischen Versorgung.

Als Beispiel nennt das ISW die Jugendlichen aus der Nachbarschaft von Maschhad, einer Stadt im Nordosten des Landes. Diese Organisation habe am vergangenen Mittwoch und Donnerstag Protestierende dazu aufgerufen, einen Partisanenkrieg zu führen sowie bei Straßenblockaden und Angriffen auf die Sicherheitskräfte zusammenzuarbeiten. Dabei habe sich die Gruppe auf Einsatzteams sowie die Nutzung von Schutzkleidung beifrüheren Trainings“ bezogen, was laut der Denkfabrik auf einen gewissen Organisationsgrad schließen lasse. Nicht zuletzt reihe sich die Rhetorik der Gruppe, die von einem „umfassenden Krieg“ gegen das Regime spricht, in den „revolutionären Ton“ anderer iranischer Protestgruppen ein, so das ISW.

Iranische Sicherheitskräfte werden Opfer von Angriffen

Laut CTP könne nicht geklärt werden, ob jene Gruppen tatsächlich die Aufstände anführen würden. Aussagen und Handlungen des Regimes könnten jedoch so interpretiert werden. So seien zuletzt 25 Mitglieder einer Organisation aus der nordwestlich gelegenen Stadt Urmia verhaftet worden. Diese habe demnach Straßenblockaden durchgeführt und öffentliches Eigentum zerstört.

Ein Mädchen steht ohne das vorgeschriebene Kopftuch vor dem Azadi-Turm in Teheran und zeigt mit beiden Händen das Victoryzeichen.

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Bedeutende Verluste bei den iranischen Sicherheitskräften zeigen, dass die Proteste zuletzt mit aller Vehemenz fortgeführt werden. So seien landesweit am Donnerstag sechs Angehörige von paramilitärischen Milizen oder staatlichen Kräften infolge von Angriffen gestorben, weitere schwer verletzt worden. Drei der Männer wurden Opfer von Messerangriffen, eine Person wurde erschossen. Zwei weitere Sicherheitskräfte starben laut des Berichts infolge eines ungeklärten „Unfalls“.

„Bürgerkriegsähnliche“ Szenen: Proteste werden im ganzen Land fortgesetzt

Am Donnerstag sind erneut Tausende Menschen gegen die autoritäre Politik der Islamischen Republik auf die Straßen gegangen. In Dutzenden Städten gab es am Donnerstagabend Berichten zufolge Proteste, die teils gewaltsam niedergeschlagen wurden. Vielerorts war das Internet eingeschränkt. Es soll zudem erneut mehrere Tote gegeben haben. Augenzeugen in Teheran beschrieben die Straßenproteste in der Hauptstadt als zunehmend furchtloser. In den Provinzen spielten sich nach Schilderungen von Einwohnern „bürgerkriegsähnliche“ Szenen ab.

Für Dienstag bis Donnerstag diese Woche hatten Aktivistinnen und Aktivisten zu landesweiten Protesten und Streiks aufgerufen. Anlass war das Gedenken an den „blutigen November“ von 2019, als der Sicherheitsapparat Proteste gewaltsam niederschlug. Mehrere Hundert Menschen sollen damals getötet worden sein.

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Erneut Dutzende Todesopfer unter den Protestierenden

Dabei gab es unter den Protestierenden weitere Todesopfer. Im Nordwesten wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen am Mittwoch mindestens fünf Demonstranten von Sicherheitskräften getötet. Sowohl in der Stadt Bukan der Provinz West-Aserbaidschan, als auch in Sanandasch, Hauptstadt der Provinz Kurdistan, seien Sicherheitskräfte mit scharfer Munition gegen Protestteilnehmerinnen und -teilnehmer vorgegangen. Im Südwesten hätten in der Stadt Iseh Unbekannte mit Sturmgewehren auf eine Menschenmenge geschossen. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna sprach von einem „Terrorangriff“.

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Augenzeuginnen und -zeugen aus der Stadt dementierten die Informationen der Staatsmedien jedoch. Nach Angaben von Einwohnerinnen und Einwohnern eröffneten am Mittwoch Sicherheitskräfte in Iseh das Feuer, mindestens zehn Menschen sollen dabei getötet worden sein, darunter auch ein Kind. Die Stadt in der Provinz Chusestan war demnach fast einen Tag lang ohne Internet.

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Nach Schätzungen von Menschenrechtlerinnen und -rechtlern wurden im Zuge der Proteste bisher mindestens 360 Menschen getötet. Unter den Toten seien auch 56 Minderjährige und 46 Sicherheitskräfte, berichtete die Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) mit Sitz in den USA. Rund 16.000 Menschen seien zudem festgenommen worden. Die Proteste erfassten seit ihrem Beginn demnach mehr als 140 Städte.

Revolutionsgarden sehen Verantwortung beim Westen

Der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) machte erneut den Westen für die systemkritischen Proteste im Land verantwortlich. Irans Feinde hätten sich für einen Krieg vorbereitet, sagte Hussein Salami am Donnerstag während einer Rede in der Stadt Ghom. „Alle Satane der Welt haben sich versammelt. Amerika, England, Deutschland, Frankreich, Israel, die Saudis und weitere.“ Es war das erste Mal, dass ein hochrangiges IRGC-Mitglied Deutschland öffentlich als „Satan“ bezeichnete.

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Salami warnte weiter vor einem inneren Konflikt im Land. Beobachterinnen und Beobachter sehen die Worte jedoch als Versuch, von den Ursachen der landesweiten Proteste abzulenken. Der Kommandeur war jüngst wegen iranischer Waffenlieferungen an Russland für den Krieg in der Ukraine von der EU mit Sanktionen belegt worden.

Die jüngste Welle des Protests gegen die autoritäre Politik der Islamischen Republik war vom Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini ausgelöst worden. Sie starb am 16. September in Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war.

RND/sic/dpa

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